2,9 Millionen Euro soll eine Vorarlberger Buchhalterin veruntreut haben.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Feldkirch – Wären da nicht die Gucci-Sneaker mit Glitzersteinchen, würde man der 64-jährigen Angeklagten ihren Hang zu Luxuskaufrausch nicht abnehmen. 2,9 Millionen Euro soll sie seit 1997 wegen ihrer Kaufsucht veruntreut haben. Den x-fachen Griff in die Firmenkasse begründet die psychisch angeschlagen wirkende Frau mit ihrer Depression – diesem "schwarzen Loch", aus dem sie die "Shoppingsucht" vermeintlich holte. "Das ist wie ein heller Stern, der aber schnell verglüht", sieht sie nach einigen Monaten Therapie ein.

Immer wieder sei sie dieser Sucht erlegen, versucht die Dornbirnerin dem Schöffensenat unter Vorsitz von Richterin Sonja Nachbaur und den zahlreich erschienenen Exkolleginnen und -kollegen zu erklären, warum sie als Buchhalterin Millionen von der Vorarlberger Gemeindeinformatik GmbH auf das eigene Konto umgeleitet hat.

Unverfroren und unverschämt

Gewerbsmäßigen schweren Betrug und Untreue legt ihr die Anklage zur Last. Der leitende Staatsanwalt Wilfried Siegele rechnet penibel vor: 2,9 Millionen Euro in 22 Jahren, das bedeutet ein zusätzliches Einkommen von 133.200 Euro pro Jahr oder 11.100 pro Monat, 370 Euro am Tag – bei einem Gehalt von 3.000 Euro. Unverfroren und unverschämt habe sie zugegriffen, begründet der Staatsanwalt seine Forderung nach einer hohen Strafe.

Verteidiger Florin Reiterer plädiert auf verminderte Zurechnungsfähigkeit: "So etwas tut kein normaler Mensch." Außer Depressionen und Kaufsucht habe die Angeklagte auch eine Bindungsstörung, Angst, nicht geliebt zu werden, und erkaufe sich Freundschaften durch teure Geschenke.

Der Verteidiger möchte maximal zwei Jahre und eine Fußfessel für seine Mandantin. Schließlich habe auch die Kontrolle versagt. "Können Sie Bilanzen lesen?", fragt er den amtierenden Geschäftsführer provokant. Schließlich könne man aus allen Bilanzen die Höhe der offenen Forderungen herauslesen. Die Buchhalterin habe das Geld nicht gefinkelt veruntreut, sondern durch ganz einfache Fehlbuchungen, die auffallen hätten müssen. Sie versteckte ihre Abbuchungen unter Forderungen.

Die Angeklagte bekannte sich unter Tränen schuldig.

Aus dem Gerichtssaal ins Gefängnis

Aufgeflogen ist die Praxis zu Jahresbeginn durch eine Anzeige der Hausbank. Zuerst war von veruntreuten 100.000 Euro die Rede, schnell summierte sich der Schaden auf fast drei Millionen Euro.

Entsprechend das Urteil: sechs Jahre, aus generalpräventiven Gründen. Das Versagen der Kontrolle sah das Gericht nicht als Milderungsgrund an. Auf Antrag des Staatsanwalts wurde die Frau im Gerichtssaal verhaftet und wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Versagen der Kontrolle

Der Betrugsfall wurde möglich, weil weder Geschäftsführer noch Rechnungsprüfer noch Aufsichtsrat und auch nicht die externen Wirtschaftsprüfer genau hingeschaut haben. Gegen die prüfende Kanzlei läuft nun eine Zivilklage.

Die Gemeindeinformatik, die zu 100 Prozent im Besitz der 96 Vorarlberger Gemeinden ist und 1980 gegründet wurde, hat nun ein internes Kontrollsystem implementiert. Das kleine Einmaleins der Kontrolle, also Transparenz und Vieraugenprinzip, kommt nun auch beim Informatikdienstleister der Gemeinden zur Anwendung. Geldverkehr ohne zweite Zeichnungsberechtigung kann es nicht mehr geben.

"Wir erfüllen nun alle Standards, die der Bundesrechnungshof vorgibt", sagte Interimsgeschäftsführer Heinz Loibner zum STANDARD. Anfang September werden die Prüferinnen und Prüfer aus Wien in Dornbirn erwartet. Personelle Konsequenzen sind zu erwarten. (Jutta Berger, 30.8.2019)