Nur mal kurz reinhören? Geht nicht gut. Tools Nummern bauen sich langsam auf und dauern.

Foto: Travis Shinn

Wären sie Singer-Songwriter, sie wären mit dem Output schon verhungert. Fünf Alben in 26 Jahren, und dann, nach 13 Jahren Pause, bloß sieben neue Songs. Aber was für welche: Diese erstrecken sich über 80 Minuten Spieldauer. Das bedeutet für die gängige Aufmerksamkeitsspanne im Streamingzeitalter so etwas wie ein Nahtoderlebnis.

TOOLVEVO

Doch gängig ist keine Zuschreibung, die Tool gerecht würde. Fear Inoculum heißt das Teil, und wahrscheinlich ist im Metal kein anderes Werk so herbeigesehnt worden wie dieses. Zwar sind die Kalifornier in der Zwischenzeit als Tool und in diversen Nebenprojekten aufgetreten, einem neuen Album stand jedoch ein Rechtsstreit mit einer Versicherung im Weg. Vorbei.

Metal für Brillenträger

Tool ist eine der erfolgreichsten und unkonventionellsten Metal-Gruppen. Sie besteht aus Maynard James Keenan, Justin Chancellor, Adam Jones und Danny Carey. Während das Fach trotz zahlloser Untergruppen und Verästelungen grundsätzlich als wertkonservativ verschwitzt gilt und meist innerhalb des Themenbereichs von Tod und Teufel sein Auslangen findet, stehen bei Tool andere Dinge im Fokus.

Tool gelten als Metal für Brillenträger, also nicht für jenes Publikum, das sich über die Bandaufnäher auf dem Jeansgilet definiert. Dazu kommt eine Form, die aus dem Progressive Rock übernommen wurde — was das neue Album deutlich vor Augen führt. Fünf Songs dauern über zehn Minuten. Das allein schon bedingt Strukturen, die eher als Songarchitektur wahrgenommen werden. Tool-Alben muss man sich nachgerade erarbeiten.

TOOLVEVO

Als wesentlicher Baumeister gilt Drummer Danny Carey. Auf seinen Fundamenten errichten Tool ihre Epen. Und zwar mit einer oft klinisch anmutenden Härte. Motoröl wird man auf ihrem Arbeitsgewand keines finden, eher Spuren von Desinfektionsmitteln.

Ihr beherrschter Zugang prägt auch die Konzerte, bei denen sie wie Ingenieure zu Werke schreiten, Proben nehmen, verarbeiten, das Material diversen Belastungen unterziehen. Dafür lieben sie ihre Fans, anderen ist das zu blutleer, zu akademisch.

Tool bauen ihre Songs meist langsam auf. So wie Pneuma, bei dem erst bei Minute neun so richtig angeschoben wird. Dafür entfaltet es eine entsprechende Wirkmacht, denn der Weg dorthin hallt natürlich nach. Mit zäher Beständigkeit wird aufgetürmt und abgetragen, seziert und zerlegt und erneut errichtet.

TOOLVEVO

Esoterische Schwäche

Bei so langen Songs besteht natürlich die Versuchung, Hirnideen nachzugehen. Tool wird oft eine gewisse esoterische Schwäche nachgesagt, die sich in einem leicht psychedelischen Stil niederschlägt, der den Liedern auf Fear Inoculum stellenweise eingeschrieben ist; stören tut das nicht. Wem die Texte über die Psyche von Kriegern zu verstrahlt sind, kann sie ja ausblenden.

Lediglich die beiden kurzen Songs sind entbehrlich. Die klingen tatsächlich wie während der Bachblütenbehandlung erdacht, der Rest sitzt, aber wie. (Karl Fluch, 2.9.2019)