Ein ästhetischer Revolutionär eröffnet die Burgtheater-Saison und die Ära Martin Kušejs.

Foto: Tobias Kruse

Seine Bühnenbilder sind nicht gerade die wohlfeilsten und doch setzen Theater alles in Bewegung, um ihn ans Haus zu holen: Ulrich Rasche, der Regisseur mit den tonnenschweren Maschinen. Der 50-Jährige kommt jetzt endlich nach Wien und wird die Ära Martin Kušejs am Burgtheater eröffnen. Premiere seiner Bakchen ist am 12. September. Es werden dann erstmals jene hydraulischen Wundergetriebe am Ring Einzug halten, für die Rasche seit einigen Jahren gefeiert wird: Walzen, Laufbänder, Käfige. Im Vorjahr erhielt das Publikum der Salzburger Festspiele mit einer Bühne aus rotierenden Scheiben bereits einen Vorgeschmack auf die technikbasierte Ästhetik.

Tobender Geist

Dabei ist Rasche kein Technikfreak. Seine ganz auf die Sprache eines Textes fokussierte Kunst, sein Interesse an chorischem Ausdruck verlangt indes nach solch enormer Präzision in der Ausführung, dass die Sätze gewissermaßen aus einer maschinellen Rhythmik herauswachsen müssen. Man kann sich die Wirkung so vorstellen, als würde man ein Gedicht am Crosstrainer aufsagen.

Vielmehr als ein Faible für Maschinen tobt in Rasche aber der Intellekt, die Sehnsucht nach Konzentration, nach einem Erfahrungsraum, der Dramen neu hörbar macht. Und genau das gelingt ihm. So manch einer war bei Rasches Räubern am Münchner Residenztheater (2016) wie benommen von der Kraft und Wirkung, die Schillers Sprache durch die strenge Rhythmik erhielt.

Residenztheater

Singuläre Regiehandschrift

Angefangen hat aber alles im Palast der Republik in Berlin anno 2004. Damals inszenierte Rasche das Chorprojekt Singing! Immateriell arbeiten, bei dem Körper, Musik und Sprache erstmals nach einer vorgegebenen Rhythmik synchronisiert erschienen. Es entstand ein Flow, so ähnlich wie bei der Erzähltechnik des "stream of consciousness" in der Literatur.

Diese Technik hat Ulrich Rasche nach und nach weiterentwickelt und zu einer singulären Regiehandschrift perfektioniert, die heute zu den spannendsten und zukunftsträchtigsten am Theater gehört. Sein Stil ist antipodisch den popaffinen, grellbunten Klassikerkleinschrumpfungen, denen das Theater in den letzten Jahren aus Angst vor Zuschauerschwund erlegen ist: 90-Minüter in schnellen Schnitten – damit kann Rasche nichts anfangen. Er empfindet es als Manko des Theaters heute, dass es sich den medial eintrainierten Sprech- und Denkmustern nicht vehementer widersetzt. Er selbst trägt die Fackel jener ästhetischen Revolutionäre weiter, die Einar Schleef heißen oder Edith Clever, Hans-Jürgen Syberberg, Robert Wilson oder Philip Glass: Künstler, die sich gegen alle Rezeptionseffizienz eine radikale Ausdrucksweise erobert haben, vielstündige Monologe, hochintensive Chorstimmen, abstrakte Opern ohne Handlung, dafür mit Minimal Music.

SalzburgerFestspiele

Als faschistoid missverstanden

Und natürlich Pina Bausch. Zu den Tanztheateraufführungen der legendären Choreografin in Wuppertal ist Ulrich Rasche einst hundertfach von seiner Geburtsstadt Bochum aus aufgebrochen.

Rasches Theater erzeugt eine Art Trance, so wie sie auch in nächtlichen Musiktempeln in der Masse bei vorgegebenem Rhythmus möglich wird. In monumentaler Umgebung lassen sich da durchaus intime Erfahrungen machen. Am Theater sorgt das auch für Verwirrung, besonders dann, wenn die Monumentalität, die tönende Wucht und die Finsternis von Rasches Inszenierungen als faschistoid missverstanden wird. Rasche indes arbeitet die Ambivalenz dieser Ästhetik bewusst heraus bzw. reflektiert sie kritisch. Etwa ließ er in Das große Heft nach Ágota Kristófs Antikriegsbuch in Dresden (2018) das in Kriegszeiten aufwachsende Zwillingspaar zu einem monströsen Männerchor anschwellen.

staatsschauspieldd

Weg von den Maschinen

Rasche will jetzt aber von den Maschinen weg, zumindest von ihrer Sichtbarkeit. Schon im Jänner wird er es mit Sarah Kanes existenzialistischem Poem 4.48 Psychose am Deutschen Theater erstmals ruhiger angehen. Intendant Ulrich Khuon hat ihn für drei Inszenierungen verpflichtet (jedes Jahr eine, im selben Bühnenbild). Damit kommt Rasche seiner Sehnsucht nach längerfristigem Arbeiten näher und auch dem Wunsch, "dauerhaft mit einer Art Company zu arbeiten".

"Meine Technik beruht noch zu sehr auf dem 4/4-Takt, die Schritte sind zu gleichmäßig, davon möchte ich mich emanzipieren". Rasche ist nach seinem Karrierehoch – dreimal in Folge wurde er zum Berliner Theatertreffen eingeladen – also dabei, sich "zurückzuziehen und eine Art Labor zu schaffen." Kann gut sein, dass die Beziehung zwischen Körper, Sprache und Rhythmus bei Rasche demnächst neue Züge annimmt. Stadttheater, was Besseres kann dir nicht passieren. (Margarte Affenzeller, 9.9.2019)