Am Wochenende hatte es große Demonstrationen gegen den britischen Premier Boris Johnson gegeben.

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London – Im politischen London werden die Gerüchte über eine mögliche baldige Neuwahl des Unterhauses lauter. Am Montagmorgen twitterte die gewöhnlich sehr gut informierte Innenpolitikchefin des öffentlichen Rundfunks BBC, Laura Kuenssberg, Premier Boris Johnson verhalte sich "wie ein Regierungschef, der bereit ist, in eine Wahl zu gehen". Allerdings, fügte sie an, sei dieser Schritt noch "alles andere als unvermeidbar". Am Montagabend sollte allerdings das Kabinett in einer eilig einberufenen Sitzung zusammentreten, hieß es übereinstimmend in Londoner Medien.

Der "Guardian" sprach am Nachmittag ebenfalls von "sehr starken" Gerüchten über eine Neuwahl. Diese solle noch vor dem vorgesehenen EU-Austrittsdatum am 31. Oktober stattfinden, an dem Großbritannien nach aktuellem Stand ohne Deal aus der EU fliegen würde.

Zugleich laufen offenbar Versuche im Parlament, bereits morgen, Dienstag, Johnson zu verpflichten, bei der EU eine Verlängerung der Austrittspflicht zu erbitten.

Der britische Bildungsminister Gavin Williamson wies Gerüchte über eine Neuwahl schon am Vormittag, also vor dem "Guardian"-Bericht, zurück. Johnson denke nicht daran, eine Wahl auszurufen, sagte er. Labour-Chef Jeremy Corbyn erneuerte hingegen seine schon oft vorgetragene Forderung nach Neuwahlen.

Für Aufregung sorgte auch der Vorstoß Williamsons, Parlamentariern, die bei den kommenden Abstimmungen rund um den Brexit gegen die Linie der Regierung stimmen, bei künftigen Wahlen den Antritt für die Tories zu untersagen. Johnson selbst sagte am Montag ein bereits geplantes Treffen mit No-Deal-Brexit-Gegnern in seiner Partei wieder ab.

Proteste am Wochenende

Am Wochenende hatten hunderttausende Briten gegen die Politik von Premier Johnson und seiner Regierung demonstriert. Sie wenden sich gegen den Johnson von seinen Gegnern zugeschriebenen Wunsch nach einem Brexit ohne Deal mit der EU am 31. Oktober. Vor allem aber kritisieren sie die von Johnson jüngst verordnete Zwangspause des Parlaments für fünf Wochen zwischen Anfang September und Mitte Oktober, mit der ihrer Ansicht nach die demokratische Mitsprache der Abgeordneten eingeschränkt werden soll.

Gegen diesen Plan hatte es auch bei den Konservativen Kritik gegeben. Mehrere Abgeordnete sollen mit den Oppositionsparteien darüber im Gespräch sein, wie es nun doch noch möglich wäre, trotz der Parlamentsferien einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Dazu zählt auch, im Ernstfall gegen die Linie der eigenen Partei zu stimmen. Wie die britische Plattform "Buzzfeed" meldet, soll es bereits einen Gesetzesentwurf dazu geben, der von Abgeordneten der Konservativen und Labour – Oliver Letwin, Dominic Grieve und Keir Starmer – stammt. Dieser würde Johnson verpflichten, bei der EU um eine Verlängerung der Austrittsfrist über den 31. Oktober hinaus anzusuchen. Das Gesetz soll demnach bereits morgen, Dienstag, zu Abstimmung kommen.

Barnier will nicht nachgeben

Johnson selbst hatte in den vergangenen Tagen immer wieder betont, er sehe durch die Pause der Parlaments seinen Verhandlungsspielraum mit der EU vergrößert. Wenn die Parlamentarier nicht jede Entscheidung seiner Regierung infrage stellten, könne er seine Vorstellungen mit mehr Autorität vertreten. Bei der EU kann man diese Argumentation dem Vernehmen nach nicht nachvollziehen. Dort wurden vergangene Woche routinemäßige Mitteilungen verbreitet, wie man sie schon in den letzten Monaten immer weider gehört hatte: Die Tür sei offen, bei der Backstop-Lösung für die irische Grenze sehe man aber keinen Verhandlungsspielraum. EU-Chefverhandler Michael Barnier hat dies in einem Gastbeitrag für die extrem EU-kritische Gratis-Tageszeitung "Daily Telegraph" am Wochenende noch einmal betont.

Genau in dieser Frage will Johnson aber, dass die EU nachgibt. Er hat "neue Vorschläge" in der Frage angekündigt. Hintergrund ist der Wunsch beider Seiten, die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen zu halten. Bleibt Irland in der EU, Nordirland aber gemeinsam mit Großbritannien nicht, werden dort Kontrollen nötig. Zur Auflösung dieses Widerspruchs haben die beiden Partner vereinbart, dass Großbritannien auch nach einer Übergangsphase Ende 2020 den Binnenmarkts- und Zollregeln der EU unterworfen bliebt, sollte sich bis dahin keine andere Lösung finden. Die konservativen Anti-EU-Hardliner lehnen dies ab, weil sie die Idee als Verwässerung des Brexits empfinden. Ein internes Papier der britischen Regierung legt laut einem Bericht des "Guardian" aber nahe, dass es bisher keinen guten Alternativvorschlag dazu gibt.

Gute Umfragen

Umfragen zeichnen dennoch ein eher positives Bild für die Regierung Johnson. Dessen Konservative liegen aktuellen Erhebungen nach mit über 30 Prozent der Stimmen auf Platz eins, dahinter folgt Labour mit knapp über und die Liberaldemokraten mit knapp unter 20 Prozent der Stimmen. Die Brexit-Partei von Nigel Farage liegt mit etwa 15 Prozent auf Rang vier. Wie genau sich dieses Ergebnis allerdings im britischen Mehrheitswahlsystem niederschlagen würde, ist nicht ganz klar.

Den Brexit selbst lehnen nach aktuellen Erhebungen knapp über 50 Prozent der Briten ab, dafür sind je nach Umfrage zwischen 40 und 45 Prozent. Beim Referendum im Juni 2016 hatten noch rund 52 Prozent für den Austritt aus der EU votiert. (mesc, 2.9.2019)