Es ist mir nicht fremd, etwas mit den Händen zu machen. Jetzt darüber hinaus mit zehn Fingern in einen Laptop hineinzuklopfen. Der Menschenschlag, dem ich entstamme, hat Nichtstun nicht in der Genetik eingeschrieben. Nichts tut man nicht; außer man schläft, wenn man nicht schläft, tut man etwas. Arbeit ist überall, man muss sie nur sehen wollen. Die Erzeuger waren zudem bei Spielzeug außerhalb von Festtagen wenig freigebig: Da ist die Werkstatt, dort die Nähmaschine, mach es selbst. Und sollte irrsinnigerweise einmal wirklich nichts zu tun sein, kann man dabei ja etwas stricken. Vielleicht wurden Computer und Social Media auch deshalb erfunden, damit Leute von unserem Schlag einfach mal nichts tun und die Klappe halten.

Hat funktioniert. Ich sitze fast den ganzen Tag vor dem Laptop; schreiben, recherchieren, whatsappen und mailen, Social Media, Serien schauen. Irgendwann schiebt sich der Gedanke in den Kopf, was man deswegen alles nicht tut, und, auch im Wortsinn, nicht gebacken kriegt. Meistens schafft er es nicht bis ins Bewusstsein, weil mich irgendetwas in meinem Computer so fesselt, eine Geschichte im STANDARD zum Beispiel, in der einer einen Töpferkurs macht, in "real life", nicht bei Youtube. Klingt interessant, könnte entspannend sein.

Macht Stricken die Welt besser?
Foto: Frank_Robert

Oder es lenkt mich ein Foodblog ab und ein supergutes Rezept, das ich spätestens morgen nachkochen werde (werde ich nicht), Selbstmachanleitungen und tolle Hacks (was man alles aus diesen Papierklammern machen kann, arg). Eine enorme Sehnsucht nach archaischem, analogem Handwerk überfällt mich: wieder etwas selbst machen, etwas erschaffen, etwas, das man in der Hand halten, anfüllen oder anziehen kann. Dann gerät man in ein Video, in dem Trump in einem TV-Interview darüber redet, dass die Bibel sein Lieblingsbuch sei, und dann nach seinem Lieblingsbibelvers gefragt wird, und hat den Wunsch wieder vergessen. Böser Computer.

Guter Computer. Ich vermute, DIY-Blogs dienen überwiegend dazu, Leuten, die sie lesen, ein schlechtes Gewissen zu machen. Wenn das dann zu stark wird, erinnere ich mich an die Zeit, in der Zeitung noch Handarbeit war. Ich schrieb meine Texte auf einer Schreibmaschine, ich glaube, keine andere technische Erfindung außer die Repeat-Taste am CD-Player hat meine Lebensqualität extremer verbessert als die Korrekturtaste am Computer. Kann man sich ja nicht mehr vorstellen, wie es ist, einen kompletten Text stringent, Satz für intakten Satz, auf ein Blatt Papier bringen zu müssen, von dem es dann eine Setzerin oder Setzer abtippten. (Ich schreibe diesen hier grad zum x-ten Mal um, immer noch zu lang.)

Macht Stricken die Welt besser? Okay, es ordnet die Gedanken. Stricken gilt als therapiemäßig beruhigend. Man darf dazu allerdings keine Pornos, Serien oder Musik streamen, wegen enormen CO2-Ausstoßes. Und Stricken ohne, tja. Es kommt am Ende eine Haube oder so etwas dabei raus, immerhin. (Doris Knecht. 31.8.2019)

Bisherige Folgen:

Wir brauchen viel mehr schlechtes Gewissen!

Wie ich versuchte, weniger Fleisch zu essen

Digitales Fasten

Biomülltrennung ist gar nicht so einfach

Doris Knecht lässt ihre Wiese wuchern

Wie ich versuchte, nicht zu fliegen

Doris Knecht macht auf Marie Kondo: Jungfrau müsste man sein

Das kleine Glück in Shopping-Sackerln

Autofrei bleibt eine Utopie – vor allem auf dem Land