John Bercow hat dem Unterhaus die Aufmerksamkeit gesichert.

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Kurz nur stockte die Stimme des zierlichen, gerade einmal 1,68 Meter messenden Mannes. Fast wirkte es, als sei ihm die Eloge peinlich, die von den Reihen der Abgeordneten im britischen Unterhaus am Montag auf ihn einprasselte. Dann folgte, was bei John Bercow immer folgt: "Order!".

Sitzung um Sitzung pflegt der Speaker of the House aufmüpfige Abgeordnete so einprägsam ("Machen Sie Yoga!") wie zynisch ("Nehmen Sie Ihre Medikamente!") zurechtzustutzen, sodass aus John Bercow inmitten des an Symbolik ohnehin nicht armen britischen Parlamentarismus selbst eine Marke geworden ist. Sogar vier Premierminister vermochten sich dem in mannigfaltiger Varianz dröhnenden "Order!" des Grauschopfs nicht zu entziehen. Weil er darauf Wert legt, dass nicht nur die Lautesten gehört werden, gilt Bercow aber auch als "Held der Hinterbänkler".

Zehn Jahre geht das schon so. Doch nun steht im altehrwürdigen House of Commons eine Götterdämmerung an. Ende Oktober hängt Bercow seinen Anzug – die traditionelle Robe hat er schon zu Beginn seiner Amtszeit abgelegt – an den Nagel. Mit ihm verlässt einer jener seltenen Protagonisten die politische Bühne, die im derzeitigen Brexit-Drama eine weiße Weste behalten haben – seiner stets farbenfrohen Krawatten zum Trotz. Kaum ein anderer hat aber auch so polarisiert. Und das nicht erst, seit er ein Star auf Youtube ist.

Ölschinken

Viel Feind, viel Ehr: Wer wissen will, wie sich der 56-Jährige – der von den einen als "scheinheiliger Zwerg" beschimpft und von den anderen als "einer der Großen" gerühmt wird – selbst gerne sehen würde, dem liefert die Galerie im Londoner Westminster-Palast handfeste Hinweise. 2011 ließ Bercow sein in Öl gemaltes Porträt samt Wappen enthüllen – von Amts wegen angefertigt zum stolzen Preis von 37.000 Pfund, wie die ihm schon damals wenig gewogene Yellow Press genüsslich aufdeckte.

Vor allem in puncto Heraldik schöpfte der schillernde Speaker nämlich aus dem Vollen: Vier Tennisbälle in der Mitte des pink-blau-goldenen Insigne weisen auf die Schwäche des staatlich geprüften Tennislehrers für den weißen Sport hin. Vielleicht ist es diesem Faible auch geschuldet, dass Bercow die ihm entgegengeschmetterten Anwürfe im Haus an der Themse so behände zu parieren weiß wie sonst niemand.

Aller Exzentrik zum Trotz steckt hinter dem Sohn eines jüdisch-rumänischen Taxifahrers aus dem Nordlondoner Stadtteil Finchley aber ein Berufspolitiker, wie er im Buche steht. Einer, der es nicht immer leichthatte. Für sein Wappen hat Bercow, der Aufsteiger, darum eine Leiter gewählt. Margaret Thatcher persönlich – die "Eiserne Lady" entstammte demselben Wahlkreis – hievte den Mittelschüler 1979 in die Jugendorganisation der Tories. Es war in den Achtzigerjahren, als der heute so streitbare Verteidiger der Demokratie kurz vom Weg abkam: Während seines Politologie-Studiums in Essex saß der Twen einem rechten, später von der Parteiführung wegen rassistischer Umtriebe aufgelösten Studentenzirkel vor.

vom harten Rechten zum streitbaren Demokraten

Das Irrlichtern währte nur kurz. Die beiden Regenbogen am Rand seines Speaker-Wappens machen seine Metamorphose vom harten Rechten zum streitbaren Demokraten deutlich: 2002, damals Schatten-Arbeitsminister der Tories, stimmte er entgegen der Parteilinie für die Homoehe und trat daraufhin aus der vordersten Reihe ab. Spätestens da wurde die Entfremdung John Bercows von seiner politischen Heimat manifest.

Dass er im selben Jahr die Labour-Aktivistin und spätere Big Brother-Teilnehmerin Sally Illman heiratete, mit der er drei Kinder hat, vergrämte viele Tories zusätzlich. 2015 setzten sie dem seit Amtsantritt parteilosen Speaker das Messer an: Fraktionschef William Hague forderte – höchst ungewöhnlich – die Abwahl seines einstigen Parteifreundes; als der Antrag scheiterte, kehrte Bercow unter dem Applaus Labours triumphal auf seinen Thron im Unterhaus zurück.

Den Vorwurf, er sei parteiisch, wird er seither aber nicht los. 2016 stimmte er gegen den Brexit. Als wenig später an der Stoßstange seines Autos ein Pro-EU-Aufkleber entdeckt wurde, parierte Bercow die Kritik lakonisch mit dem Hinweis, der Wagen gehöre seiner Frau. "Ich bin mir sicher, dass der ehrenhafte Gentleman nicht andeuten wollte, eine Frau sei das Eigentum ihres Mannes."

Historischer Präzedenzfall

Als sich das Brexit-Rad immer schneller zu drehen begann, berief er sich auf einen Präzedenzfall von 1604, um Theresa Mays Deal nicht zum dritten Mal zur Abstimmung zu bringen. Auch die Vorwürfe, er habe Mitarbeiter tyrannisiert, tun seiner Beliebtheit keinen Abbruch.

Doch die Tories sinnen auf Rache. Anders als alle seine Vorgänger der letzten 200 Jahre wird John Bercow nicht automatisch in das House of Lords berufen. Nur sein Bild, das bleibt wohl hängen. (Florian Niederndorfer, 10.9.2019)