Das vergangene Radjahr – aus feministischer Sicht? In Österreich wird eine Mutter, die ihre zwei Kinder bei einem tragischen Radanhänger-Autounfall verliert, als Täterin stigmatisiert. Juli Briskman, die radelnde US-Amerikanerin, die dem im Limousinenkonvoi vorbeifahrenden Präsidenten Donald Trump den Mittelfinger gezeigt hat, geht in die Politik. Eine Radhelmkampagne des deutschen Verkehrsministeriums wirbt mit Models in Unterwäsche. Fiona Kolbinger gewinnt fast beiläufig als erste Frau das gemischtgeschlechtliche Ultradistanzrennen "Transcontinental Race" quer durch Europa. Eine Kolumnistin schreibt, dass sie endlich einmal dafür belohnt werden will, dass sie Rad fährt und damit die Umwelt schont.

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Gerade den sportlichsten und fortschrittlichsten Radfahrerinnen steht seit jeher das größte gesellschaftliche Unverständnis gegenüber.
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Meine persönliche Bilanz: Ich ärgere mich auf Wiens Straßen täglich über breite SUVs, dir mir als Radlerin das legale Fahren gegen die Einbahn verunmöglichen, und fühle mich auf dem Radstreifen bedrängt. Gute Tipps von Polizisten, ich solle halt lieber öffentlich fahren, wenn ich den Straßenverkehr gefährlich finde, brauche ich genauso wenig wie rasende Männer in großen, schwarzen Autos mit fetter Soundanlage, die mir "Verfickte Hure am Rad" nachrufen, oder schnelle Radler, die mich auf dem Radweg riskant überholen. Gegen patriarchale Strukturen bin ich allergisch. Die täglichen Auseinandersetzungen im Verkehr haben auch meinen Mittelfinger und die Zunge gelockert. Gäste sprechen die Rädersammlung in unserer Wohnung automatisch meinem Freund zu, der Nachbar leiht Pumpe und Werkzeug bei ihm.

Ein Symbol für Emanzipation

Das Verhältnis von Rad und Frau sagt viel über unsere Gesellschaft aus. Im Verkehr werden neben Klassen-, Raum- und kulturellen Kämpfen auch Geschlechterkämpfe ausgefochten. Letztendlich ist Radfahren aber auch eine sehr persönliche Erfahrung, die jede/r im Alltag sammelt. Jede Radlerin trägt das oft kindliche Erlebnis und den emanzipatorischen Akt des Radfahrenlernens in sich. Das kontinuierliche Strampeln erzeugt Flow und Glücksgefühle. Radfahren triggert etwas in uns, Freude, Unabhängigkeit, Freiheit und vielleicht auch ein wenig Angst.

Nicht nur in puncto Fahrrad gilt: Straßenverkehr, der weibliche Wege und Bedürfnisse berücksichtigt, ist sicherer. Frauen legen tendenziell umweltfreundlicheres Mobilitätsverhalten an den Tag. Weibliche Mobilität gehört verteidigt, gefördert und immer wieder neu erkämpft.

Frauen legen tendenziell umweltfreundlicheres Mobilitätsverhalten an den Tag. Weibliche Mobilität gehört verteidigt, gefördert und immer wieder neu erkämpft.

Das Rad war und ist tatsächlich ein Vehikel für Freiheit. Frauenrechtsikonen der Jahrhundertwende von der Amerikanerin Susan B. Anthony bis zur Österreicherin Rosa Mayreder betonten die Bedeutung des Radfahrens für die Emanzipation. Im Wesentlichen deswegen: Das Rad erweiterte den Aktionsradius von Frauen und stand für die Eroberung von Öffentlichkeit und Straßen.

Ich erlebte es als Jugendliche in einer kleinen Landgemeinde in den 1990er-Jahren ähnlich: Nach der Radfahrprüfung legte ich alle Wege im Ort per Rad zurück, erstmals wurden auch die Nachbarorte erreichbar. Mein Radius erweiterte sich – ein ungemeiner Freiheitsgewinn.

Für meine Mutter war es nicht viel anders. Das Rad ermöglichte ihr, von zu Hause wegzukommen und unabhängig zu sein, wie so oft war der Vater bei uns zu Hause der Verwalter des Autos. Viele Kämpfe der Frauenbewegung gegen Korsett und Zurückdrängung an den Herd wurden vor gut hundert Jahren auf dem Rad ausgefochten. Leicht war das nicht. Die Argumente der zumeist männlichen Moralisten waren elaboriert und böse und wurden nur zu gerne im medialen Diskurs aufgegriffen. Der Spin: Radfahren ist Onanie auf dem Sattel, schädige die Gebärmutter, fördere einen unschönen Katzenbuckel und sei alles in allem sowieso nicht weiblich.

Wo verläuft die Kampflinie?

Zum einen fechten Frauen in vielen Ländern nach wie vor ähnliche Kämpfe aus. Der saudi-arabische Film Das Mädchen Wadjda der Regisseurin Haaifa Al Mansour zeigt das gut. Der Traum des elfjährigen Mädchens, ein Fahrrad zu besitzen, wird von dem Fahrradhändler mit den Worten "Weißt du nicht, dass Mädchen nicht Fahrrad fahren" erwidert. Auch die Mutter hat Bedenken, dass Wadjda später womöglich keine Kinder bekommen könnte. Viele Frauen in Afghanistan, im Irak und Iran lassen sich ihr Recht auf das Fahrrad aber nicht nehmen. Dank Social Media finden ihre politischen Aktionen internationale Resonanz.

Zum anderen ist Rennradfahren auch in der westlichen Welt nach wie vor eine Männerdomäne. Frauen stehen bei den bekanntesten Rennen der Welt nur als schmückender Aufputz auf dem Podest und nicht am Start. Kurz berockte "Podiumgirls", bestückt mit Blumensträußen und Sekt, gehören zur Tour de France wie der Col du Tourmalet. Die letzte Tour begleitend hat eine Berliner Initiative von Rennradfahrerinnen auf diesen Missstand hingewiesen. "She36" hat die Petition "Get rid of podium girls" gestartet, ihr Ziel: Frauen sollen endlich als Sportlerinnen ernst genommen werden und nicht zum Beiwerk degradiert werden.

Wie üblich redeten sich Organisatoren auf mangelnde Sponsoren oder mediales Interessen für Frauenrennen aus. Die Strukturprobleme werden geübt verdrängt. Ein eingefahrener Diskus. Gerade den sportlichsten und fortschrittlichsten Radlerinnen steht seit jeher das größte gesellschaftliche Unverständnis gegenüber.

Bloß nicht zu aktiv

Warum? Manche Sportarten sind einzig deswegen Männerdomänen, weil durchwegs von Männern organisierte Vereine und Verbände darüber entschieden haben, in welchen Sportarten sich Frauen messen dürfen. Fakt ist, dass männlich dominierte Vereine Frauen das Rennradfahren offiziell Jahrzehnte versagten und bis heute keine zufriedenstellenden Vereinsstrukturen oder ausreichend Lizenzrennen für Frauen existieren.

In anderen Sportarten wie Tennis, Golf und Eiskunstlauf etablierten sich Damenwettbewerbe langfristig viel früher. Die Gründe dafür liegen in einem weit über hundert Jahre alten Körperideal. Anmut, Grazilität und Kraftaufwand waren entscheidende Faktoren dafür, ob eine Sportart für Frauen akzeptabel war oder nicht. Für Frauen hieß es gemäß dem weiblich-weichen Ideal, bloß nicht zu aktiv und wettbewerbsorientiert zu sein. Je tänzerischer, umso besser, je athletischer, desto angefeindeter.

Mit Resten dieses Denkens sind Radfahrerinnen und andere Profisportlerinnen bis heute konfrontiert. Je etablierter eine Sportart, desto weniger Chance auf Geschlechtergleichheit. Selbst-Empowerment und Unterstützung durch Gleichgesinnte sind deswegen für Frauen besonders wichtig: "Jö schau, des sind ja lauter Frauen." Wenn Radlerinnen von Gruppen wie "Mitzi & Friends" im Peloton unterwegs sind, stehen erstaunte Zuschauer am Straßenrad. Ein Pulk an Männern ist hingegen ein gewohntes Bild.

Bei den Radcheckern

Rahmen für die Damen: Die Missverständnisse auf dem Weg zur völlig eingelösten Emanzipation beginnen mitunter beim Kauf eines Rades oder Zubehörs. Fachverkäufer (Frauen sind in der Sparte nach wie vor rar) verwechseln oft Beratung mit Belehrung. Nicht nur einmal habe ich von Freundinnen oder Bekannten gehört, das besonders checkerhaftes Verhalten, sprich Mansplaining, eines Verkäufers sie geärgert oder vom Kauf abgehalten hat.

Es geht nicht nur Frauen in Österreich so. "Bike shops for everyone", die Liga amerikanischer Fahrradfahrer (www.bikeleague.org), hat 2015 eine mehrseitige Strategie publiziert, wie der Fahrradeinzelhandel frauenfreundlicher werden könnte. Viele naheliegende Punkte finden sich darin, etwa Frauen zu beschäftigen, ausreichend Radkleidung in Frauengrößen anzubieten oder als Fahrradhändler nicht automatisch davon auszugehen, dass Kundinnen Anfängerinnen sind oder ein Damenrad möchten.

Die Zuordnung der Räder in Frauen- und Männerräder hat geschlechterstereotype Auswirkungen, die weit in das Zubehörsegment hineinreichen. Am Massenmarkt dient die männlich dominierte Fahrradindustrie Frauen nach wie vor spezielle Modelle an und weiß, was sie fahren will. Mountainbikes mit Blümchen oder arabesken Mustern etwa. Mintfarbene Vintageflitzer, Räder mit Körben und Hello-Kitty-Bikes für die Kleinen. "Pink it, shrink it."

Kein Feminizing-Code wird ausgelassen. Wieder ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert: Das sogenannte Damenrad wurde Ende des 19. Jahrhunderts erfunden, damit Frauen auch mit Kleidern und langen Röcken Rad fahren können. Eine historische Kompromisslösung, deren Teilungsprinzip nicht mehr zeitgemäß ist. Eine Unterscheidung in Rahmenarten etwa – Trapez- versus Diamantrahmen, Tiefeinsteiger versus Hocheinsteiger oder eine Zuteilung nach der Neigung des Oberrohrs – wäre heute angebrachter. Persönliches Geschmacksempfinden, reale Fahrvorlieben und -bedürfnisse sollten die Wahl von Farbe und Modell bedingen, nicht Geschlechterstereotype.

Soll doch jeder und jede fahren, womit er oder sie sich wohlfühlt. Dazu brauchen wir auch echte Vorbilder, Bilder, in denen sich Frauen wiederfinden und vertreten fühlen. Werbebilder oder Coversujets sind immer auch Klischees und entsprechen nicht der Realität. Eine "Erziehungsaufgabe", die Medien und Werbung nicht allein erfüllen können, müssen oder wollen. Alle sind gefragt, Journalist/innen über Touristiker/innen hin zum/r Normalbürger/in.

Gleichberechtigte Mobilität

Es gibt viele Geschlechtermythen, aber bei Verkehrsunfällen spricht die Statistik seit Jahren für sich. Männer führen bei Autounfällen sowohl als Opfer als auch Verursacher die Zahlen der (Unfall-)Statistik Austria an.

Zu hohe Geschwindigkeiten und aggressiveres Fahren gelten als Gründe dafür. Bei Todesfällen nach Radunfällen liegen radfahrende Frauen über 65 Jahre traurigerweise vorn (GDV Unfalldatenbank, 2017). Zögern, langsames Fahren und Vertrauen auf die anderen Verkehrsteilnehmer werden als Ursachen genannt.

Was die generelle Praxis des Radfahrverkehrs in Österreich betrifft, so kommt eine Studie des BMVIT zu der Aussage, Radfahren sei in Österreich eher eine Männersache ("Österreich unterwegs mit dem Fahrrad", 2014). Aber der Abstand ist nicht groß, in Wien radeln laut letztem "Fahrradreport" (Mobilitätsagentur, 2016) Männer und Frauen beinahe gleich viel, bei den Jüngeren – es gibt Anlass zur Hoffnung – liegen die Zahlen bereits gleichauf.

Eindeutige Zahlenlage

Eindeutig auch diese Zahlen: Eine VCÖ-Analyse anlässlich des Frauentags 2017 kommt zu dem Schluss, dass das Mobilitätsverhalten von Frauen insgesamt klimafreundlicher ist. Frauen sind häufiger autofrei unterwegs, legen viel mehr ihrer Alltagswege zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad zurück. Das Fazit der Studie: "Die Mobilität der Männer verursacht um drei Viertel mehr klimaschädliche CO2-Emissionen als die Mobilität der Gesamtgruppe der Frauen." Von Gender-Mainstreaming profitiert also die ganze Gesellschaft.

Elena Messner, Eva Schörkhuber, Petra Sturm (Hg.), "Warum feiern – Beiträge zu 100 Jahre Frauenwahlrecht" 18 €, Edition Atelier, Wien 2018
Foto: Edition Atelier

Die Vorteile weiblicherer Verkehrsplanung: Fährt sie gut, fahren alle gut. "Mobilität ist immer eingebettet in die bestehenden Geschlechterverhältnisse", schreibt etwa die Wiener Verkehrsplanerin und Genderexpertin Bente Knoll (VCÖ-Schwerpunkheft "Gender & Verkehr", 2009).

Eine Strategie für bessere Geschlechtergerechtigkeit im Verkehrs- und Mobilitätsbereich wäre, dass die Planenden jetzt und in Zukunft auf Bedürfnisse und Ansprüche der (sozial konstruierten) Geschlechter eingehen, ohne diese dabei zu verstärken. Sichere Radwege sollten demnach etwa nicht nur für Frauen, Kinder und Ältere gefordert werden, sondern für alle.

Mountainbikes mit Blümchen oder Mustern, mintfarbene Vintageflitzer, Räder mit Körben und Hello-Kitty-Bikes für die Kleinen. 'Pink it, shrink it': Kein Feminizing-Code wird ausgelassen.

Wer viel auf Wiens Radwegen unterwegs ist, weiß, dass unterschiedliche Geschwindigkeiten und Bedürfnisse auf dem Radweg oft eine große Herausforderung darstellen. Auf der Straße wartet die Gefahrenquelle Auto, die oft tödlich sein kann. Mischwege und Landstraßen werden deswegen von Frauen, insbesondere Müttern, sofern möglich, oft gemieden.

Viele nehmen wieder das Auto, obwohl sie die Strecke zum Kindergarten oder zur Schule gerne mit dem Kindersitz, Anhänger, Lastenrad oder ihren Kindern auf eigenen Rädern zurücklegen würden. Persönliches Angstempfinden auf der einen Seite, mangelnde Vernunft auf der anderen Seite entscheiden scheinbar darüber, wer wo mit dem Rad fährt. In Wirklichkeit sind es mangelndes Mitdenken, unzureichende Verkehrsinfrastruktur und die fahrlässige Ausrichtung auf einen reibungslosen Autoverkehr als Maß aller Dinge.

Dabei hätten gleichberechtigte Mobilität und Gender-Mainstreaming im Verkehr nur Vorteile, für alle. Unterschiede im Mobilitätsbereich sind da und sollten auch analysiert werden. Gerade nach der Geburt von Kindern gehen die Wege und Mobilitätsbedürfnisse auseinander. Frauen fahren nicht als Normweg zum Arbeitsplatz hin und retour, sondern legen mehrere verkettete, kurze Wege zurück, darunter häufig auch Transporte von Kindern oder Einkäufe. Ihr Prozentsatz am Modal-Split (d. h. Nützung bzw. Mix unterschiedlicher Verkehrsmittel, um ans Ziel zu gelangen) ist höher.

Autoren des "Team Volksentscheid Fahrrad" aus Berlin wünschen sich eine Stadt, die so gestaltet ist "dass sich Acht- bis 80-Jährige sicher bewegen und entfalten können, dass Fehler im Straßenverkehr nicht tödlich enden, dass Wege mit Betreuungs- und Versorgungsaufgaben von beiden Geschlechtern sicher und komfortabel zurückgelegt werden können" (Fahrstil 23/2017).

Petra Sturm forscht über Frauen und Radfahren. Sie ist Co-Herausgeberin von "Warum feiern. Beiträge zu 100 Jahren Frauenwahlrecht".
Foto: Privat

Freie Fahrt für Frauen

Wenn das Rad ein Symbol für Emanzipation ist, dann ist ein hoher Anteil von radelnden Frauen durchaus auch ein Seismograf für gute Radverkehrsinfrastruktur. In Städten mit hohem Radverkehrsanteil ist auch der Anteil der radfahrenden Frauen sehr hoch.

Wie differenziert hätte die Diskussion um den tragischen Anhängerunfall im Sommer geführt werden können. Stattdessen wurde eine Frau und Mutter moralisch dafür verurteilt, weil sie am frühen Abend auf einer Straße ohne Fahrradweg mit dem Kinderanhänger unterwegs war.

Endlich freie Fahrt für Frauen, heißt heute auch ausreichend Radwege und Radstreifen zu schaffen, um Konflikte und Unfälle mit anderen Radlern, Fußgängern und Autos zu vermeiden. Mehrspurig, breit genug oder extra als Radspur ausgewiesen. (Petra Sturm, ALBUM, 30.8.2019)