Otto Kwant studiert Architektur, er ist Nachkomme einer Architektendynastie, sein Vater war die Koryphäe für brutalistische Betonkirchen, er korrigiert für einen Architekturverlag lustlos lustlose Texte für Bücher, die kein Mensch braucht, geschweige denn liest, er kann sich verständlicherweise nicht konzentrieren und würde stattdessen lieber die Obstfliege, die sich auf seinen Bildschirm gesetzt hat, mit dem Cursorpfeil erstechen, aber wird dann überraschenderweise an der Seite des Stararchitekten Holm Löb vom Büro "Himmels)s(turm", deren parametrische Baumaxime "Wir bauen keine Modelle mehr, wir lassen vom Computer Vorschläge machen, Visionen, die ein Mensch nie haben könnte" so käsig klingt, dass sich gerade deshalb Bauherren beeindrucken lassen, in den postsowjetischen zentralasiatischen Operettenstaat Urfustan eingeladen, die deutsche Botschaft zu bauen, und zwar von keinem Geringeren als dem autoritären Staatschef Zoltan Tantal, dem "Architekten des Vaterlandes", persönlich.

Grundehrlich, unauffällig und zaudernd: Der Schriftsteller Jochen Schmidt hat mit Otto Kwant eine sehr kafkaeske Figur erschaffen.
Foto: Susanne Schleyer

Fernseher ohne Ausschaltknopf

Was dann Otto Kwant passiert, was dann folgt, ist das Absurdeste, unanstrengend Komischste, ja Kafkaeskeste, was man seit, nun ja, Franz Kafka gelesen hat. Otto Kwant ist so eine Figur wie Karl Rossmann in Kafkas Amerika, grundehrlich, unauffällig, zaudernd, er wird ständig herumgeschubst und man zerrt an ihm, man benutzt ihn, er ist ein träumender Stellvertreter für alles Mögliche, aber verschwindet hinter dem, was man von ihm erwartet, dabei will er eigentlich nur Spielplätze bauen und im Hotel den Fernseher ausschalten, an dem er keinen Ausschaltknopf findet – erschöpft hängt er ein Handtuch vor den flimmernden Bildschirm -, seine Eltern rufen ihn zur Unzeit an, aber sie hören ihn nicht, man redet aneinander vorbei, jede Kommunikation bleibt irgendwo in der Nacht ausgefranst hängen.

Er, der es bisher vermieden hat zu reisen, weil, so hat er es sich zurechtgelegt, "Reisen eine Flucht war, ein Vorwand, sich vor der inneren Reise zu drücken, die man unternehmen musste, wenn man sich weiterentwickeln wollte", landet nun, weil er zu schwach ist, Nein zu sagen, und ihm ein Ja zu abstrakt ist, in Urfustan, und wie sein Gepäck kommt ihm auch bald Holm Löb abhanden, er ward nicht mehr gesehen, offenbar ist er krank geworden und in ein weit entferntes Krankenhaus interniert worden, und nun ist auch die deutsche Botschaft, die Löb als Jurte im Sichtbetonstil plante, kein Thema mehr, vielmehr ist der unerfahrene Otto Kwant für Größeres vorgesehen, nämlich dafür, den "Palast der Demokratie" in Urfustans Hauptstadt Mangana zu errichten.

Jochen Schmidt, "Ein Auftrag für Otto Kwant". € 18,99 / 347 Seiten. C. H. Beck, München 2019
Foto: C.-H.-Beck-Verlag

Er hat nicht einmal Zeit, überfordert zu sein, denn plötzlich wird er für alle möglichen Kräfte, Gestalten und sinistre Organisationen interessant, einschließlich der notgeilen Tochter des Präsidenten sowie des US-Botschafters und der maskierten Exilregierung, die von ihm verlangt, den Palast kurz nach Fertigstellung gleich zu sprengen, und um diesem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, präsentiert man Otto in einem Kistchen den abgetrennten kleinen Finger seines Chefs, er wurde entführt.

Bizarre Aberwitzigkeit

Otto flieht und kommt doch nirgends an, er benutzt Hebebühnen, verwaiste U-Bahnen und Bushaltestellenhäuschen, er landet im Gefängnis, aber anderer Delikte wegen als derjenigen, deren er sich schuldig fühlt, sein Zellengenosse ist ein kräftiger, aber schläfriger Mann, der ein Liebesverhältnis zu Stubenfliegen unterhält, spät, aber früh genug registriert Otto, dass man die Gefängnistüren nur aufzudrücken braucht, er landet in einem Dorf vergessener Russlanddeutscher, für die Hitler noch lebt und die sich eines eigentümlichen, altmodischen Dialekts befleißigen, um schließlich von einem Bus von "Curiosus Reisen" voller wirr redender deutscher Pensionisten aufgelesen zu werden, die er, endlich entwickelt er auch einmal so etwas wie Stärke, zunächst erpressen muss, damit sie ihn aus dem verdammten Urfustan schmuggeln.

Was vielleicht in seiner bizarren Aberwitzigkeit überkonstruiert klingt, entwickelt indes einen eigentümlich liebevollen, melancholischen, aber niemals ironischen Sog, der zwischen kauziger Architekturkritik und auch -liebe changiert. Jochen Schmidt, 1970 in Ostberlin geboren, kennt undurchschaubare Behördenwillkür, Paranoia und Pseudowattiertheit aus dem realsozialistischen Alltag gut genug, dass es zu einfach wäre, dieses wunderbare Buch nur als eine schnöde Satire durchzuwinken. Vielleicht steckt in Otto Kwant auch ein bisschen der Autor, wie man ihn aus seinen anderen, biografisch gefärbten Büchern kennt (Meine wichtigsten Körperfunktionen). "Er war froh, dass seine Sitznachbarin im Flugzeug nicht wusste, dass er bei Turbulenzen immer schnell in seine Schuhe schlüpfte, um bei einem Absturz nicht barfuß zu sein, weil er sich einbildete, das erhöhe seine Überlebenschancen."

Dass das Buch symmetrisch mit einer Obstfliege beginnt und endet, dass alles zum Anfang wieder zurückkommt, sich der Kreis schließt, ist zum großen Witz dieses Buches das Tröstliche in trostfernen Zeiten, in denen Urfustan gar nicht so ausgedacht ist. (Tex Rubinowitz, ALBUM, 7.9.2019)