Maria Stern hat eine offene Zukunft vor sich. Ihr Credo: in kaltem Wasser schwimmen.

Foto: Regina Hendrich

Für eine Kleinpartei, die Gefahr läuft, nach den Nationalratswahlen verschwunden zu sein, logiert Jetzt – Liste Pilz herrschaftlich. Das Büro in der Wiener Rahlgasse würde jeder Fabrikantenfamilie aus der Ringstraßen-Ära zur Ehre gereichen. Maria Sterns Zimmer liegt am Ende des Flurs. Betritt man das Hauptquartier der Parteichefin und Listenzweiten, wird man freundlich begrüßt.

Dabei besteht für gute Laune kein Anlass. Stern musste soeben ihren Kurzurlaub streichen. Grund: Intensivwahlkampf. Der komatöse Patient Jetzt soll noch einmal zu flackerndem Leben erwachen. "Der dritte Sommer hintereinander ohne Sonne und Strand", Stern zuckt die Achseln. In natura wirkt die gelernte Schauspielerin liebenswürdiger und gelöster als auf den TV-Bildern vom Küniglberg.

Zurzeit saugt Maria Stern wie ein Honigbienchen den Nektar der Zuversicht aus den unscheinbarsten Blütenkelchen. Das Profil habe unlängst geschrieben, ein Drittel der Wahlberechtigten sei noch unentschieden. "Das sind Momente, um sich zu sagen: Es ist alles offen!" Sie wirkt hundertprozentig überzeugend. Man würde ihr sofort eine dick beschichtete Teflonpfanne abkaufen. Jetzt – Liste Pilz steht aktuell haarscharf zwischen ein und zwei Prozentpunkten.

Sterns etwas dunkle Aura hat wenig mit Peter Pilz' kolportierten Umgangsformen zu tun oder damit, dass ihr Parlamentsklub bis vor kurzem aus – teils brillanten – Exzentrikern bestand. Stern hat als Alleinerzieherin die Erfahrung bitterer Armut gemacht. Ihr Einsatz für ein Unterhaltsgesetz, das betroffenen Frauen den Zirkel aus Isolation und Verelendung erspart, gilt folgendem kategorischen Imperativ: Verhalte dich stets so, dass die Folgen deiner Politik jenen zugutekommen, denen es heute so schlecht geht, wie es dir vor gar nicht allzu langer Zeit selbst ergangen ist!

Holländisches Modell

Stern ist vor ein paar Monaten nach Holland gereist. Die Niederländer hätten für Alleinerzieherinnen ein wunderbares Hilfsangebot: "Single-Super-Mums". Betroffene würden durch Coaching ermächtigt, Leidensgenossinnen wieder aufzurichten. Stern erzählt: "Meine Eltern haben selbst das erste Mutter-Kind-Zentrum in Innsbruck miterrichtet, und heute gibt es diese Einrichtung in jedem Kuhdorf!" Man müsse Zuversicht schöpfen aus solchen Emanzipationsprozessen. Was lange währt, wird manchmal gut.

Doch anstatt mit dem Modell aus Holland an die Öffentlichkeit zu gehen, sah Stern wie alle anderen die Republik zusammenbrechen: Ibiza. Ihre Kritik, etwa an der Bildungspolitik von Türkis-Blau ("ein Desaster"), ging unter. Wichtiger schien die Frage, wie es falsche Oligarchennichten mit der Pflege ihrer Zehennägel halten.

Aufgeben gilt für Stern nicht. Mit Parteichef Pilz verbindet sie heute ein Vertrauensverhältnis. Sie lerne unausgesetzt von ihm. "Ich habe ihn während zwei Jahren als sehr verantwortungsbewussten Menschen erlebt, der es nicht mehr nötig hat, den Urwaldaffen zu machen." Dumm nur, dass die Neuaufstellung der Partei jetzt auf halbem Wege steckenbleiben musste.

Prinzip Hoffnung

Heute erzählt die Parteichefin seelenruhig, dass sie Vertreter der Landesparteiorganisationen trifft. In Innsbruck waren es jüngst vier an der Zahl. Andere würden darüber vielleicht eine Träne zerdrücken oder mit Wladimir Iljitsch Lenin einen Parteikongress für Exilierte am Vierwaldstätter See veranstalten. Das Prinzip Hoffnung gründet jedenfalls nicht im alleinigen Erwerb von Zehntelprozentpunkten am Wählermarkt. Maria Stern ist ein Waldorfkind. Geschöpfe der Waldorfpädagogik wagen, sagt Stern, "den Sprung ins kalte Wasser. Weil sie davon ausgehen, dass sie schwimmen können." Wieder schallendes Gelächter. Dabei hat sie mit ihrer Ausbildung als Schauspielerin längst abgeschlossen.

Als Mimin musste sie andauernd tun, was andere von ihr wollten. Und: "Ich erkannte sehr rasch, dass das nur etwas wird, wenn ich mit dem Regisseur ins Bett gehe oder mit dem Produzenten was hab." In der Tat: Dagegen scheint der Schrecken, der heute von Pilz ausgeht, gering.

Irgendwann – Stern, die heute auch singt oder Krimis schreibt, war Tänzerin geworden – "bin ich einmal vor einer Klasse von Neunjährigen gestanden, und was soll ich sagen? Mir ging das Herz auf." Kinder seien die normalsten Menschen auf der Welt. Heute muss sich Stern, die Lehrerin – "Ich bin eine Alphafrau" -, vor allem mit Alphamännern herumschlagen. Aber man kann sich die Kinder oder Junggebliebenen nicht immer aussuchen. (Ronald Pohl, 1.9.2019)