Wenn man Wellensittichen eine Tugend wie Mut zubilligen mag, dann einem wie Burli. Der grün-gelbe Vogel geht bereitwillig in die Box, die für ihn Arbeit, aber auch Belohnung bedeutet – irgendwo in seinem kleinen Kopf hat er das, wie es scheint, gespeichert. Es dauert ein paar Momente, bis er sich an die unbekannten Beobachter gewöhnt hat, einen Journalisten und einen Fotografen vom STANDARD, danach macht er, was man von ihm erwartet: Burli pickt auf einen Punkt auf einem Display, der wie ein Häufchen Hirse aussieht und sich bewegt. Ein bestimmter Ton erklingt, es rieselt Körner auf den Boden der Kiste. Irgendwann einmal sollte er imstande sein, einen Ton A, bei dem es vielleicht die besagte Belohnung gibt, von einem Ton B zu unterscheiden. Und am Ende soll feststehen, ob ein Wellensittich wie er musikalisch von Natur aus ist, quasi Rhythmus im Blut hat.

Wellensittich Burli schafft den Trick mit dem Display und holt sich so den Kick mit ein paar Belohnungskörnern.
Foto: Fischer

Burli scheint heute besonderen Appetit zu haben. Er pickt öfter auf diesen Punkt am Display, nur selten verfehlt er ihn. Dazwischen läuft er aufgeregt auf einer Stange auf und ab, schaut aus dem Gitter. Auch jetzt scheint er keine Angst zu haben. "Er ist ziemlich neugierig", sagt Marisa Höschele, jene Kognitionsbiologin, die mit ihm und den anderen Wellensittichen, einige sind grün-gelb, einer blau, einer gräulich, arbeitet. Die Vögel leben in zwei nebeneinander stehenden Käfigen. Die Raumluft hier in der Wiener Althanstraße ist recht feucht, denn dabei fühlen sich die Tiere, die man aus der Tierhandlung hat, wohl. Da wird geträllert, was das Zeug hält. Die Wissenschafterin und ihr Team sind das gewöhnt, Besucher packt recht schnell der Gedanke an Flucht aus diesen vier Wänden.

Burli zeigt später auch keine große Scheu, sich in die mit Körnern gefüllte Innenhand der Wissenschafterin zu setzen. Der Fotograf hat seine Freude mit dem tapferen Vogel. Man muss nur aufpassen, dass er sich bei offener Käfigtür nicht aus dem Staub macht. Höschele, die kanadisch-deutsche Wurzeln hat, lächelt. Das bisher letzte große Medienecho, das bei einem Thema wie Wellensittiche und Musikalität logisch scheint, brachte sie für eine Stunde als Gast in eine Hörfunksendung: Das erleben Wissenschafterinnen nicht gar so oft.

Frage der Aussprache

Heute wirkt die Wissenschafterin fast schon wie ein Medienprofi: Seit 2018 ist sie am Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und leitet die neue Forschungsgruppe "Musikalität und Bioakustik". Während sie die Tiere zeigt, spricht sie mit einem ihr assistierenden, ausschließlich englischsprachigen Studenten über Burlis Charakter und nennt den Vogel dabei "Börli". Das irritiert: Das ostösterreichische "Buali" können beide Biologen aber verständlicherweise nicht so leicht aussprechen.

Sie erzählen beiläufig, dass Versuche mit den Wellensittichen auch scheitern können: Wenn die Tiere gerade nicht wollen, dann ignorieren sie nämlich Höschele und ihr Team und singen in Richtung der Artgenossen. Was sie sich dabei wohl erzählen? Höschele sagt, dass man auch bei anderen Tieren schon oft versucht habe, Kommunikationsgeräusche zu deuten. Man kann bisher nur relativ gesichert sagen, welche Gefühle in diesen Tönen verpackt sind. Tiere in Erregung klingen eben deutlich anders als Artgenossen, die tiefenentspannt sind.

Die verschiedenen Farben der singenden Wellensittiche
Foto: Fischer

Als Besucher des Wellensittichlabors fragt man sich natürlich: Warum all die Mühen? Höschele hat es sich zur Aufgabe gemacht, die biologischen Wurzeln der Musikalität zu erforschen, die es aus ihrer Sicht neben kulturellen, erlernten Vorlieben für musikalische Rhythmen geben muss. Anders gesagt: "Der Mensch ist nicht das einzige Tier, das musiziert." Beispiele gebe es genug: Papageien machen Geräusche nach, die sie hören, sie wiegen sich im Rhythmus und zeigen dabei eine zutiefst menschliche Seite. Singvögel können Geräusche kopieren. Von Kohlmeisen weiß man, dass sie ihre Gesänge von ihren Eltern lernen. Auch Raben haben ein recht gutes Gehör für den perfekten Ton: Sie können viele Geräusche nachahmen, sogar den Klang von Wassertropfen. Höschele: "Das klingt recht komisch." Die meisten Tiere haben aber keinerlei Variabilität in den Tönen, die sie von sich geben, sie sind nicht musikalisch. Hunde etwa bellen immer gleich.

Zur Musik fähig

Prinzipiell sind nur Tiere zu Musik fähig, die sich mit Lauten untereinander verständigen: Elefanten, Delfine, aber auch Fledermäuse zählen dazu. Wellensittiche gehören zur Familie der Papageien, eignen sich also hervorragend für Tests zur Musikalität, außerdem sind sie natürlich deutlich leichter in Versuche zu integrieren als Elefanten oder Delfine. Höschele beschreibt ihre Intention: "Wir untersuchen, wie Wellensittiche Töne wahrnehmen. Wir trainieren sie darauf, auf verschiedene Geräusche zu reagieren – und möchten herausfinden, welche Geräusche sie als ähnlich empfinden und nach welchen Kriterien sie das entscheiden. Ist es für sie wichtiger, ob der Ton hoch oder tief ist? Oder von welchem Instrument der Ton stammt?"

Bei Präferenzstudien können die Wellensittiche zeigen, welche Musik sie hören wollen. Das Forscherteam spielt aus mehreren Lautsprechern unterschiedliche Geräusche, allerdings nur, wenn die Vögel davor sitzen: zum Beispiel rhythmischen oder nicht rhythmischen Wellensittichgesang, konsonante oder dissonante Akkorde, und die Tiere entscheiden, vor welchem Lautsprecher sie sitzen wollen.

Er will nur singen

Das Team um Höschele hat dabei herausgefunden, dass weibliche Vögel, wie Menschen auch, eine klare Vorliebe für Rhythmus zeigen. Weibliche Wellensittiche sitzen lange da und hören zu. Die Männchen haben deutlich weniger Interesse am Zuhören, die würden das wohl lieber selbst machen. "Vielleicht, weil normalerweise sie es sind, die für die Weibchen singen", sucht Höschele nach einer logischen Erklärung. Etwas Menschliches darin zu sehen wäre wohl übertrieben. Obwohl es natürlich auch Männern mitunter recht schwer fällt, einfach nur zuzuhören. (Peter Illetschko, 8.9.2019)