Éva Fodor, CEU-Vizerektorin Sozialwissenschaften.

Foto: CEU / Karansci Rudolf

Vor etwa einem Jahr ist in Budapest die akademische Freiheit wortwörtlich zu Grabe getragen worden: Im Rahmen einer Demonstration bedeckten Studierende vor dem Parlament einen Sarg mit der Aufschrift "Universität" mit Erde und Steinen.

Im Dezember 2018 hatte die Central European University (CEU) angekündigt, von Budapest nach Wien zu ziehen und damit zwangsweise dem neuen ungarischen Gesetz Folge zu leisten, das darauf zugeschnitten war, diese Privatuniversität aus dem Land zu vertreiben. Ihr Gründer George Soros war zum Feindbild der Nation stilisiert worden, die international ausgerichtete Lehrstätte mit US-akkreditierten Abschlüssen dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán ein Dorn im Auge.

Auch die Freiheiten der ungarischen Akademie der Wissenschaften wurden beschnitten, und Studiengänge der Genderwissenschaften wurden landesweit abgeschafft.

Mit Ende September sollen nun laut Plan Erstsemestrige der CEU in Wien ankommen und ihre Kurse als Übergangslösung im zehnten Bezirk besuchen. Anlässlich des Exodus wird am 16. September an der Uni Wien über die Freiheit der Wissenschaft diskutiert. Neben Vertretern beider Hochschulen ist auch der Präsident der Uni Chicago, Robert Zimmer, angekündigt, der die Keynote hält.

Druck von Kirche und Regierungen

Seit der Gründung der ersten Universitäten stehen diese unter Druck, der lange Zeit von der katholischen Kirche ausgeübt wurde. In Regierungen unterschiedlicher politischer Ausrichtung wurde die Redefreiheit eingeschränkt, insbesondere an Institutionen der Bildung und Forschung. Den Grund dafür sieht Zimmer "in Machtbestrebungen und einer moralischen Selbstgerechtigkeit".

Zimmers US-amerikanischer Blickwinkel auf akademische Freiheit ist vor allem vom Konflikt mit Personen oder Gruppen geprägt, die dagegen sind, Vortragende mit umstrittenen Ansichten in universitärem Rahmen einzuladen. Im Jahr 2014 beauftragte der Universitätspräsident und Mathematiker ein Komitee damit, die Werte der Hochschule bezüglich freier Meinungsäußerung und offenem Diskurs als Statut zu formulieren.

"Wo andere versuchen, sie zu beschneiden", sei es die Verantwortung der Universität, "eine lebendige und furchtlose Freiheit der Debatte zu fördern und zu schützen". Diesen "Chicago Principles" schlossen sich weitere Colleges und Universitäten an.

Was bedeuten sie in der Praxis? "Wir werden niemanden ausladen", sagt Zimmer, "sondern schützen die Möglichkeit von Lehrkräften und anerkannten Studierendengruppen, einzuladen, wen sie wollen." Protest sei vollkommen akzeptabel, solange er keine Vorträge stört, sonst ist mit Disziplinarverfahren zu rechnen.

"Diskussion ist der Schlüsselbegriff. Ein Kompromiss, der dafür sorgt, dass sich manche Personen nicht äußern können, wäre für mich inakzeptabel. Das würde bedeuten, keine gute Uni zu sein."

Kritik von Studierenden

Von solchen Problemen kann die CEU-Vizerektorin für den Fachbereich Sozial- und Geisteswissenschaften, Éva Fodor, nur träumen. Nicht, dass Derartiges noch nie an ihrer Universität vorgekommen wäre: Im vergangenen Oktober lud die CEU im Rahmen der Vortragsreihe "Dreams in Politics" Botschafter diverser Länder ein, darunter David Cornstein, US-Botschafter für Ungarn und persönlich mit Präsident Donald Trump befreundet.

Vor allem US-Studierende reagierten darauf mit Kritik, während der kanadische CEU-Präsident Michael Ignatieff wohl auf Cornsteins Unterstützung gegenüber der ungarischen Regierung hoffte. (weiterlesen: CEU-Rektor: "Wenn Soros nicht existieren würde, hätte ihn Orbán erfunden")

"Die Studierenden haben gegen den Vortragenden protestiert, was in Ordnung ist", sagt Fodor, die Professorin für Gender-Studies ist. "Wir wollen die Studierenden schließlich lehren, ihre Meinung so zum Ausdruck zu bringen, dass sie gehört wird und gleichzeitig der anderen Seite erlaubt ist, sich zu äußern. Universitäten sollten auch darüber nachdenken, wem sie eine Stimme geben und welche Konsequenzen das hat."

Fodor betont, dass dies ein für Universitäten relevantes und zu diskutierendes Thema in Bezug auf akademische Freiheit sei. Es ist aber eines, das sich innerhalb akademischer Kreise auftut. Das, was in Ungarn geschieht, ist ein größeres, politisches Problem. Und zwar ein systemisches, das über Einzelfälle hinausgeht: "Die Regierung kann systematisch Menschen zum Schweigen bringen." Dass dies dem Forschungsklima abträglich ist, muss jedem bewusst sein. "Ich selbst fühle mich in meiner Forschung frei – die CEU war immer eine kleine Insel der Freiheit, und jetzt, da wir schon aus diesem Land vertrieben wurden, habe ich persönlich nichts zu verlieren", sagt Fodor.

Eine Lösung scheint derweil außerhalb des Einflusses akademischer Institutionen zu liegen. "Es ist überraschend, dass die EU toleriert, was in Ungarn passiert und gewiss auch in anderen Ländern passieren wird", kritisiert die Wissenschafterin. Trotz verbaler Kritik kam es zu keinerlei Maßnahmen: "Die EU, deren Geist ja die Freiheit der Wissenschaft beinhaltet, muss Ungarn dazu zwingen, die illiberalen Praktiken und Verstöße gegen grundlegende Prinzipien zu stoppen."

Die Abwanderung von Wissenschaftern ist bereits zu beobachten, was weder im Interesse der EU noch in jenem ausländischer Investoren sein sollte. "Gerade internationale Organisationen sind gezwungen, langfristig zu denken. Ich schätze, dass das nach hinten losgehen wird – und die EU ihre moralische Autorität verliert." (Julia Sica, 15.9.2019)