Szene aus einem deutschen Abschiebeflieger. Pro Passagier kommen zwei bis drei Begleiter mit.

Foto: APA/dpa/Michael Kappeler

Wien/Kabul – Laut Plan ist ein Abschiebeflieger aus Wien Mittwochmorgen um acht Ortszeit in Kabul gelandet. Gestartet war er Dienstagabend um 21.30 Uhr in Wien. An Bord, neben der Crew: 50 afghanische Staatsbürger, 120 Bewacher sowie "Beobachter, medizinisches Personal und Dolmetscher, um für eine sichere, würdige und ordnungsgemäße Rückkehr zu sorgen".

Das ist einem dem STANDARD vorliegenden Dokument über den von der europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex durchgeführten Flug zu entnehmen. Er wurde von der spanischen Charterlinie Privilege Style S.A. durchgeführt. Die abzuschiebenden Afghanen kamen aus Österreich, Ungarn, Slowenien und Bulgarien.

Dieselben vier EU-Herkunftsländer scheinen auch auf jener langen, vor wenigen Tagen bekanntgewordenen offiziellen Liste auf (DER STANDARD berichtete), die unter Flüchtlingshelfern und Rechtsvertretern seither für Hektik sorgt.

Gültige Einreisepapiere

Laut dieser "Notification list 04.09.2019" sollen 154 Personen, darunter Familien mit Kindern und ein alleinstehender Minderjähriger, nach Kabul zurückgebracht werden. Alle Aufgelisteten verfügen demnach über die dafür nötigen gültigen Rückreisepapiere. In welchem Zeitraum der Rücktransport all dieser Personen bewerkstelligt werden soll, ist unklar.

Mit auf dem am Dienstag durchgeführten Flug befanden sich laut dem oberösterreichischen Integrationslandesrat Rudi Anschober (Grüne) auch vier afghanische Lehrlinge, deren Asylverfahren mit einer rechtskräftigen Ablehnung geendet hatte.

Anschober: "Inakzeptabel"

"Das ist inakzeptabel", sagte Anschober zum STANDARD. Vor zwei Wochen habe ÖVP-Chef und Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz eine pragmatische Lösung für den Verbleib der österreichweit 881 im Asylverfahren befindlichen Lehrlinge angekündigt – dies jedoch erst als Beschluss einer künftigen Bundesregierung unter seiner Beteiligung.

So lange könne nicht zugewartet werden, sagte Anschober. Er kündigte an, den Parlamentsfraktionen zeitnah konkrete Vorschläge für eine "gesetzliche Korrektur" vorlegen zu wollen, "um den Lehrlingen während ihrer Ausbildung Aufenthaltssicherheit zu geben".

Falls sich dafür eine Mehrheit finde, werde er die Fraktionen um ein "möglichst breites" Einbringen eines entsprechenden Antrags am 25. September in Nationalrat ersuchen, so Anschober. Die Regelung könnte bei der Parlamentssitzung am 26. September beschlossen werden.

Drei Bleibelösungen

Für eine "einfache und kurzfristig umzusetzende" Lehrlingsbleibelösung gibt es laut Anschober drei Möglichkeiten. Entweder man ändere das Bleiberecht, "indem wirtschaftliche Interessen in die Abwägung bei der Zuerkennung einfließen". Denkbar sei auch, den Lehrlingen Anträge im Inland für eine Rot-Weiß-Rot-Karte nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens zu ermöglichen.

Oder aber man schaffe einen neuen Aufenthaltstitel namens "besondere Integrationsleistung" im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz. Anschober: "Jetzt geht es um den politischen Willen. Es hängt alles an der ÖVP. Es geht um die Umsetzung von Versprechungen oder Wortbruch."

Hilfe in Härtefällen

Am Dienstag vor dem Abflug hatten sich Unterstützer und Rechtsvertreter unterdessen intensiv bemüht, auf Grundlage der geleakten Liste in Härtefällen von Höchstgerichten Ausreisestopps zu erwirken. So etwa für die siebenköpfige Familie M. – vier Erwachsene und drei Kinder, darunter ein eineinhalbjähriges Mädchen –, die sich schon im Rückkehrzentrum Schwechat befand. In diese Containeranlage unweit des Wiener Flughafens müssen ausreisepflichtige, aber -unwillige Ausländer übersiedeln.

Beim Verfassungsgerichtshof hatte Familie M. eine Beschwerde samt Antrag auf Aufschiebung des Rücktransports eingelegt. Auf der Liste war sie dennoch vermerkt. Am Montag schließlich, so der Helfer, sprach der VfGH die aufschiebende Wirkung aus.

Gerungen wurde auch um zwei psychisch schwerkranke Männer, die nach Kabul gebracht werden sollten. Einem Mann mit Intelligenzminderung gewährte der Verfassungsgerichtshof in letzter Minute aufschiebende Wirkung, dem zweiten versagte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Interim Measure, die seinen vorübergehenden Verbleib ermöglicht hätte.

Stellungnahme des Ministeriums

In dem Flieger hätten sich weder Frauen noch Familien oder unbegleitete Minderjährige befunden, sondern ausschließlich alleinreisende volljährige Männer, heißt es in einer Stellungnahme des Innenministeriums. Es habe sich "ausschließlich um Personen gehandelt, deren Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde und die sich trotz der vollstreckbaren Verpflichtung zur Ausreise weiterhin in Österreich aufhielten".

Bei Charteroperationen nach Afghanistan, so die Stellungnahme, liege "bei mehr als 40 Prozent der Rückzuführenden mindestens eine rechtskräftig strafrechtliche Verurteilung vor". (Irene Brickner, 4.9.2019)