Todd Phillips freut sich über den Goldenen Löwen.

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Wäre der Joker bei der Schlussgala des Filmfestivals Venedig im Publikum gesessen, dann hätte er bei der Bekanntgabe des Sieger wohl sein schrilles Gelächter losgelassen; und all die gut gekleideten anderen im Saal hätten sich daraufhin etwas unbehaglich gefühlt.

Todd Phillips’ pessimistische Fabel über den tragischen Clown von Gotham City hat am Samstagabend den Goldenen Löwen gewonnen. Die Entscheidung kommt durchaus etwas überraschend: nicht, weil es dem Film über den erfolglosen Komiker Arthur Fleck (ein genialer Joaquin Phoenix), der die Häme und Arroganz der besser Gestellten nicht mehr erträgt, an Eigensinn fehlt. Schließlich nutzt er das Comicgenre für eine Charakterstudie, in der auch die sozialen Risse der Gegenwart eine wichtige Rolle spielen. Allerdings hätte man von einer Jury unter Vorsitz der argentinischen Regisseurin Lucrezia Martel ein stärkeres Signal für unabhängiges Kino erwartet.

Auch Polanski prämiert

Vermutlich hängt die Entscheidung auch mit dem zweiten prämierten Film, Roman Polanskis J’accuse zusammen, dem man den Hauptpreis nicht geben wollte. Nach der Debatte darum, wie man in der MeToo-Ära mit einem von seiner Vergangenheit kompromittierten Regisseur umzugehen habe, hätte ein solche Wahl wohl heftige Wogen hervorgerufen. Nun ist es der ungefährlichere, zweitwichtigste Große Preis der Jury geworden: für einen rigide inszenierten Film darüber, wie sich ein vermeintlicher Rechtsstaat durch das Gift einer perfiden Gesinnung ins Gegenteil verkehrt. Es hat durchaus Ironie, dass Polanski in seinem Film über die Dreyfus-Affäre das Lied eines Patrioten anstimmt, der für die justiziale Gerechtigkeit kämpft.

Martin Eden, die raffinierte Jack-London-Adaption des Italieners Pietro Marcello, war ein weiterer Favorit am Lido, musste sich nun aber mit dem Preis für den besten Darsteller an Luca Marinelli begnügen. Der verleiht dem Titelhelden, der sich vom einfachen Matrosen zum gefeierten Dichter wandelt, die Leidenschaft eines Mannes, der sich irgendwann selbst zu viel wird.

Roy Anderson bester Regisseur

Die Französin Ariane Ascaride, Lebensgefährtin und festes Ensemblemitglied von Regisseur Robert Guédiguian, wurde für ihren beherzte Rolle der Großmutter in Gloria Mundi prämiert.

Als bester Regisseur wurde der Schwede Roy Andersson ausgezeichnet, der im Jahr 2014 schon den Goldenen Löwen gewonnen hat. In seinem Filmreigen About Endlessness erzählt er melancholisch davon, wie sich die Menschen immer wieder selbst im Weg stehen. Auch diese Entscheidung geht in Ordnung, obwohl sie einen Regisseur belohnt, der seinen Stil nicht mehr allzu groß variiert. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig, 8.9.2019)