Aus dem Dutzend an Holzhäusern mit Schilfdach am ungarischen Ufer des Neusiedler Sees sticht eines wegen seines prachtvollen Blumenschmucks besonders heraus. Als Andrea Gyuricza, seine Besitzerin, vor rund einem Monat in einer lokalen Zeitung eine Zeichnung sah, die den geplanten Umbau des Seeufers bei Fertörákos abbildete, erschrak sie: Die schilfbedeckten Holzhäuser waren darauf wie ausradiert. Quasi überschrieben von dem ambitiösen Hotel- und Freizeitkomplex, der dort mit ungarischen Regierungsgeldern im Umfang von umgerechnet etwa 70 Millionen Euro aus dem Boden gestampft werden soll.

"Uns Hauseigentümern hat man nichts gesagt, man hat uns nicht verständigt", sagt Gyuricza, die den Wert ihrer Immobile mit 300.000 Euro angibt. Die in den 1960er-Jahren errichteten Holzhäuser stehen auf Pfählen im Wasser des Neusiedler Sees. Ursprünglich waren es betriebliche Urlaubsheime. Nach der Wende vor 30 Jahren wurde ein Teil von ihnen an Privatpersonen wie Gyuricza oder auch einige Österreicher verkauft. Für die Nutzung der Wasserfläche, über der ihre Immobilien stehen, bezahlen sie eine Gebühr an den ungarischen Staat.

Die noch stehenden Holzhäuser in Fertörákos werden bald einem Vier-Sterne-Hotel inklusive Freizeitpark und Yachthafen weichen müssen.
Foto: Gregor Mayer

Die privaten Eigentümer haben viel Geld und Liebe in den Erhalt und die Verschönerung der Häuser gesteckt. Deren Anblick fügt sich organisch in das Landschaftsgepräge an Europas größtem Steppensee ein. "Es ist das am meisten fotografierte Motiv am ungarischen Ufer des Neusiedler Sees", sagt Johann Hirschhofer, der österreichische Eigentümer eines der Pfahlbauten. "Die Leute schauen sich das gerne an, auch von den Ausflugsschiffen aus. Bilder von diesen Häusern finden sich auf Postkarten, auf Umschlägen von Reiseführern."

Brand als Vorzeichen

Für die hochtrabenden Pläne der Budapester Machthaber gab es ominöse Vorzeichen. Im Juni 2017 brannten zehn von 21 Holzhäusern ab. Es soll ein Arbeitsunfall bei Dachdeckerarbeiten an einem der Häuser gewesen sein. Die betroffenen Eigentümer erhielten ihre Versicherungssummen ausbezahlt, zugleich aber auch amtliche Bescheide, die ihnen untersagten, ihre Häuser wieder aufzubauen. Im Sommer 2018 erhielten die Besitzer der intakten Häuser Bescheide, die ihnen jede wertsteigernde Investition untersagten. Gyuricza dachte damals noch gutgläubig, dass wegen des Feuers neue Brandschutzbestimmungen in Ausarbeitung seien.

Erste konkrete Pläne für die Rekonstruktion des Ufers bei Fertörákos wurden zu Beginn dieses Jahres bekannt. Sie muten gigantomanisch ein. Ein Vier-Sterne-Hotel mit 100 Betten, ein Parkplatz für 880 Autos, ein Freizeitpark, ein Yachthafen und ein Ökozentrum sollen da entstehen (siehe Grafik unten). Eine staatliche Entwicklungsgesellschaft, die Sopron-Fertö Turisztikai Fejlesztö Nonprofit Zrt. (Fremdenverkehrsentwicklungsagentur für Sopron-Neusiedler See) wurde gegründet und zum Träger der Investitionen bestimmt. Was am Ende mit dem fertigen Komplex geschehen soll, dazu hat sich noch kein Regierungsverantwortlicher geäußert.

Grafik: DER STANDARD

Orbáns Tochter involviert

In der Regel läuft dies aber in dem vom Rechtspopulisten Viktor Orbán regierten Ungarn so ab, dass eine solche Pfründe an einen Orbán-nahen Oligarchen zur gewinnbringenden Nutzung vergeben wird. Im konkreten Fall wird gemunkelt, dass Orbáns Tochter Ráhel nach einigen Aufenthalten in Fertörákos starken Gefallen an dem Uferabschnitt gefunden habe. Sie ist mit dem auch im Immobiliengeschäft aktiven Jungoligarchen István Tiborcz verheiratet. Die Entwicklungsagentur ist der Ungarischen Fremdenverkehrsagentur (MTÜ) unterstellt, in der wiederum Ráhel Orbán zwar keine Funktion hat, der MTÜ aber, wie es so schön heißt, "beratend zur Seite steht".

In Fertörákos und der nahen Grenzstadt Sopron (deutsch Ödenburg) weiß man sich jedenfalls einen Reim darauf zu machen. Das Freibad am See war in diesem Sommer zum Leidwesen der Soproner bereits geschlossen. Die Büffetiers mussten ihre Kabanen auf eigene Kosten abtragen. Die Entwicklungsagentur begann mit dem Fällen von Bäumen und dem Abtragen von Schilf.

Den beiden Schifffahrtsunternehmen, der österreichischen Drescher und der Firma des Ungarn Árpád Nemes, wurde zu Jahresbeginn beschieden, sie mögen ihre Schiffe aus Fertörákos abziehen, ehe sie dann doch noch eine Gnadenfrist bis 31. August erhielten.

Die "stumme Macht"

"Was nächstes Jahr sein wird, weiß niemand", sagt Nemes dem STANDARD. "In dieser Saison haben wir wegen des begrenzten Zugangs und des entfallenen Strandbetriebs einen Einbruch auf 25 Prozent des letzten Jahresumsatzes." Wie die Pfahlhauseigentümer beklagt auch Nemes, dass man von der Entwicklungsagentur keine Informationen bekomme, dass deren Chef Béla Kárpáti "für keinen Sterblichen erreichbar" sei. "Du stehst einer stummen Macht gegenüber", meint sein Freund, der Hobbysegler András Holló.

Auch der STANDARD war bemüht, eine Stellungnahme von Kárpáti einzuholen. Nach mehreren Telefonaten erklärte eine Sekretärin: "Wegen laufender internationaler Verhandlungen kann Generaldirektor Kárpáti derzeit keine Erklärungen abgeben."

Niemand in Fertörákos bestreitet, dass das ehemalige Freibad und die stark vernachlässigte Infrastruktur einer Erneuerung bedürfen. Die derzeit vorliegenden inspirierten Pläne drohen aber nicht nur massiv in die Rechte der dort lebenden und ihren Tätigkeiten nachgehenden Menschen einzugreifen, sondern auch das delikate ökologische Gleichgewicht am Steppensee auszuhebeln.

Auch die Natur ist betroffen

"Da werden bedeutende Flächen versiegelt, die natürlichen Lebensräume von geschützten Arten sind betroffen, wichtige Feuchtgebiete drohen zu verschwinden", erklärt der freiberuflich tätige Umweltexperte Zoltán Kun. Der Neusiedler See ist in seiner Gesamtheit Unesco-Weltkulturerbe, er ist ein Schutzgebiet im europäischen Netz Natura 2000, und seine beiden Anrainerstaaten haben ihn unter den Schutz der internationalen Ramsar-Konvention zur Bewahrung von Feuchtbiotopen gestellt.

"Man kann natürlich das Ufer verbauen – und offenbar gibt es da auch auf der österreichischen Seite bedenkliche Pläne", so Kun, "aber dann wird die Seelandschaft ihr gegenwärtiges Gepräge, ihren Charakter verlieren. Du kannst es dann weiter 'Naturschutzgebiet' nennen, nur mit Naturschutz hat das dann nichts mehr zu tun." (Gregor Mayer, 5.9.2019)