Auch im Schatten einer Wiener Fußballarena gut gelaunt: Rainer Wimmer.

Foto: Robert Newald

Das Treffen mit dem Listenzweiten der Sozialdemokratie gleicht der Begegnung mit einem vermeintlichen Bekannten. Man kennt ihn nicht persönlich, nur vergisst man das im Nu. Rainer Wimmer ist Vorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter-Innen. Seine Herzlichkeit ist echt.

Vereinbart hat man das Treffen auf der wochentags menschenleeren Alszeile in Wien-Hernals, vor der berühmten Friedhofstribüne des Wiener Sport-Club-Platzes. Eine Frage des Kontrastes. Graffiti strahlt papageienbunt von der Mauer herunter. Das Stadion liegt, baufällig, aber stolz, wie ein verwunschenes Schloss inmitten der Vorstadt. Man befürchtet, ein Hustenanfall könnte die Anlage, in der alle zwei Wochen Regionalliga Ost gespielt wird, zum Einsturz bringen.

Aufholjagt

Wimmer (64) ist Hallstätter. Der Wiener Sport-Club sagt ihm nicht viel. "Abgehaust" wirke das ramponierte Schmuckkästchen auf ihn. Kein Vergleich jedenfalls mit seiner eigenen Partei. Wimmer, ein gelernter Elektriker und Bergmann, setzt eine besonnene Miene auf. Die Aufholjagd der Sozialdemokratie habe soeben begonnen! Auf die Frage, welcher Umstand seiner Zuversicht die so dringend benötigte Nahrung zuführe, findet Wimmer eine nicht sofort auf der Hand liegende Antwort. Die Parteivorsitzende ist es, die den Ausschlag geben soll!

Er sagt: "Pamela Rendi-Wagner macht eine gute Arbeit, und sie geht jetzt auch im Umgang mit den Menschen so richtig aus sich heraus!"

In der Tat wollte man mit Wimmer ein ganz bestimmtes Thema über die Bande des Wiener Sport-Clubs spielen. Dessen Anhänger definieren sich strikt antichauvinistisch, feministisch, sportlich, mit einem Wort: fortschrittlich. In der Sozialdemokratie finden sich heutzutage klassische Arbeitnehmervertreter. Sie stehen relativ unverbunden neben Correctness-Sprechern und, zum Beispiel, Globalisierungsverweigerern.

Die Frage an Wimmer hätte gelautet: Wie geht sich das alles zusammen aus in der SPÖ? Man stellt sie nicht. Wimmer sagt: "Ich bin gelernter Betriebsrat und habe ständig mit den Menschen zu tun! Das ist das Metier, bei dem ich mich am wohlsten fühle." Und er hat recht. Seine Themen sind unter anderem: die SPÖ-Forderung nach einem steuerfreien Mindestlohn von 1700 Euro. Die spürbare Anhebung der Mindestpension.

Die Wahlbewegung jetzt sei "eine riesige Möglichkeit, unsere Themen zu kommunizieren". Und doch: Ist es nicht seltsam? Alle Welt redet von Sebastian Kurz, von großen Ohren und schmutzigen Zehennägeln, von den Verwerfungen innerhalb der Freiheitlichen Partei. Die SPÖ plakatiert "Menschlichkeit". Menschlichkeit ist eine feine Sache, aber ...

Unsichtbare Erfolge

Wimmer seufzt. Er und seinesgleichen hätten im Wege von Vereinbarungen tausenderlei Dinge umgesetzt. "Durch das Wirken der Sozialpartnerschaft wurden wichtige Kompromisse verwirklicht." Nur hätten die Menschen irgendwann nicht mehr gewusst, welche Partei für welche Errungenschaften einsteht.

Jetzt sei hingegen die Gelegenheit gekommen, das Profil zu schärfen. Man müsse das "Sponsoring" aufzeigen, das Sebastian Kurz und den Türkisen zuteilwerde. "Es vergeht kein Tag, wo nicht etwas aufpoppt. Du haust oben einen Zehner eini, und unten kommt ein arbeitgeberfreundliches Gesetz heraus!"

Rainer Wimmers Vater war Bergmann. Als der Bub zehn Jahre alt war, verunfallte der Papa in der Grube tödlich. Wimmer sagt: "Meine Mutter war zu Hause, wir waren vom väterlichen Lohn abhängig. Das hat mich tief geprägt. Sätze wie: ,Jö, dein Vater war aber ein braver Mann!' sind schön, helfen dir aber bei der Bewältigung deines Lebens nicht weiter." Er habe seine Gewerkschaftskarriere nicht offensiv betrieben. Immer seien andere auf ihn zugegangen. Mach du das, wir trauen dir das zu!

Und die Verhandlungen mit den Arbeitgebern während endlos scheinender Nächte, der Kampf um ein paar Stellen hinterm Komma auf weiß gedeckten Tischen? "Du bist die ganze Zeit über beschäftigt und hast gar keine Gelegenheit, müde zu sein." Im Fernsehen meint man zu erkennen, die Verhandler laben sich ausnahmslos an Frankfurter Würsteln. Rainer Wimmer widerspricht heftig: "Nicht nur Würsteln." Man habe auch Gulasch und aufgeschnittene Knacker durchgesetzt. (Ronald Pohl, 31.8.2019)