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Die französische Frauenministerin Marlène Schiappa hat den Begriff Femizid im Land durchgesetzt.

Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes

Die Aufzählung schien endlos. "Chloé, 33 Jahre, erwürgt in Bar-le-Duc. Sandra, 31 Jahre, erstochen in Bouqueval ..." Das war am vergangenen Mittwoch, als Demonstranten in Paris die Femizide – also Morde an Frauen in Partnerschaften – mit ihren bis dahin 97 Todesopfern ehelicher Gewalt anprangerten.

Inzwischen steht der Zähler auf 100, wie die Frauenorganisation Nous Toutes (Wir alle) am Montag mitgeteilt hat; Polizeistatistiken zum Thema Femizide gibt es nicht. Der letzte Mord durch einen Partner geschah in Frankreich an diesem Wochenende in Cagnes-sur-Mer an der Côte d'Azur. Anwohner hatten in der Nacht einen lauten Streit gehört, bei dem eine Frau rief: "Ich verlasse dich." Am nächsten Morgen fand die Polizei die zur Unkenntlichkeit zugerichtete Leiche der 22-jährigen Frau, weil ein Fuß aus einem Blätterhaufen ragte. Ihr 26-jähriger Freund wurde verhaftet.

Ein Fall von vielen. Im vergangenen Jahr waren in Frankreich 121 Frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner ums Leben gekommen. 200.000 weitere Fälle ehelicher Gewalt wurden registriert. Diese Rekorde dürften 2019 geschlagen werden.

Trauriger Zufall

Jetzt reagiert Präsident Emmanuel Macron, der die Gleichheit von Mann und Frau im Präsidentschaftswahlkampf von 2017 zur "grande cause" erklärt hatte. Seine Staatssekretärin Marlène Schiappa beruft am Dienstag in Paris "Generalstände gegen die Gewalt in der Ehe" ein. Diese Veranstaltung ist seit langem geplant; dass sie nach dem 100. Femizid beginnt, ist nur ein trauriger Zufall.

Die Grenelle, wie solche Veranstaltungen in Anlehnung an Modelle im Bildungs- und Umweltbereich genannt werden, soll bis Ende November dauern und in konkrete Beschlüsse und Maßnahmen münden. Welche, soll erst in den nächsten Wochen und Monaten bekannt werden.

Ihr Anfangsetat beträgt eine Million Euro. Das sei geradezu lächerlich, meint Nous Toutes und verlangt ein Budget von einer Milliarde Euro. Nötig seien mehr Auffangstationen für gefährdete Frauen, mehr Fachpersonal in den Polizeiwachen sowie vorbeugende Kurse an Schulen. Das alles koste Geld, viel Geld.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo wirft Macron offen vor, er belasse es bei schönen Worten. "Gewalt in der Ehe ist kein häusliches, sondern ein politisches Thema", meint die Sozialistin, die bei den Gemeindewahlen von 2020 von einem Macron-Kandidaten herausgefordert wird.

Auch Schiappa muss sich vorhalten lassen, sie bleibe in der Frage der Ehegewalt wortreich und unverbindlich wie ihr Vorgesetzter im Élysée-Palast. Das ist zum Teil unfair, hat doch die Staatssekretärin trotz der sehr beschränkten Mittel ihres Ministeriums schon einiges erreicht. Der vor kurzem noch unbekannte Begriff Femizid hat sich in Frankreich erst im Zuge von Schiappas Internetpräsenz durchgesetzt.

Von der Ohrfeige zum Küchenmesser

Ein neuer Ausdruck rettet zwar nicht die dutzenden Frauen, die in Frankreich womöglich noch in diesem Jahr von ihrem Partner getötet werden. Schiappa wendet ein, dass sich ohne ein Umdenken nichts wirklich ändern werde. Vielen Tätern werde erst im Nachhinein bewusst, wie sie von täglichen Beschimpfungen zu Ohrfeigen übergegangen seien und dann plötzlich zum Küchenmesser gegriffen hätten. Eine Reportage auf dem Fernsehsender France 2 illustrierte am Sonntag den Fall eines Pensionisten, der seine Frau umgebracht hatte – und erst nach zehnmonatiger Therapie im Gefängnis überhaupt zur Einsicht kam, was er seiner Frau über die Jahre angetan hatte.

Wie viel die Generalstände mittel- und langfristig bewirken werden, muss sich zeigen. Tatsache ist, dass Frankreich heute europaweit eine der höchsten Mordraten in Partnerschaften aufweist. Die 100 Todesfälle sind gemessen an der Einwohnerzahl auch mehr als in Spanien, einst führend in dieser traurigen Statistik.

Mit dem Klischee südeuropäischer Machogewalt habe das allerdings nichts zu tun, meint Schiappa. Im Gespräch verweist die Staatssekretärin für Geschlechtergleichheit darauf, dass Deutschland oder England noch höhere Zahlen aufwiesen. Wenn schon, spielten eher soziale Faktoren mit, meint sie. Häusliche Extremgewalt sei auch deshalb ein gesellschaftspolitisches Problem. Zumindest in diesem Punkt herrscht in Paris Einigkeit. (Stefan Brändle aus Paris, 3.9.2019)