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Die AfD und auch die FPÖ sind gesellschaftlich stärker durchmischt als von liberalen Schichten angenommen.
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STANDARD: Im Gegensatz zu anderen Analysten sehen Sie die Gründe für das Erstarken der rechtspopulistischen Parteien nicht in der Flüchtlingskrise, sondern in einem Epochenbruch. Wie würden Sie diesen beschreiben?

Koppetsch: Der Beginn dieses Epochenbruchs liegt sicherlich schon in den 1970er-Jahren. Aber vor 30 Jahren nahm die Globalisierung an Fahrt auf, die diesen Bruch schließlich herbeiführte. Durch Wirtschaftsbeziehungen, die sich zunehmend transnational verflechten. Mit mächtigen Unternehmen, die der Politik zunehmend die Bedingungen diktieren. Eigentlich sollte die Politik vorschreiben, wie viel Steuern zu zahlen sind, sie sollte diese Unternehmen kontrollieren und Lohnarbeiter schützen. Aber mittlerweile hat sich das Kräfteverhältnis umgekehrt. Zudem kommt, dass das Politische supranationalisiert wird, beispielsweise durch die EU, was bedeutet, dass wesentliche Gesetze vorbei an den demokratischen Parlamenten und Öffentlichkeiten implementiert werden. Drittens würde ich die Migration erwähnen, die durch die Globalisierung verstärkt wurde. Menschen kommen in die reichen Länder und führen so zu einer Veränderung und Vervielfältigung von Lebensformen. Dieser Übergang von der Industriemoderne zur "globalen Moderne" führt zu Konflikten und Verwerfungen in allen sozialen Klassen.

STANDARD: Von diesem Umbruch haben bei weitem nicht alle profitiert. Sie sprechen von einer "Querfront der Verlierer".

Koppetsch: Ja. Es ist ein internationales, auch in den USA zu erkennendes Phänomen, das überall dort auftaucht, wo es viele Globalisierungsverlierer gibt. Die sind einerseits ökonomischer Natur. In Deutschland macht der Niedriglohnsektor 22 Prozent aus, das liegt über EU-Durchschnitt. Die Unternehmen fangen an, Länder gegeneinander auszuspielen. So kommt es zu Lohndumping, unter dem die unqualifizierten Lohnarbeiter, Niedriglöhner und Prekären leiden. Dazu kommen diejenigen, die kaum von ihrem Einkommen leben können: Hartz-IV-Empfänger, alleinerziehende Mütter, Paketzusteller etc. Dann gibt es noch die Verlierer ideologischer Natur, die mit dem grünen Liberalismus der urbanen Kosmopoliten wenig anfangen können: So fürchten Konservative um ihren Einfluss auf Politik, Gesellschaft und Bildung.

STANDARD: Ist der Eindruck richtig, dass diese Spaltungen auch hervorgerufen werden, weil es gerade in den Städten nur noch wenig Austausch zwischen unterschiedlichen sozialen Klassen gibt?

Koppetsch: Zumindest in Deutschland mischen sich die sozialen Klassen wenig. Die Chance auf sozialen Aufstieg hat in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Wer im sozialen Brennpunkt geboren wurde, geht in eine Brennpunktschule. Wer am Prenzlauer Berg geboren wurde, besucht oftmals ein exklusives Gymnasium. Wir übersehen auch, wie sehr der Anstieg der Mieten dafür gesorgt hat, dass wir in immer homogeneren Gemeinschaften in den städtischen Vierteln leben. Unterschiedliche Weltsichten kommen so nur noch wenig zum Austausch, eher reproduzieren und manifestieren sich die Lebensformen in diesen sehr homogenen Stadtteilen. Das Verständnis füreinander, das sich früher in einem solidarischen Projekt wie der sozialen Marktwirtschaft manifestiert hat, ist verlorengegangen, was sich auch im Niedergang der Volksparteien zeigt, die früher als Klammer über gesellschaftliche Verwerfungen und soziale Klassen hinweg fungiert haben. Solidarität beschränkt sich heute nur noch auf die eigene Gruppe, deren Weltsicht man teilt.

STANDARD: Auf der einen Seite des Konflikts sehen Sie eine urban geprägte Mittelschicht, die sich grünen Ideen der Gleichberechtigung und des Mulitkulturalismus verschrieben hat.

Koppetsch: So ist es. Die meisten Grünen, Liberalen oder Kosmopoliten in den Großstädten sind sich gar nicht bewusst, dass sie sich nur mit ihresgleichen umgeben oder wie stark auch sie in das Leben anderer Menschen eingreifen, indem sie sich abgrenzen und damit zur sozialen Segregation beitragen. Sie tun das nicht als Einzelpersonen, sondern als soziale Klasse, die den Ton in der Gesellschaft angibt. Sie sind zutiefst überzeugt, dass sie das Richtige und Gute tut, wenn sie sich für die Umwelt, für vegetarisches Essen, Transgender oder Flüchtlinge starkmacht, wobei der Einsatz für Migranten als humane Geste verstanden wird. Ein Leben mit dem "Fremden" wird von dieser sozialen Klasse auch nicht wirklich in Betracht gezogen.

STANDARD: Warum wird der Eingriff in andere Lebensformen als Bevormundung aufgefasst? Vor allem von jenen, die in der Provinz, m ländlichen Raum, leben.

Koppetsch: Wer auf dem Land lebt, auf ein Auto angewiesen ist, denkt anders als ein Städter, der alle Wege mit dem Fahrrad zurücklegt. Auf dem Land greifen Vorschläge, dem Klima zuliebe auf Fleisch zu verzichten, anders in den Lebensstil ein als in einem urbanen Milieu. Dieser Eingriff in ländliche Lebensstile wird von der dortigen Bevölkerung als Bevormundung empfunden, was Wut, Zorn, Gefühle der Kränkung, Abwertung und des Kontrollverlusts generiert. Die Identität dieser Gruppe, die es natürlich nicht nur auf dem Land gibt, ist eher in alten Strukturen verhaftet. Für sie bedeutet Staat und Nation noch Sicherheit und Wohlstand. Wiederum empfinden die Kosmopoliten die konservativen Lebensstile als rückwärtsgewandte Bedrohung für ihre eigene Lebensform der Vielfalt und ihre eigenen Privilegien. Diese Gruppen oder "Neogemeinschaften" kapseln sich immer mehr voneinander ab. Man pflegt auch seine gruppentypische Sprache, die es schwermacht, eine Brücke zwischen den Gruppen herzustellen. Die Folge ist eine ausgeprägte Diskursunfähigkeit.

Cornelia Koppetsch, "Die Gesellschaft des Zorns: Rechtspopulismus im globalen Zeitalter". Euro 19,99 / 288 Seiten, Transcript, 2019
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STANDARD: Die rechtspopulistischen Parteien wie die FPÖ, die AfD in Deutschland oder die PiS in Polen und Politiker wie Donald Trump nutzen diese Verwerfungen der Globalisierung für sich. Sie sprechen von einem "symbolischen Kultur- oder Klassenkampf", der sich in dem Aufkommen dieser Parteien widerspiegelt. Was meinen Sie damit?

Koppetsch: Bei AfD-Wählern handelt es sich nach Ansicht von Vertretern der liberalen Schicht entweder um Nazis, Verrückte in Parallelgesellschaften oder um ökonomisch abgehängte Globalisierungsverlierer. Tatsächlich ist die Durchmischung der AfD und auch der FPÖ viel größer. Anhand dieser Parteien und Politiker wird der Kampf um eine bestimmte Kultur ausgefochten, wobei Kultur ein konstitutives Element von Gesellschaften darstellt, um das man sich streitet. Es ist ein Konflikt zwischen Normen und damit auch ein Konflikt hinsichtlich der Frage, welche Gruppen überhaupt Einfluss nehmen sollen in der Gesellschaft, um eben Normen und ein gesamtgesellschaftliches Narrativ zu definieren. In diesen Parteien sammeln sich diejenigen, die sich in der Gesellschaft aus verschiedenen Gründen nicht mehr in der Gesellschaft und ihrem Hauptnarrativ aufgehoben fühlen. Rechtspopulismus ist demnach eine Gegenbewegung gegen die unterschiedlichen Auswirkungen der Globalisierung.

STANDARD: Wie kommen wir wieder raus aus diesem Schlamassel? Wie können wir den destruktiven Kräften des Rechtspopulismus Einhalt gebieten?

Koppetsch: Wir müssen wieder mehr in den Dialog miteinander treten, sollten uns weniger untereinander und voneinander abschotten. Die Gesellschaft müsste wieder zu einem gemeinsamen Projekt kommen, wozu sicherlich auch die soziale Frage und das Vorgehen gegen Ungerechtigkeiten gehören. Was viel schwieriger ist: Themen wie Migration und Globalisierung müssen mit einer anderen Sprache besetzt werden, die von der AfD oder FPÖ nicht in einem rassistischen oder migrationsfeindlichen Sinn genutzt werden kann. Zudem müssen wir lernen, die gesellschaftlichen Ursachen besser zu verstehen, die diese Parteien infolge der Globalisierung starkgemacht haben. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir die politische Agenda dieser Parteien teilen müssen. (Ingo Petz, ALBUM, 7.9.2019)