Wenn am Freitag um 17 Uhr Londoner Zeit der "ehrenwerte Kronrat" Baron Fowler die Verabschiedung des Anti-No-Deal-Gesetzes verkündet, sind die Blicke der Welt auf eine – für den gelernten Kontinentaleuropäer – reichlich schrullige Institution gerichtet. Während man in den Zeiten des Brexit-Chaos die Sitten und Gebräuche des House of Commons ("Ordeeeer!") schon zu kennen meint, bietet die aktuelle Posse Gelegenheit, sich auch der anderen Kammer des 1.100 Räume umfassenden Westminster Palace an der Themse zu widmen: dem House of Lords.

Das Parlament an der Themse: 4,8 Kilometer sind die Gänge in dem riesenhaften Gebäude lang.
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Während man sich im Unterhaus mit dem vergleichsweise egalitären "My Right Honourable Friend" als Anrede begnügt, erfordert das Protokoll im Oberhaus schon etwas mehr Distinktion. Nicht nur verlangt die Etikette die Adressierung als "Lord" oder "Lady", sondern auch, je nach Adelsstand, jene als "Baroness", "Earl", "Viscount" oder "Marquess". Es wird auch noch zwischen "Lords Temporal", also weltlichen Adeligen, und "Lords Spiritual", also klerikalem Adel, unterschieden, schließlich sind 26 der aktuell 775 Abgeordneten Bischöfe, darunter fünf Frauen. Darum kann es mitunter vorkommen, dass sich ein Redner zu Wort meldet, der als "the right reverend Prelate the Bishop of Bristol" postuliert zu werden pflegt.

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Mit einer Rede eröffnet die Königin im House of Lords das Parlamentsjahr.
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Abnickstation Ihrer Majestät

Was optisch wie akustisch wie aus der Zeit gefallen erscheint, ist in Großbritannien auch im 21. Jahrhundert ein integraler Teil des politischen Geschäfts. Die Abgeordneten, auch Peers genannt, sind selten mehr als eine Abnickstation für das weit bekanntere Unterhaus. Und doch gibt es Momente, wo sich die adeligen Herrschaften ihrer Funktion als Kontrollorgan bewusst werden.

Auch wenn sich die noble Kammer nun dem Druck des Unterhauses beugt und das von diesem vorgeschlagene Gesetz in Windeseile zu verabschieden gedenkt, gaben sich die Lords und Ladys in der Vergangenheit durchaus auch widerspenstig. Etwa wenn das Oberhaus den US-Präsidenten Donald Trump "sehr herzlich willkommen" heißen wollte, während ihn das Unterhaus auf gar keinen Fall im Westminister Palace zu begrüßen gedachte.

Ursprünglich von König Johann Ohneland zu Runnymede 1215 in der berühmten Magna Carta als adeliges Beratungsgremium erdacht, hat das Oberhaus seinen Rang gegenüber dem House of Commons, in dem ursprünglich Ritter und Händler debattierten, mittlerweile eingebüßt. Seine Aufgaben sind heute analog zu jenen des Unterhauses: Die Lords und Ladys befragen die Regierung, sorgen sich um die Gesetzgebung und feilen in Ausschüssen und Debatten an ihren Entscheidungen.

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Die Kammer des Oberhauses ist auch in ihrer Größe opulenter als jene des Unterhauses.
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Wenige Ladys, viele Lords

Ladys sind erst seit 1958 auf den roten Abgeordnetenbänken willkommen, heute sind mit 207 Frauen nur etwas mehr als ein Viertel der "Peers" weiblichen Geschlechts. In demselben Jahr wurden auch Adelige zugelassen, die nicht etwa aufgrund ihrer noblen Geburt in den Stand rückten, sondern vom Premierminister und einer Kommission aufgrund ihrer Leistung – und mitunter auch ob ihrer Gesinnung – ernannt wurden.

Bis 2014 konnten die "Peers" zudem weder zurücktreten noch ausgeschlossen werden. Bezahlt werden die Herren und Damen für ihre Tätigkeit offiziell nicht, Diäten und Reisezuschüsse sind aber freilich vorgesehen.

Aktuell gehören 188 Lords und Ladys den Konservativen an, 175 Labour und 91 den Liberaldemokraten, 151 sind sogenannte Crossbencher, also Unabhängige. Gleich wie im House of Commons sitzen die Abgeordneten der Regierungspartei jenen der Opposition gegenüber.

Weil die Abgeordneten nicht gewählt sind, halten sie sich aber nicht immer so streng an die Fraktionsdisziplin. Anders als ihre profanen Kollegen im Unterhaus stehen sie schließlich nicht den Bürgern eines Wahlkreises im Wort. Einzig ihr Adel verpflichtet. (Florian Niederndorfer, 6.9.2019)