Andreas Gabalier in einer Nachdenkpause. Am Samstag dozierte und musizierte der Steirer im Wiener Ernst-Happel-Stadion.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Nach I sing a Liad für di ging er zu Boden. Am Laufsteg ins Publikum lag er wie ein Bauer, der beim Frühschoppen zu sehr zugelangt hatte und es zuhause gerade noch ins Vorzimmer geschafft hat. Aber es kam, wie es kommen musste zur Wiederauferstehung. Einmal mehr präsentierte er seine gut trainierten Winke-Schinken, klatschte über Kopf wie ein Hampelmann und grüßte die Bundeshauptstadt Wien. "Wien" und "Bundeshauptstadt" hat er zu dem Zeitpunkt schon mindestens 50 Mal gesagt. Bis auf ihn selbst wusste also jeder, wo er sich ungefähr befand, nämlich, auch das kam öfter, in den "legendären Mauern des Ernst-Happel-Stadions". Wer da so redundant Standortbestimmung betrieben hat – das sollte bis zum Schluss so bleiben – war Andreas Gabalier.

Nach einer Viruserkrankung wieder genesen, hielt er am Samstag in Wien Hof. Es war das letzte Konzert seiner Tour zum zehnjährigen Bühnenjubiläum, zwischen 45.000 und 50.000 Besucher wohnten ihr bei. Nachdem er sich von Papierschnipseln befreit hatte, ging es weiter mit Dahoam.

Von Most und Schädln

Das ist eine Ode an die Heimat, vornehmlich an deren Küchengrüße, ihr Schuhwerk und ihre Getränke. Wobei der darin formulierte Beauty-Tipp "Ein Fassl Most macht schön" durchaus diskurstauglich wäre. Man könnte auch sagen, es macht einen Mostschädl. Aber das war natürlich kein Thema, während er mit der Quetsche die Bühne durchmaß und schließlich von einer "Massenveranstaltung" sprach, "die ihresgleichen sucht."

Gabalier und sein Mikrofon. Entgegen anderslautenden Vermutungen ist es keines der Marke Jägermeister.
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Da befand er sich offenbar nicht am letzten Wissensstand, Konzerte in Fußballstadien gibt es öfter einmal. Womit er recht hatte: Nicht jedes erinnert an einen Almauftrieb. Denn natürlich waren wieder viele Fans in der Tracht gekommen, was den Musikanten oben auf der Bühne den ganzen Abend beschäftigte. Wenn er nicht gerade sich selbst, Wien oder die Bundeshauptstadt oder das legendäre Ernst-Happelstadion oder Wien oder sich selbst lobte, dann jene Besucher, die in der Tracht zu ihm – in die Bundeshauptstadt Wien – gepilgert waren. Uff.

"Relaunch der Tradition"

Die Sache mit der Tracht scheint ihm ein besonderes Anliegen zu sein. Minutenlang erging er sich während einer retrospektiven Lobpreisung seiner selbst darin, dass es ihm zu verdanken sei, dass Trachten in ganz Europa wieder reißenden Absatz fänden. Ihm sei ein "Relaunch der Tradition" gelungen, was vor zehn Jahren im Kleinen begonnen habe, sei zu einer riesigen "Bewegung" gewachsen.

Dabei durchmaß er die Bühne wie ein Feldherr nach der Schlacht, das Kreuz durchgebogen, den Schritt breit, das Kinn hoch. Ob und was das für Polen bedeutet, sagte er nicht, aber es gilt ja, damit das einmal hingeschrieben ist, für alles, was er sagt, die Unschuldsvermutung vom Land.

"Red net so vü, spü!"

Nur einige wenige würden nicht kapieren, welche Gnade ihnen angesichts seiner zufiele. Die werden in Gabaliers aktueller Sprachregelung als Randgruppen diffamiert. Oder geklagt, wenn sie sich der Gnade als nicht würdig erweisen oder gar anderer Meinung sind, wie Konzerthaus-Chef Matthias Naske, der das Gericht allerdings mit dem Lächeln des Siegers verließ.

Apropos: Das mit der Meinung drückt den 34-jährigen Steirer überhaupt wie ein Stein im Haferlschuh. So sehr, dass er ein Lied darüber schreiben musste. Es heißt vollkommen originell A Meinung haben. Vorgetragen hat er es sichtbar bewegt von den, seiner Meinung nach, toll gewählten Worten an der Akustischen. Gedacht als manifeste Ansage ist es bloß ein trotziges Bekenntnis zur Sturschädeligkeit, das keine Sekunde lang reflektiert, dass das, was er für sich beansprucht, für andere genauso gilt.

Aber im Oval des legendären eh schon wissen in der eh schon wissen, bei den "Normalen", da ging das rein. Wobei seine Geschwätzigkeit manchen den Auftritt doch zu sehr beeinträchtigte: "Red net so vü, spü!", entfuhr es einem Dirndl im Dirndl irgendwann – was der Krachlederne oben natürlich nicht hören konnte, in ihrem Umkreis aber mit Szenenapplaus bedacht wurde.

Größenwahn und Damenspitz

Doch wenn er nicht gerade in selbstbefriedigenden Superlativen badete, nicht rücklings am Boden lag, nicht in der Abfahrtshocke verharrend um Luft rang, dann spielte er eh. Schließlich nennt er sich ja Volks-Rock’n’Roller. Wobei – schon wieder ein Einspruch – das geht sich nicht aus.

Durchschnaufen vor der nächsten Weisheit: Andreas Gabalier.
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Denn der Rock’n’Roll war ja ein Ausbruch aus dem Reaktionären, während Gabalier für einen Einbruch ins Reaktionäre steht, indem er seine Lieder mit Gefühlen aus dem Heimatfilm der 1950er auflädt. Und Rock’n‘Roll ist sein glatter Mainstream-Rock natürlich keiner. Gabalier klingt eher wie eine Art Bauern-Bon-Jovi, den seine Ansichten und Ansagen als Bon Chauvi ausweisen, so wie er auf Herkunft, Tradition und der vermeintlichen Norm herumreitet. Derlei verbohrte Wesenszüge als die eines "stinknormalen Steirerbuam" auszugeben, ist eine von vielen Anmaßungen, wie sie im Feuchtgebiet von Minderwertigkeitskomplex, Größenwahn und Damenspitz leider öfter einmal gedeihen. Richtig sind sie nicht.

"Halli" und "Hallo"

Doch bevor das Publikum deshalb in eine tiefe Melancholie gerissen wurde, legte er mit seiner gut zwölfköpfigen Band nach und zeltfestete durch Hallihallo. Wem der Text gerade entfallen war, konnte die Wörter "Halli" und "Hallo" unterm Bühnendach in großer Leuchtschrift ablesen.

Gabalier begrüßte schließlich noch "64 Medienvertreter", darunter welche von der New York Times, denen er gleich nahelegte, was sie zu schreiben hätten. Ob eines der bedeutendsten Randgruppenmedien der Welt mit Informationen wie "Mir rinnt des Wossa den Orsch owe" etwas anzufangen weiß, bleibt abzuwarten. In der kleinen heilen steilen Welt des Andreas Gabalier ernteten derlei Geständnisse Applaus – grad so als hätte er seinem Publikum ein bislang unbekanntes Talent offenbart.

Jenes der Bescheidenheit ließ er einmal mehr vermissen. Zumindest für Andreas Gabalier war der Abend "ein legendäres Highlight". (Karl Fluch, 1.9.2019)