Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg schreiben deutsche Publizisten zu Recht von einem Umbruch, vom Ende einer Ära der innenpolitischen Stabilität und von einer letzten Warnung an die Adresse der beiden Volksparteien, CDU/ CSU und SPD. Die AfD, in der ein Rechts-außen-"Flügel", Fremdenfeinde, Antieuropäer und Rassisten immer stärker den Ton angeben, hat im Vergleich zur Wahl 2014 ihren Stimmenanteil in Sachsen auf 27,5 Prozent verdreifacht und in Brandenburg auf 23,5 Prozent verdoppelt. Gegen die Herausforderung von extrem rechts sind in beiden Bundesländern in Zukunft nur Viel-Partner-Koalitionen möglich. Trotz der besonderen Problematik in Ostdeutschland – dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung fühlen sich mehr als ein Drittel der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse! – wirkt ganz Deutschland zunehmend wie ein politisch gelähmtes, wirtschaftlich und kulturell geteiltes Land.

Ist es symbolträchtig, dass ausgerechnet am Jahrestag des von Hitlerdeutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs eine Partei in zwei deutschen Bundesländern zur zweitstärksten politischen Kraft wird, deren Spitzenfunktionäre an einem Neonazimarsch in Athen teilgenommen haben oder das NS-Terrorregime für einen "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte halten? Auch 80 Jahre danach sind die deutschen Gräueltaten von den Opfern nicht vergessen, und das sich abzeichnende Ende der großen Koalition mit der Aussicht auf eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen, überschattet vom Aufstieg der nationalistischen und EU-feindlichen AfD, ist eine beunruhigende Vorstellung.

Politische Hängepartie

Deutschland ist nach 14 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkels und nach dem chaotischen Rückzug Großbritanniens aus der EU der wirtschaftlich stärkste Führungsstaat in Europa. Merkel ist noch Kanzlerin, aber das Ergebnis der beiden Wahlen im Osten wird wohl jene Kritiker bestärken, die sich dafür aussprechen, den Übergangsprozess, die politische Hängepartie früher als im Spätsommer 2021 zu beenden.

Die AfD hat bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg dazugewonnen.
Foto: APA/AFP/ODD ANDERSEN

Die SPD, mit einer ausgebrannten Führungsspitze und einem absurden Spektakel bei der Suche nach einer neuen Doppelführung, befindet sich in einer Dauerkrise. Die miserablen Wahlresultate lassen starke Zweifel aufkommen, ob der von der Basis bevorzugte Ausstieg aus der großen Koalition nach dem Parteitag im Dezember die SPD als Volkspartei noch retten kann.

Bei der CDU schwindet die Hoffnung immer mehr, dass die bereits angeschlagene Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nach den Rückschlägen im Osten und angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage als eine überzeugende Führungspersönlichkeit die Weichen für die Nach-Merkel-Ära stellen könnte. Die AfD hat auch die postkommunistische Linke als Protestpartei im Osten abgelöst. Die Grünen, wenn auch gestärkt, sind in Ostdeutschland noch immer eine Kleinpartei. Ob ihr Höhenflug bei den Umfragen auch bei der Bundestagswahl bestätigt wird, muss also dahingestellt bleiben. Fest steht jedenfalls, dass es in ganz Deutschland keine wirklich führende Volkspartei mehr gibt. Der Führungsstaat der EU, der die EU-Ratspräsidentschaft 2020 übernimmt, wird unberechenbar. (Paul Lendvai, 2.9.2019)