Christoph Rumpf ist im Stress. Drei Tage noch ist er in Wien, dann geht es für zwei Wochen nach Paris. Seit der Modestudent der Wiener Angewandten im Frühjahr den großen Preis der Jury beim legendären Modefestival im südfranzösischen Hyères gewonnen hat, hat der 25-jährige Steirer mit dem Lockenkopf einen Terminkalender wie ein ganz Großer. In Paris geht es erst zur Messe Première Vision Paris, dann stehen Besprechungen mit der Modemarke Petit Bateau und den Chanel-Ateliers an.

Dass der Österreicher im Moment so gefragt ist, ist der Strahlkraft des Modepreises zu verdanken, der seit 34 Jahren in der provenzalischen Kleinstadt vergeben wird. Das Mode- und Foto-Festival fühlt sich noch immer mehr der Kreativität verpflichtet als der Verkäuflichkeit, doch das einstige Laisser-faire-Event hat sich professionalisiert.

"In Hyères merkt man, dass jetzt Geld im Spiel ist. Früher war die Auszeichnung ein reiner Prestigepreis, man hat ein Schaufenster bei Colette bekommen, und das war's", meint der Designer Hermann Fankhauser, der an der Modeklasse lehrt, das Geschehen schon lange beobachtet und erst in diesem Frühjahr den Studenten Christoph Rumpf nach Hyères begleitet hat.

Christoph Rumpf, Student an der Wiener Modeklasse.
Foto: Pierrick Rocher

Dort geht es heute um mehr als ein Schaufenster bei Colette, und das nicht nur deshalb, weil es den legendären Pariser Concept-Store längst nicht mehr gibt. Gewichtige Modeunternehmen wie Chloé und Chanel sind in das Festival eingebunden.

Ständig auf der Suche nach Talenten

Natacha Ramsay-Levi, Kreativchefin des französischen Modehauses Chloé, das zum Richemont-Konzern gehört, hatte in diesem Jahr den Juryvorsitz. Christoph Rumpf hat mit dem großen Preis der Jury 20.000 Euro gewonnen, darüber hinaus bekommt er die Möglichkeit, für die französische Marke Petit Bateau einige Produkte zu entwerfen, mit den Métiers-d'Art-Ateliers von Chanel entwickelt er Accessoires, die im kommenden Jahr in Hyères im Rahmen einer Show gezeigt werden.

Die Modeindustrie, getrieben von einem unbarmherzigen Tempo, ist ständig auf der Suche nach Designtalenten, dem "Hot Ticket" der Saison. "Das Gesamtpaket eines Bewerbers ist heute wahnsinnig wichtig, man muss sich verkaufen und besonders gut reden können", meint Fankhauser.

Aus Teppichen vom Flohmarkt hat Christoph Rumpf, Student an der Wiener Modeklasse, ein sperriges, monströses Outfit gefertigt. Damit hat er heuer beim französischen Modefestival in Hyères gewonnen.
Foto: APA/Monika Skolimowska

Eintrittskarte in die Modebranche

Dass solche Wettbewerbe eine Eintrittskarte in die Modebranche sein können, wurde in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. 2004 gewann Demna Gvasalia als 22-Jähriger in Triest den ITS Collection of the Year Prize, der Rest ist Modegeschichte: Gvasalia ist nicht nur Kopf des Labels Vetements, sondern auch Kreativchef bei Balenciaga.

Virgil Abloh wiederum stand 2015 im Finale des LVMH Prize for Young Fashion Designers, heute entwirft er die Männermode für das LVMH-Unternehmen Louis Vuitton. Die Rechnung geht aber vor allem für die Modeunternehmen und -konzerne auf.

Die Wettbewerbe hinterlassen ein ähnlich wohliges Gefühl wie Charity-Events: Sie tun dem Image einer Industrie gut, die mehr denn je in der Kritik steht. Mit Rumpf beispielsweise hat heuer ein Kandidat gewonnen, der mit Sustainability auf ein angesagtes Thema, das die Industrie beschäftigt, setzt: "Die meisten meiner Stoffe habe ich vom Flohmarkt am Wiener Naschmarkt."

Der Druck, unter dem die ausgezeichneten Nachwuchsdesigner stehen, gibt einen Vorgeschmack auf die Mechanismen einer beinharten Branche. Den Zeitpunkt der Teilnahme in Hyères solle man sich deshalb gut überlegen, gibt Fankhauser zu bedenken. Er empfiehlt vor allem Uniabgängern eine Bewerbung: "Die suchen nach Leuten, die für die Industrie sofort verfügbar sind. Das Interesse ebbt spätestens dann ab, wenn der nächste Gewinner feststeht."

Ein eigener Kopf

Christoph Rumpf ist die Sache anders angegangen, der 25-Jährige wird erst im kommenden Jahr in Wien sein Diplom machen: "Ich habe mein Studio hier und bin gern auf der Angewandten." Seine kommende Kollektion will er lieber in Wien produzieren, statt überteuert in Paris zu leben.

Ob er später in der Modeindustrie oder als selbstständiger Designer arbeiten möchte? Beides interessiere ihn, doch der Steirer gibt zu: "Einer von zehn Designern in einem großen Haus zu sein, das würde mich wahnsinnig machen!"

Kenneth Izedonmwen ist bereits einen Schritt weiter. Der gebürtige Nigerianer studierte unter den Designern Bernhard Willhelm und Hussein Chalayan an der Modeklasse der Wiener Angewandten, diplomierte 2015, wenig später zog er nach Lagos – in Nigerias Mode-, Musik- und Filmszene herrscht Aufbruchstimmung.

Kenneth Izedonmwen, Abgänger der Angewandten, hat es mit seiner Kollektion beim prestigeprächtigen LVMH Prize bis ins Finale geschafft. 1.700 Nachwuchsdesigner hatten sich beworben.
Foto: Mowalola Ogunlesi

Vor drei Jahren hat er sich hier mit seinem Modelabel Kenneth Ize selbstständig gemacht, in seinen Kollektionen interpretiert er die traditionelle westafrikanische Webtechnik Aso Oke neu. Dafür hat sich der 29-Jährige mit Handwerkern und Spezialisten vor Ort zusammengetan.

Fünf Männerkollektionen hat er bereits herausgebracht, neuerdings liebäugelt er mit Damenmode, prominente Frauen wie Naomi Campbell tragen seine farbenfrohen Kollektionen jetzt schon.

Kenneth Izedonmwen interpretiert in seinen Kollektionen die traditionelle westafrikanische Webtechnik Aso Oke neu.
Foto: Miguel Vera Casso

Izedonmwen hat es heuer mit seinem Markenzeichen neben sieben anderen Designern bis ins Finale des mit 300.000 Euro Preisgeld dotierten, 2014 initiierten Nachwuchswettbewerbs des Luxuskonzerns LVMH gebracht.

Es ist derzeit der prestigeträchtigste Wettbewerb der Modebranche. Gewonnen hat ihn mit dem Südafrikaner Thebe Magugu ein anderer Bewerber. Doch die Entscheidung erstaunt wenig, der Kontinent gilt als das nächste große Ding in der Modewelt.

Wie Kenneth Izedonmwen hat aber auch Magugu nicht vor, in eine westliche Modemetropole zu ziehen: Er wolle der Welt zeigen, dass "auch in Südafrika ein kompletter Produktionszyklus möglich ist", erklärte er gegenüber Business of Fashion. Das klingt nach einem Anfang. (Anne Feldkamp, RONDO, 16.9.2019)