Was für eine Erleichterung: Das Looshaus hat eine Klimaanlage. Zumindest ist es drinnen angenehm kühl, während sich die Touristen auf dem Michaelerplatz draußen in der zweiten oder dritten Hitzewelle des Jahres in den Schatten drücken. Doch das ist zweitrangig.

Robert Punkenhofer und Peter Brabeck-Letmathe haben sich diesen Ort für das Interview nicht ohne Hintergedanken ausgesucht. Sie sind die Wiedergeburtshelfer von Carl Suchy & Söhne, einer altösterreichischen, 1822 gegründeten und nach dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit geratenen Wiener Luxusuhrenmarke.

Klar, minimalistisch

Sie stellte einst Taschenuhren für den k. u. k. Adel und die High Society her. Kaiserin Sisi und ihr Gemahl Franz Joseph hatten eine, ebenso Sigmund Freud. Gefertigt wurde in Wien, Prag und La Chaux-de-Fonds, einem der – bis heute – wichtigsten Uhrenzentren der Schweiz. All das hatte Robert Punkenhofer, der als Diplomat und Kunst- und Designexperte seine Brötchen verdient(e) und mit Uhren bis dahin nichts am Hut hatte, im Vorfeld recherchiert.

Wollte sich nach Jahrzehnten im Kunstbetrieb einer neuen Sache widmen: Robert Punkenhofer, der u. a. auch als künstlerischer Leiter der Vienna Art Week fungiert.
Foto: Carl Suchy & Söhne

Kurzer Rat, schnelle Tat: Seit 2017 gibt es wieder Uhren von Carl Suchy & Söhne. Marc Jenni, in der Branche hochangesehener unabhängiger Schweizer Uhrmachermeister und ehemaliges Mitglied der Acadèmie Horlogère des Créateurs Indépendants (AHCI), gibt den Werken aus Fleurier ihren Feinschliff.

Uhren-Start-up

Die Designer Reinhard Steger und Milos Ristin gaben der Neuauflage mit dem Rufnamen "Waltz N°1" ihre klare, minimalistische Gestalt, ganz im Sinne der Formsprache der Wiener Moderne. Womit wir wieder bei Adolf Loos wären, den Punkenhofer gern als den "Frank Gehry Wiens" bezeichnet. Schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass Loos global ein Begriff ist.

In jedem Fall war es ein mutiger Schritt, der schon bald die Frage der Finanzierung nach sich zog – ein Investor wurde dringend gesucht, nachdem Punkenhofer quasi sein gesamtes Erspartes in das Projekt gesteckt hatte, wie er erzählt. Und da kommt Peter Brabeck-Letmathe ins Spiel. Der in der Schweiz lebende Österreicher und ehemalige Nestlé-Boss im Unruhestand scheint immer nach neuen Investitionsmöglichkeiten zu suchen. Sein Geld steckt in diversen Projekten und nun also auch in einem österreichischen Uhren-Start-up.

STANDARD: Wie haben Sie Herrn Brabeck-Letmathe überzeugt, bei Ihnen einzusteigen?

Punkenhofer: Ich habe ihm eine E-Mail geschrieben. So in der Art "Suche Partner für ein fantastisches Projekt ...". Es war also nicht so toll formuliert, dass Herr Brabeck-Letmathe sofort überzeugt gewesen wäre. Eigentlich habe ich auch noch einer zweiten Person eine E-Mail geschrieben.

STANDARD: Wem?

Punkenhofer: Jean-Claude Biver, den Uhrenchef des LVMH-Konzerns.

Sieht seine Beteiligung an einem österreichischen Uhren-Start-up in erster Linie als emotionale Angelegenheit: Ex-Nestlé-Boss Peter Brabeck-Letmathe.
Foto: Florian Rainer

STANDARD: Hat er sich jemals gemeldet?

Punkenhofer: Ja, aber Herr Brabeck-Letmathe war schneller. Wir sind uns dann auch rasch handelseinig geworden. Die Kommunikation war sehr direkt ohne viele Umschweife.

STANDARD: Was hat Sie überzeugt, Herr Brabeck-Letmathe?

Brabeck-Letmathe: Es war eine emotionale Angelegenheit. Der Reiz, eine Traditionsmarke zu reanimieren, hat mich als "Markenmenschen" angesprochen. Der zweite Grund ist, dass es sich um eine österreichische Marke handelt. Ich bin Österreicher. Ich habe, obwohl ich in der Schweiz lebe, nie eine andere Nationalität angenommen. Ich wollte auf diese Weise wieder eine Bindung zu meinem Heimatland herstellen. Finanzielle Überlegungen standen dabei nie im Vordergrund.

STANDARD: Wobei das Thema die Schweiz und Österreich ja ganz gut verbindet.

Brabeck-Letmathe: Das kommt natürlich dazu. Aber ein Unterschied zwischen den beiden Ländern muss schon auch herausgestrichen werden. Deshalb gibt es anstelle der kleinen Sekunde eben nur eine Scheibe, die sich dreht. Denn der wichtigste Zeiger in der Schweiz ist der Sekundenzeiger. Nehmen wir den roten Sekundenzeiger der Bahnhofsuhren: Der ist das Maß aller Dinge, denn der Zug fährt sekundengenau ab. In Österreich sieht man das ein bisschen lockerer. Hierzulande ist eine Sekunde eine eher dehnbare Einheit.

Um in der österreichischen Tradition zu bleiben, ist das Design der "Waltz Nº 1" von der Architektur Adolfs Loos' inspiriert. Und weil in Wien eine Sekunde ein dehnbarer Begriff ist, gibt es bei 6 Uhr anstatt eines Sekundenzeigers eine rotierende (Walzer-)Scheibe.
Foto: Carl Suchy & Söhne

STANDARD: Aber Hand aufs Herz: Jeder Investor erwartet sich einen bestimmten Return on Investment, wie es so schön heißt.

Brabeck-Letmathe: Ich habe einen Return on emotional Investment, einen "emotional return". Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir glauben an das Geschäftsmodell. Dennoch geben wir uns nicht der Illusion hin, dass wir in den nächsten zwei Jahren 50 Prozent unseres Investments rausbekommen. Das kann man vergessen. Ich glaube, dass man in jede Marke langfristig investieren muss, um dann irgendwann einmal einen Return zu bekommen. Aber das steht in diesem Fall nicht im Vordergrund. Es geht um die Freude an der Kreation. Ein Künstler arbeitet ja auch nicht vordergründig daran, Geld mit seiner Kunst zu machen. Wer Kunst kauft, um damit Geld zu machen, hat das nicht verstanden.

STANDARD: Wenn es um Kunst geht, haben Sie mit Herrn Punkenhofer ja einen guten Berater an der Hand, oder?

Punkenhofer: Ich habe Kunst nie als Investment gesehen. Für mich hat Kunst immer mit Leidenschaft zu tun, und so habe ich auch meine Projekte bewertet. Ich kann mich erinnern, als ich den Not-for-Profit-Space in Mexiko-Stadt eröffnet habe, neben meiner Wirtschaftsdelegiertenrolle, ging's mir rein darum, mit jungen Künstlern tolle Projekte aufzubauen. Mit der Kunst habe ich in den ersten zehn Jahren nichts verdient. Im Gegenteil, ich habe das, was ich verdient habe, dort hineingesteckt.

STANDARD: Was ist das größere Risiko: eine Ausstellung in Mexiko-Stadt mitten auf die Straße zu stellen oder eine alte Uhrenmarke wiederzubeleben, auf die der tendenziell gesättigte Markt nicht gewartet hat?

Punkenhofer: Das Risiko ist überschaubar: Unser Leben hängt nicht davon ab. Für mich ist der Reiz an dem Uhrenprojekt der, dass ich mich wieder etwas Neuem widmen kann nach Jahrzehnten im Kunstbetrieb. Es ist eine andere Art, etwas zu kuratieren. Da kommt so viel zusammen: Technologie, Handwerk, Tradition, Geschichte ... es ist fantastisch, da bekomme ich Gänsehaut. Wenn ich die hundertste Ausstellung mache, nicht. Ich wollte mir aber auch kein neues, teures Hobby für meine Freizeit zulegen. Das Ziel ist schon, ein nachhaltiges Business daraus zu machen. Nach zwei Jahren ist die Start-up-Phase nun abgeschlossen.

Marc Jenni bei der Arbeit. Der angesehene Schweizer Uhrmachermeister gibt den Werken den letzten Schliff. Üblicherweise aber nicht im Looshaus.
Foto: Carl Suchy & Söhne

STANDARD: Was haben Sie in diesen zwei Jahren gelernt?

Punkenhofer: Dass es besser funktioniert als gedacht. Viele haben mich für verrückt gehalten. Denn: Wer wartet schon auf eine neue Uhrenmarke – schon gar kein Juwelier.

STANDARD: Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?

Punkenhofer: Ablehnung treibt mich an. Je mehr Ablehnung, desto motivierter bin ich. Kurzum: Der Relaunch ist gelungen. Mit geringerem finanziellem Aufwand als bei anderen Uhrenmarken, die zum Teil jährlich Millionenbeträge abschreiben müssen ...

STANDARD: Welche weiteren Pläne gibt es?

Punkenhofer: Sales, Vertrieb ... wir denken dabei an einen Salon Suchy als Point of Sale. Einen Ort, wo man Gäste empfangen kann, um das Produkt zu präsentieren. Etwa so, wie es Herr Brabeck-Letmathe mit Nespresso gemacht hat.

Brabeck-Letmathe: Es tun sich Fragen auf wie: Brauchen wir einen strategischen Partner bei der Distribution? Tun wir uns mit einer etablierten Marke zusammen? Etc. Das kommt jetzt auf uns zu. Die erste Phase haben wir erfolgreich hinter uns gebracht. Wir haben überall auf der Welt positives Feedback erhalten. Und das war, gebe ich zu, auch für mich überraschend. Die nächste Phase ist kritisch und auch kapitalintensiv und will genau geplant sein.

Punkenhofer: Es wäre jedenfalls ein Fehler, ganz auf den Fachhandel zu verzichten.

Die "Waltz Nº 1" mit blickdurchlässigem Ziffernblatt und einem Gehäuse aus Gold.
Foto: Carl Suchy & Söhne

STANDARD: Wie läuft der Onlineverkauf?

Punkenhofer: Wir verkaufen halb online, halb über Retailer. Was wir von Anfang an nicht wollten: über Abverkaufsplattformen zu verkaufen. Das passt nicht zur Positionierung im Luxussegment. Wir wollen zudem eine exklusive Nischenmarke sein und bleiben. 200 Stück sind das Ziel in den nächsten zwei Jahren. Bis es ein Business ist, brauchen wir 500 bis 1.000 Uhren.

Brabeck-Letmathe: Der kritische Moment ist immer der: Wie bringe ich einen Kunden dazu, 10.000 Euro auf den Tisch zu legen. Der kann noch so begeistert sein von der Uhr und alles toll finden, Knackpunkt ist immer, dass er bereit ist, das Geld dafür auszugeben. Wenn man das mit seinem Produkt schafft, dann läuft's – aber dort muss man erst einmal hinkommen.

STANDARD: Haben Sie Bedenken, dass die mechanische Uhr wieder aus der Mode kommen könnte, wie es schon einmal der Fall war?

Brabeck-Letmathe: Die mechanische Uhr bleibt, davon bin ich überzeugt. Sie ist ein emotionales Produkt mit hohem Statuswert. Niemand kauft sich eine Uhr, um die Zeit abzulesen. Die Funktionalität steht schon lange nicht mehr im Vordergrund. Der Kaufentscheid kommt nicht aus logischen Überlegungen zustande, sondern nur über die Emotion. Die Kunst ist, die eigene Marke richtig zu positionieren. Rolex macht das ganz schlau, ebenso Patek Philippe – beide Marken haben ihre Claims ganz eng abgesteckt und machen keinerlei Experimente. Beide sind perfekt positioniert. Die große Herausforderung für uns liegt auf der Hand: Wir müssen unsere Nische so ausarbeiten, dass sie langfristig relevant ist. (Markus Böhm, RONDO, 8.10.2019)