Eie Aufnahme vom 30. August nahe der Stadt Atme in der Provinz Idlib.

Foto: APA/AFP/RAMI AL SAYED

Moskau/Idlib – In der umkämpfen Rebellenbastion Idlib im Nordwesten Syriens ist am Samstagmorgen eine neue Waffenruhe in Kraft treten. "Es sind keine Kampfflugzeuge am Himmel und die Luftangriffe haben aufgehört", sagte der Leiter der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman.

Auch die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Aufständischen an den Rändern des Rebellengebiets seien eingestellt worden. Es gebe aber weiterhin Artillerie- und Raketenangriffe.

Die einseitige Waffenruhe der Regierungstruppen war am Freitag von Russland, dem wichtigsten Verbündeten von Machthaber Bashar al-Assad, verkündet worden. Die russische Armee forderte die Jihadisten und Rebellen in der Region auf, sich ab 06.00 Uhr Ortszeit der Feuerpause der syrischen Regierungstruppen anzuschließen. Die Rebellen zeigten sich allerdings skeptisch. Sie vermuten, dass die syrische Armee die Feuerpause nutzen könnte, um Verstärkungen an die Front zu bringen.

Letzte Waffenruhe nie umgesetzt

Russland und die Türkei hatten im vergangenen September in Sotschi eine Waffenruhe für Idlib ausgehandelt. Mit dem Abkommen wurde eine drohende Offensive des syrischen Machthabers Bashar al-Assad abgewendet, doch wurde es nie komplett umgesetzt. Seit Ende April geht die syrische Armee mit Unterstützung der russischen Luftwaffe wieder verstärkt gegen die Jihadisten und Rebellen in Idlib vor.

Vergangene Woche eroberte die Armee die strategisch wichtige Stadt Khan Sheikhoun. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reiste daraufhin am Dienstag zu Gesprächen mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin nach Moskau und drang auf den Stopp der Offensive. Putin beharrte aber auf der Notwendigkeit, die "Terroristen" in Idlib zu bekämpfen, um die Situation in der Provinz zu "normalisieren".

Stabilisation statt Provokation

Die russische Armee teilte nun mit, die neue Waffenruhe solle "die Situation stabilisieren". Sie rief die bewaffnete Opposition auf, "bewaffnete Provokationen aufzugeben und sich dem Friedensprozess anzuschließen". In dem seit mehr als acht Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieg wurden immer wieder Waffenruhen vereinbart, doch wurden sie meist nicht umgesetzt oder von den Konfliktparteien rasch wieder gebrochen.

Die Türkei forderte mittlerweile eine "Bestätigung", dass die syrische Kurdenmiliz YPG tatsächlich mit dem Abzug ihrer Truppen aus der geplanten "Sicherheitszone" in Nordsyrien begonnen habe. "Es gibt Informationen, dass die YPG abgezogen sind, dass einige Befestigungen zerstört wurden, doch muss dies bestätigt werden", sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar am Freitag. "Wir wollen all dies selbst sehen."

Einigung auf Sicherheitszone

Die Türkei hatte sich Anfang August mit den USA auf die Schaffung einer "Sicherheitszone" an der türkischen Grenze mit den Kurdengebieten in Nordsyrien geeinigt. Große Gebiete im Nordosten Syriens werden von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrolliert. Ankara betrachtet ihre Präsenz wegen ihrer engen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Bedrohung.

Die USA unterstützen die YPG aber seit Jahren im Kampf gegen die Jihadisten mit Waffen und Spezialkräften. Die "Sicherheitszone" soll nun den Sicherheitsbedenken der Türkei Rechnung tragen und eine angedrohte türkische Offensive in Nordsyrien verhindern. Während die Regierung in Damaskus die Pläne als Angriff auf ihre Souveränität verurteilte, stellte sich ihr Verbündeter Russland hinter die Pläne.

Schüsse von türkischen Sicherheitskräften

Türkische Sicherheitskräfte schossen Aktivisten zufolge an einem Grenzübergang zu Syrien in Richtung von Demonstranten im Nachbarland und setzten Tränengas ein. Dabei sei mindestens ein Mensch verletzt worden, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag.

Menschen versammeln sich am 30. August 2019 während einer Demonstration des Grenzübergangs Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Idlib.
Foto: APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR

Andere Aktivisten berichten, die Sicherheitskräfte hätten die Demonstranten mit Gummigeschossen und Tränengas von dem Grenzübergang Bab al-Hawa im Nordwesten Syriens vertrieben. Den Angaben sowie Videos von Aktivisten zufolge protestierten Hunderte Menschen gegen Angriffe der syrischen Regierung auf das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Demonstranten hätten in Bab al-Hawa zudem von der Türkei gefordert, ihre Grenze für Flüchtlinge zu öffnen.

"Unterirdisch und verzweifelt"

Unterdessen wollen sich die Vereinten Nationen für die Evakuierung eines Flüchtlingslagers im Süden Syriens einsetzen, in dem die humanitäre Lage seit langem als katastrophal gilt. Der Leiter des UN-Hilfseinsatzes in Syrien, Panos Moumtzis, sagte am Freitag, die Rückführungen aus Rukban sollten freiwillig geschehen. Die Lage in dem Camp an der jordanischen Grenze sei "unterirdisch" und "verzweifelt".

Nach UN-Angaben leben noch 12.700 Menschen in dem isolierten Lager nahe dem US-Militärstützpunkt Al-Tanaf. Die UNO hatte zuletzt mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond geprüft, wer das Lager verlassen wolle. Laut Moumtzis will rund ein Drittel der Bewohner weg. Die meisten wollen demnach in die Gebiete unter Kontrolle der Regierung, während ein kleinerer Teil in die Rebellengebiete im Norden strebe. (red, APA/dpa, 30.8.2019)