Istanbuls neuer Bürgermeister Ekrem İmamoğlu räumt auf.

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Für viele Istanbuler ist der Wahlsieg des CHP-Kandidaten Ekrem İmamoğlu bei der Bürgermeisterwahl vom Juni der Anfang vom Ende der Ära Erdoğan. Die Hoffnung mag etwas überzogen sein, aber zumindest in finanzieller Hinsicht ist nun einiges in Bewegung, denn mit der Amtsübernahme des charismatischen 49-Jährigen kommen immer mehr Fälle von Verschwendung ans Licht. So stattete die Istanbuler Stadtregierung jahrelang "gemeinnützige" Stiftungen mit üppigen Beträgen aus dem Stadtbudget aus.

Insgesamt hatte die Vorgängerregierung wohl städtische Mittel im Wert von 357 Millionen Lira (rund 55 Millionen Euro) an verschiedene Stiftungen transferiert. Allein im vergangenen Jahr hatte beispielsweise die TÜRGEV-Stiftung 51 Millionen Lira (acht Millionen Euro) aus dem Haushalt der Stadt erhalten. Die Türkische Stiftung für Jugend und Bildung, so der volle Name, wurde 1996 vom heutigen Präsidenten Erdoğan gegründet. Vorsitzende ist seine Tochter Esra Albayrak, die auch Ehefrau des amtierenden Finanzministers Berat Albayrak ist. Insgesamt hatte die Stiftung 232 Millionen Lira (36 Millionen Euro) erhalten.

Millionen fürs Bogenschießen

76 Millionen Lira (zwölf Millionen Euro) gingen unter anderem auch an die TÜGVA, die ein Netz aus Wohnheimen und Schulen für religiöse Schüler unterhält. Auch deren Vorsitzender ist ein Familienmitglied: Bilal Erdoğan, Sohn des Präsidenten. Hinzu kommt eine Reihe kleinerer, ebenfalls religiöser Stiftungen. Der skurrilste Fall ist vielleicht die Stiftung für türkisches Bogenschießen – der türkische Traditionssport wurde üppig mit 16 Millionen Lira (rund 2,5 Millionen Euro) bezuschusst. Bei deren Vorsitzendem handelt es sich ebenfalls um Erdoğan-Spross Bilal. "Es ist unglaublich", sagte Ekrem İmamoğlu vergangene Woche. "Und das ist erst der Anfang."

Das Budget der 16-Millionen-Metropole liegt im diesen Jahr bei 23,8 Milliarden Lira, umgerechnet rund 3,7 Milliarden Euro. Die Ausgaben schlagen also durchaus ins Gewicht. Ende vergangener Woche wurde zudem bekannt, dass zwischen dem 31. März und dem 23. Juni dieses Jahr rund 2.500 Leute bei der Stadtverwaltung neu eingestellt wurden. Nach dem extrem knappem Sieg İmamoğlus bei der Bürgermeisterwahl am 31. März hatte die AKP die Wahl wiederholen lassen, der Kandidat der CHP konnte seinen Vorsprung allerdings nochmals ausbauen. Bis dahin blieb das Bürgermeisteramt in den Händen der AKP. İmamoğlu entließ nun 1.244 dieser Leute wieder.

Ähnliche Fälle in Ankara

Auch in Ankara kommen unter dem neuen CHP-Bürgermeister Mansur Yavaş ähnliche Fälle ans Licht. So hatte sein Vorgänger eine Firma beauftragt, Ausgrabungen vorzunehmen. Das Unternehmen erhielt von der Stadt dafür jährlich 300.000 Lira (knapp 50.000 Euro). Getan aber wurde nichts.

Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung sind allerdings nicht ausschließlich ein Problem der Regierungspartei. Auch der gerade erst abgesetzte Bürgermeister der prokurdischen HDP scheint kein ausgeprägtes Verhältnis zur Sparsamkeit zu haben. So gab Ahmet Türk, Bürgermeister von Mardin, in den vier Monaten seiner Amtszeit 300.000 Lira für Bankette und Verköstigungen aus. Sein AKP-Nachfolger soll bereits die doppelte Summe in Form von Geschenken ausgegeben haben. Und auch in Adana soll die ultranationalistische MHP mehrere Millionen Lira für ein Trinkwasserprojekt verschwendet haben, das nie umgesetzt wurde.

Auf dem Corruption Perception Index der Nichtregierungsorganisation Transparency International rangiert die Türkei auf Platz 78 – von 180 möglichen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 2.9.2019)