Ex-Kanzler Kurz fürchtet, dass die Industrie bei strengeren Umweltauflagen ins Ausland abwandern könnte. Eine CO2-Abgabe würde nicht dazu führen, meint Klimaforscher Kirchengast.

APA/Schlager

Wien – Der Klimawandel sei "eine der ganz großen Herausforderungen", meinte ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Montagabend im ORF. Der Ex-Kanzler sparte beim Sommergespräch mit Moderator Tobias Pötzelsberger nicht mit Klimafakten: Rund zehn Prozent der Emissionen Österreichs stammen von einem Unternehmen – der Voest -, sagte Kurz. Das sei etwas, "was kaum jemand weiß". Auch der Ex-Kanzler dürfte dahingehend Wissenslücken haben. Denn Kurz sprach davon, dass die Voest bei schnell hochgeschraubten Umweltvorgaben nach "Polen oder sonst wohin" abwandern würde. So einfach ist das allerdings nicht.

Es ist korrekt, dass die Voest für einen großen Teil der heimischen Emissionen verantwortlich ist. Genau deshalb ist Österreichs Treibhausgasausstoß zuletzt auch zurückgegangen: Weil die Voest einen Hochofen gewartet hat und nicht, weil es eine – von Teilen der Volkspartei postulierte – "Trendwende" gibt. Doch dass der oberösterreichische Industrieriese aufgrund von Umweltauflagen – wie beispielsweise der Einführung einer CO2-Steuer – abwandern würde, ist unwahrscheinlich. Denn der Stahlkonzern wäre von einer nationalen CO2-Abgabe, wie sie es in anderen EU-Staaten gibt, nicht direkt betroffen.

Brüssel zuständig

Wie auch andere Industriekonzerne unterliegt die Voest dem europäischen Emissionshandelssystem. "Jedes seriöse Konzept sieht für Unternehmen, die dem Emissionshandel unterliegen, keine relevante Zusatzbelastung vor", erklärt der Grazer Klimaforscher Gottfried Kirchengast.

Damit es nicht zu einem "carbon leakage" kommt – also einer Abwanderung in Länder mit laxeren Umwelt-Standards -, erhalten energieintensive Industrien kostenlose CO2-Zertifikate. Eine nationale CO2-Abgabe zielt hingegen auf Emissionen ab, die außerhalb des Emissionshandels entstehen – etwa im Verkehrssektor.

"Die Industrien im Emissionshandel bekommen durch Gegenrechnung de facto die Differenz zwischen dem CO2-Preis und dem Emissionshandelspreis zurück", meint Kirchengast. "Sie würden durch eine solche Steuerreform also nichts wirklich verlieren." Auch Kurz' Argument, eine CO2-Abgabe würde vor allem sozial schwächere Haushalte auf dem Land treffen, lässt Kirchengast nicht unkommentiert: "Jeder seriöse Reformvorschlag beinhaltet einen sozialen Klimabonus, der genau das abfedert." Diese Aspekte würden in der Außenkommunikation der ÖVP "leider bewusst ignoriert" werden. "Auch die Drohung mit Industrieabwanderung gehört zu dieser meines Erachtens irreführenden Erzählstrategie."

Wasserstoff als Wundermittel fragwürdig

Kurz erwähnte im ORF auch sein Vorhaben, Österreich zur "Wasserstoffnation Nummer eins" zu machen. Dieser Idee kann Kirchengast nur wenig abgewinnen: "Wasserstoff wird massiv überpropagiert", kritisiert der Forscher. Dabei sei die Technologie "für Massenmobilität viel zu ineffizient". Wasserstoff sei für normale Autos rund 2,5-fach weniger energieeffizient als Batteriemobilität. "Die grüne Wasserstofferzeugung aus Elektrolyse ist derzeit auch noch unökonomisch."

Konzerne, die ihr Geld mit fossilen Energieträgern verdienen, würden daher bereits jetzt auf Erdgas als Übergangslösung spitzen. "Das ist ein klimafeindliches trojanisches Pferd, das da kommen will", warnt Kirchengast. "Man darf aus öffentlicher Hand nicht Fehlkonzepte in der Mobilität fördern."

Für Kurz dürfte die Argumentation von einem der renommiertesten Klimaforscher des Landes, der die Wissenschaft auch im nationalen Klimaschutzkomitee vertritt, jedenfalls nicht ausreichen. Angesprochen auf die Meinung von Kirchengast zum Wasserstoff, sagte der Ex-Kanzler im ORF: "Es gibt in der Wissenschaft immer unterschiedliche Meinungen." (Nora Laufer, 4.9.2019)