"Freiheit und Sicherheit" – ein Blick auf das Programm der Symposien lässt erahnen, dass das Thema breit angelegt ist. Ein Begriff scheint sich jedoch wie ein roter Faden durch fast alle Panels zu ziehen – von Künstlicher Intelligenz, über Diplomatie, die freie Presse bis hin zu Desinformationskampagnen: das Vertrauen. "Wir haben ein Vertrauensdefizit" oder "Wir müssen das Vertrauen der BürgerInnen/User wiederherstellen", höre ich immer und immer wieder. Das Forum spiegelte einen Diskurs über eine scheinbar allgegenwärtige Krise des Vertrauens wider, der es auf den Grund zu gehen gilt. Haben sich die ForumsteilnehmerInnen von panischer Rhetorik, wie sie derzeit politisch en vogue ist, anstecken lassen?

Globale Koalitionen gegen Fake News

Im Rahmen der politischen Gespräche wird über Taktiken von Desinformationskampagnen, die über neue Technologien verbreitet werden, diskutiert. Welche Regulierungen im Online-Bereich könnten für mehr Sicherheit sorgen, ohne unsere Freiheit einzuschränken? Welche bewusstseinsbildenden Maßnahmen brauchen wir, um korrekt mit sozialen Medien und Informationen umzugehen? Es scheint fast unmöglich, im Umfeld der allgegenwärtigen Fake News, die selbst von Regierungen und Staatschefs wie Donald Trump gestreut werden, wieder Vertrauen in Informationen und neue Technologien herzustellen. Die Diskussion endet mit einem optimistischen Appell an eine globale Koalition von Fact-checking-Organisationen und einem Fokus auf bewusstseinsbildenden Maßnahmen. Es gibt also Hoffnung.

Berufsstand Skeptizismus

"In mistrust we trust, unser Berufsstand ist Skeptizismus", meint Thomas Seifert, stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung", in einem Panel zur Frage der Pressefreiheit in Europa. Er diskutierte mit Anwalt Gabriel Lansky und Mariann Öry, Leiterin des Auslandsreferats der konservativen und regierungsnahen ungarischen Zeitung "Magyar Hírlap", über Pressefreiheit und Vertrauen in Informationen und Suchmaschinen. Öry betonte mehrfach "Ungarn hat kein Problem mit der Pressefreiheit", so ganz überzeugt klang sie jedoch nicht. Währenddessen schilderte Seifert die Auswirkungen der Message Control (Stichwort: Ex-Innenminister Kickls Informationssperre gegen kritische JournalistInnen) der letzten schwarz-blauen Regierung auf den österreichischen Journalismus. Ein skurriles Panel, das Vertrauen ist enden wollend.

Die Kunst des Kompromisses

In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde die Gefahrenwahrnehmung in sieben europäischen Ländern untersucht. 70 Prozent der Befragten befürchten demzufolge, dass ihre Länder von Kriegen und Konflikten betroffen sein könnten. In der Frage nach dem Vertrauen in zentrale Institutionen wie Regierungen oder Parteien zeichnet sich ein klares Vertrauensdefizit ab, gleichzeitig wünscht sich die Mehrheit der Befragten eine diplomatische Lösung für andauernde Konflikte.

Der politische Direktor des österreichischen Außenministeriums, Botschafter Axel Marschik, erklärt dieses Phänomen anhand des internationalen Abrüstungsregimes. Am Höhepunkt des Kalten Krieges sei es der internationalen Diplomatie gelungen, ein System des Vertrauens in der Rüstungskontrolle zu schaffen, welches in einer Reihe internationaler Verträge resultierte.

Doch das internationale Regime der Rüstungskontrolle droht, unter anderem mit der Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA, zu bröckeln. Doch wie kann das Vertrauen in Institutionen und Akteure wiederhergestellt werden, wenn der Zivilgesellschaft dafür keinerlei Grundlage geboten wird? "Es fehlt einfach nur am politischen Willen", betont Marschik. Staaten und deren Akteure hätten die Kunst des Kompromisses verlernt, was sich darüber hinaus auch in der westlichen Gesellschaftskultur abzeichne. Wir haben scheinbar verlernt, das große Ganze zu sehen.

Wenn Algorithmen unser Leben bestimmen

Algorithmen bestimmen zunehmend, welche Informationen wir bekommen, wie wir folglich die Welt sehen, aber anscheinend auch wie groß unsere Chancen am Arbeitsmarkt sind. Dem "AMS-Arbeitschancenmodell" zufolge werden Arbeitslose nun durch Algorithmen automatisch in drei Gruppen eingeteilt und zwar in jene mit niedrigen, mittleren und hohen Chancen am Arbeitsmarkt.

Das Vertrauen in Politik und internationale Diplomatie muss wiederhergestellt werden.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann-Hoff diskutierte mit AMS-Vorstandsmitglied Johannes Kopf und stellte die Legitimität automatisierter, algorithmischer Entscheidungsprozesse in Bezug auf Menschen radikal in Frage. Da ist es wieder, das Vertrauen: "Wir müssen verstehen, was Vertrauen eigentlich ist und woher es kommt. Die zwei Säulen der Vertrauensforschung sind: Wohlwollen und Kompetenz. Sie vertrauen nur einer Entität, bei der Sie den Eindruck haben, sie ist wohlwollend, nicht opportunistisch (…) Dieses Vertrauen muss mit Ihrem Eindruck einhergehen, dass das Vis-à-Vis auch kompetent ist in dem, was er/sie tut". 

Ich stelle mir die Frage, ob man dieser Definition zufolge automatisierten, algorithmischen Entscheidungsstrukturen überhaupt je vertrauen können wird. Verfechter dieser Technologien huldigen deren Effizienz, Akkuratesse und Objektivität. Sie bitten um einen Vertrauensvorschuss.

Die allgegenwärtige Krise des Vertrauens

Der Politologe Ivan Krastev geht in seinem Buch "In Mistrust We Trust. Can Democracy Survive When We Don’t Trust Our Leaders?" der Frage nach, ob Demokratie ohne Vertrauen überhaupt funktionieren kann. Er stellt dabei fest, dass sich das Vertrauen in die Wirksamkeit der Demokratie in den letzten 50 Jahren verringert hat.

Dies führt er auf fünf Revolutionen zurück: die soziale und politische Revolution von Woodstock-to-Wall-Street in den 1970er- und 1980er-Jahren, das "Ende der Geschichtsrevolutionen von 1989", die "digitale Revolution" in den 1990er-Jahren, die "demografische Revolution" und die "politische Gehirnrevolution", die durch die neuen Entdeckungen in den Geisteswissenschaften und der verhaltensorientierten Ökonomie hervorgerufen wird. Letztere hat, Krastev zufolge, unsere demokratische Erfahrung stark vertieft und uns "freier denn je gemacht". Gleichzeitig brachen, so Krastev, diese Revolutionen den kollektiven Zweck, schufen Ungleichheit, machten uns skeptisch gegenüber den Machthabern und vermittelten uns das Gefühl, unfähig zu sein, Veränderungen zu bewirken.

In trust we trust

Die Rhetorik der Angst, die uns beispielsweise einredet, wir bräuchten mehr Sicherheitsmaßnahmen und weniger Migration, wird uns nicht aus der Vertrauenskrise herausführen. Der Diskurs darüber ist jedoch keine bloße Panikmache. Es gilt, sich seiner sachlich anzunehmen. Lauscht man den diesjährigen Diskussionen in Alpbach und den vielen "Manels" (die Panels sind nach wie vor männlich dominiert), so würde man im Sprech der Vereinten Nationen wohl zum Schluss kommen, dass "vertrauensbildende Maßnahmen" dringend notwendig sind. Die Schaffung und Verbreitung solcher Maßnahmen könnte unter Berücksichtigung aller politischen, ökonomischen, soziologischen und technologischen Aspekte zu einer Herkulesaufgabe unserer modernen Gesellschaften werden. Dies soll kein Plädoyer für blindes Vertrauen in alles und jeden sein, ein gewisser Vertrauensvorschuss in vielen Belangen könnte uns jedoch aus der oft verspürten Ohnmacht, keine Veränderungen bewirken zu können, heraushelfen. (Anna Jonas, 2.9.2019)