Nicht alles auf dem Land ist ein Elend, erst recht nicht in Maria Ellend. Speziell gefördert gehören die ländliche Regionen in Zukunft trotzdem.

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Im Gastkommentar regt Zukunftsforscher Daniel Dettling an, Strukturpolitik neu zu denken. Nur dann lasse sich die wachsende Wohlstandsschere zwischen Städten und peripheren Regionen und damit das Einfallstor für Populisten stoppen.


Eine neue Spaltung fordert die liberale Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt heraus: ländliche Regionen gegen Städte. Was mit der Wahl von Donald Trump in den USA und mit dem Brexit begann, setzt sich in Europa mit dem Wiedererstarken des Rechtspopulismus fort. Besonders erfolgreich ist dieser in den ländlichen Regionen. Der britische Entwicklungsökonom und Bestsellerautor Paul Collier hält in seinem Buch Sozialer Kapitalismus die wachsende Kluft zwischen größeren Städten und entlegener Provinz für die zentrale soziale Herausforderung. Überall in den USA und Europa hängen städtische Ballungsräume den ländlichen Raum ab.

Wirtschaft schrumpft

Der Trend gilt auch für Österreich. Während Städte wie Wien, Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg wachsen, schrumpfen die ländliche Bevölkerung und die Wirtschaft mit der Entfernung zu ihnen. Die Industriellenvereinigung hat in einer aktuellen Studie berechnet, dass die Hälfte des österreichischen BIP auf noch nicht einmal zehn Prozent Fläche erwirtschaftet wird. Der technologische Fortschritt, die Digitalisierung und Automatisierung, wird die Kluft zwischen boomenden Städten und Regionen und schrumpfenden und abgehängten Gegenden beschleunigen und verschärfen. Heute erwarten die meisten Menschen im ländlichen Raum, dass es ihren Kindern in Zukunft schlechter gehen wird.

Um dauerhaft auch im ländlichen Raum Arbeitsplätze zu schaffen und Unternehmen anzusiedeln, braucht Österreich eine neue und nachhaltige Infrastrukturoffensive. Es geht um die richtigen Schlüsse aus den Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel.

Erstens: Globalisierung plus – "Glokalisierung" Der Megatrend der Globalisierung führt entgegen vielen früheren Prognosen nicht zu einem universellen, überall gleich geltenden Lebenswandel. Globale und regionale Identitäten bilden keinen Widerspruch, sie bedingen einander vielmehr. Zukunftsforscher sprechen vom Trend zur "Glokalisierung" – Globalität und Lokalität können sich zu einem neuen Dritten verbinden. Es geht um "Globalisierung plus Regionalisierung". So betreibt China inzwischen eine neue Standortpolitik. In den Metropolregionen hat dort die Konzentration von Schadstoffen derart bedrohliche Ausmaße angenommen, dass man nun die Ansiedlung von Produktionsstätten auf dem Land betreibt. Wo die Grenzen zwischen Urbanität und Regionalität durch eine intelligente Politik der Investitionen und Infrastruktur verschwimmen, entstehen neue Chancen und Perspektiven für den ländlichen Raum.

Zweitens: Daseinsvorsorge sicherstellen, digital wie sozial Der digitale Wandel macht die Entzerrung von Wohnen und Arbeiten möglich. Wenn überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisch in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt produzieren und arbeiten. Arbeit wird multimobil und multilokal. Aktuellen Befragungen zufolge gibt die Mehrheit der Arbeitnehmer an, zum Teil oder überwiegend von zu Hause aus arbeiten zu können. Lange Wege und Pendeln können dank zunehmender Automatisierung und vernetzten Fahrens bald zum Auslaufmodell werden. Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht dezentrale Strukturen von Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung. Die Bedingung dafür ist, dass Breitband und leistungsfähiges, schnelles Internet auch in den Randregionen zum absoluten Muss werden, ebenso wie die Aufrechterhaltung der sozialen Daseinsvorsorge.

Drittens: Die Chancen des demografischen Wandels nutzen Dazu gehört in einer alternden Bevölkerung vor allem die Gesundheitsversorgung. Eine Antwort auf den Ärztemangel vor Ort sind Telemedizin und "Mobile Health". Patienten werden am Telefon oder online behandelt. Lange Wartezeiten und Wegstrecken werden überflüssig. Demografisch bietet der ländliche Raum neue Perspektiven. In vielen Regionen könnte ein "Silver Valley" entstehen für Menschen, die nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit selbstbestimmt und in aktiver Gesundheit ihre neue Freiheit genießen wollen. Das schnelle Internet wird Start-ups auch auf dem Land möglich machen. "Biodörfer" ziehen gestresste Städter und ihre Familien an. Verbraucher und Konsumenten fragen zunehmend nach Qualität, Herkunft und Art der Produktion.

Die Gewinner des Strukturwandels sind künftig jene Regionen, Kleinstädte und Dörfer, die den Wandel offensiv angehen und optimistisch gestalten wollen. Lebensqualität, Bildung und bürgerschaftliches Engagement sind die neuen Standortfaktoren. Eine landesweite Zukunftsstrategie muss das nahe und ferne Umland stärker einbeziehen und innovative Antworten auf den Strukturwandel geben. Gefragt sind innovative Teilstrategien für die Zukunftsthemen Digitalisierung, Mobilität, Gesundheit, Bildung, Arbeit, Kultur und Tourismus. Ziele sind eine bessere Infrastruktur, ein umwelt- und sozial verträglicher öffentlicher Nahverkehr und Kooperationen zwischen Stadt und Land auf Augenhöhe.

Ausgleich gesucht

Bund wie Länder sollten den Strukturwandel aktiv fördern und begleiten. Ziel ist ein neuer Ausgleich zwischen Stadt und Land durch eine neue, innovative Regionalförderung, angefangen bei Anreizen für eine raumübergreifende Zusammenarbeit über den Ausbau von Verkehrsverbindungen und Infrastrukturen bis hin zur Bereitstellung von Risikokapital für Pioniere, Start-ups und Hochschulen. Das alles ist auch eine Geldfrage. Collier macht in seinem Buch dazu einen radikalen Vorschlag. Er spricht sich für eine Besteuerung der Metropolen zugunsten der abgehängten ländlichen Regionen aus, bezahlt von Grundstückseigentümern und gutverdienenden Singles in den Ballungsgebieten. Das Geld soll als Risikokapital in neue Unternehmen und Start-ups fließen, die sich außerhalb von Metropolen ansiedeln.

Wer die wachsende Wohlstandsschere zwischen Städten und peripheren Regionen und damit das Einfallstor für Populisten stoppen will, muss Strukturpolitik neu denken. Der ländliche Raum ist mehr als Landwirtschaft und "Restraum". Er ist auch Wirtschafts-, Kultur- und Industrieraum. Und damit Zukunftsraum für seine Bürgerinnen und Bürger. (1.9.2019)