Der Schmerz hat auch eine sehr wichtige Schutzfunktion. Er warnt vor den körperlichen Grenzen.

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Er konnte über heiße Kohlen gehen und sich scharfe Messer durch die Arme jagen, ohne Schmerzen zu verspüren, und wurde am Ende 14 Jahre alt. Das außergewöhnliche Leben und der tragische Tod eines pakistanischen Straßenkünstlers verhalfen Wissenschaftern zu einer Entdeckung, die die Behandlung von Schmerzen revolutionieren wird.

Im Jahr 2006 untersuchten Forscher der Universität Cambridge den "Jungen ohne Schmerzen" und sechs Menschen in seiner näheren Verwandschaft. Sie fanden heraus, dass niemand von den Untersuchten zu irgendeinem Zeitpunkt in seinem Leben Schmerzen verspürt hatte. Alle untersuchten Familienmitglieder hatten zahlreiche Prellungen und Schnitte oder Knochenbrüche. Zwei Personen fehlten die Zungenspitzen, nachdem sie sich in der Kindheit selbst gebissen hatten.

Medizinische Untersuchungen ergaben, dass der Bursche und seine Verwandten normal auf Berührung, Temperatur und Druck reagierten und keine Anzeichen einer Nervenkrankheit aufwiesen. Eine Erklärung für die seltene Erkrankung wurde gefunden, als ein Team von Wissenschaftern umfangreiche Gentests durchführte, die zeigten, dass alle Untersuchten eine ungewöhnliche Mutation in einem einzigen Gen trugen.

Gen-Edition

Diese Entdeckung wurde nun mit der sogenannten CRISPR/Cas9-Methode kombiniert. Hinter dem komplizierten Namen verbirgt sich ein Verfahren, das es Genetikern ermöglicht, DNA-Bausteine im Erbgut zu verändern. Mit dieser Methode wurde nun die seltene DNA-Mutation des pakistanischen Burschen vom kalifornischen Start-up Navega Therapeutics an Mäusen nachgeahmt.

Mit der CRISPR-Methode wurde ein Schlüsselmolekül im Rückenmark von Mäusen vorübergehend blockiert. Es handelt sich dabei um ein Gen namens SCN9A. Im Fall des pakistanischen Burschen und seiner Familie handelt es sich um eine Mutation, die das Gen SCN9A vollständig deaktiviert.

In Zukunft könnte diese Methode auch bei Menschen zum Einsatz kommen. Starke Schmerzmittel, die Krebspatienten oder Menschen nach Operationen einnehmen müssen, führen oft in die Anhängigkeit oder haben drastische Nebenwirkungen. Die Einnahme dieser gefährlichen Opioide könnte obsolet werden.

Gefahren

Auch wenn die Vorstellung eines schmerzfreien Lebens verlockend klingt, birgt die weitere Forschung auch Gefahren. Der Schmerz hat auch eine sehr wichtige Schutzfunktion. Das zeigt der tragische Tod des pakistanischen Burschen: Er starb kurz vor seinem 14. Geburtstag an Verletzungen, die er erlitten hatte, als er beim Spielen mit Freunden vom Dach sprang. Er konnte die Gefahr seines Sprungs nicht einschätzen und war sich seiner starken Verletzungen nicht bewusst. (os, 3.9.2019)