Die weltweite Besorgnis über die Proteste und Unruhen in Hongkong und die Gefahr eines militärischen Eingreifens Chinas sollten beim Peking-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel eigentlich nicht zur Sprache kommen. Zumindest nicht öffentlich. Chinas Protokoll begrenzte von Anfang an die Zahl der Journalisten. Zur vorgesehenen Pressekonferenz von Merkel und Premier Li Keqiang am Freitag lud es die bei ähnlichen Regierungsbesuchen üblicherweise teilnehmende internationale Presse diesmal nicht ein. Dazu wurden überraschend in Peking akkreditierte deutsche Korrespondenten auch ausgesperrt. Diplomaten erhielten dafür eine absurde Begründung: "Der vorgesehene Raum in der Großen Halle des Volkes ist viel zu klein."

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Peking provozierte einen Eklat. Es ließ nur an die wenigen aus Deutschland mitgereisten Pressevertreter und an chinesische Journalisten den begehrten gelben Passierschein verteilen, der ihnen Zugang zur Großen Halle und zur Pressekonferenz erlaubte. Zudem durften sie jeweils nur eine Frage stellen. Die Korrespondenten aus dem fernen Berlin, so das Pekinger Kalkül, würden wohl kaum nach dem Thema Hongkong fragen.

Doch dann kam alles anders als geplant. Nach zähem diplomatischem Feilschen ließ sich Chinas Protokoll vier weitere Passierscheine abringen. Auch der STANDARD erhielt einen. Und der Berliner Vertreter von Reuters wollte dann von Merkel partout wissen, wie sie zu den Hongkonger Entwicklungen stehe, und fragte zugleich Li, ob Chinas Führung militärisches Eingreifen dort ausschließt.

Auch der Korrespondent des STANDARD erhielt einen Passierschein für die Merkel-Pressekonferenz.
Foto: Erling

Die Spannung im Saal war zu greifen. Merkel antwortete als Erste. Sie sprach Klartext. Hongkong werde nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" regiert, seiner Gesellschaft besondere bürgerliche Freiheiten zugesichert. "Ich habe Chinas Führung darauf hingewiesen, dass Recht und Freiheit gewährleistet werden muss." Lösungen müssten im Dialog gefunden werden. Merkel lobte als ersten "wichtigen Schritt" dazu die Zurücknahme des umstrittenen Auslieferungsgesetzes durch Verwaltungschefin Carrie Lam, die damit eine der Forderungen der Massenproteste erfüllte. "Jetzt muss alles darangesetzt werden, den Dialog zu führen und Gewalt zu vermeiden."

Premier Li wartete erst einmal die Frage der chinesischen Journalistin ab, wie es mit Chinas Reformen weitergeht. Dann nahm er auch zu Hongkong Stellung. Es war die erste Aussage aus der chinesischen Führung dazu. Li wägte seine Worte ab: "Wir unterstützen die Hongkonger Regierung, um mit gesetzlichen Mitteln Chaos und Unordnung zu stoppen." China sei zu einer solchen Politik "in der Lage". Es habe "auch die Weisheit dazu". Ohne es direkt zu sagen, verneinte Li damit, dass militärische Lösungen für Peking eine Option sind.

Angela Merkel wünscht sich eine friedliche Lösung für Hongkong.
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Möglich wurde die eigentlich ungewollte Diskussion über Hongkong, die China sonst immer brüsk als Einmischung denunziert, weil Peking in Merkel eine Verbündete gegen die derzeitigen Unwägbarkeiten der unilateralen und protektionistischen US-Politik und den Handelskrieg mit Washington sieht. Dank ihrer vielen China-Besuche hätten sich "gesunde und starke Beziehungen" zwischen beiden Ländern entwickelt, sagte Li. "Merkel ist uns immer willkommen."

Das gilt für ihren zwölften China-Besuch umso mehr, auf dem sie am Samstag auch die binnenchinesische Flussmetropole Wuhan besucht. Merkel will sich für eine baldige Vereinbarung eines Investitionsschutzabkommens zwischen China und der EU einsetzen. Peking verhandelt das von ihm begehrte Abkommen bereits seit 2013. Es ist eine der Voraussetzungen, bevor China mit der EU darangehen kann, ein künftiges Freihandelsabkommen zu vereinbaren.

Merkel sagte, dass sie im zweiten Halbjahr 2020 das EU-Projekt "zum Abschluss bringen" wolle, wenn Berlin turnusmäßig die Ratspräsidentschaft der EU übernimmt. Dazu werde sie kommendes Jahr einen besonderen EU-China-Gipfel in Deutschland einberufen, an dem sämtliche Staats- und Regierungschefs der EU sowie Chinas Staatspräsident teilnehmen sollen. Doch EU-Experten warnen, dass Peking zuvor noch viele Hausaufgaben in Sachen Reformen zu machen hat und seine Marktzugänge weiter öffnen und verbessern müsse. (Johnny Erling aus Peking, 6.9.2019)