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"Ziobro muss weg": Gegner der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fordern bereits seit August den Rücktritt des polnischen Justizministers.

Foto: AP / Czarek Sokolowski

Es fängt mit übler Nachrede an. Dann verbreitet das nationale Fernsehen die Verleumdungen. Und am Ende kommt der Staatsanwalt, der das ‚empörte Volk‘ repräsentiert", berichtet Katarzyna Kałwak, eine Richterin aus dem oberschlesischen Olesno. Sie ist eine von vielen polnischen Richterinnen und Richtern, die Opfer einer Hetzkampagne aus dem Justizministerium wurden. "Das Schlimmste kommt mit der Angst", bekennt der Posener Richter Bartłomiej Przymusiński. "Wenn die Richter anfangen, sich zu fürchten, ist das der Anfang vom Ende."

Für Kritik an Justizminister Zbigniew Ziobro und seinem radikalen Umbau des gesamten Gerichtssystems drohen Richtern wie Staatsanwälten Disziplinarstrafen, Versetzungen bis hin zum Berufsverbot. "Aber der Preis kann noch höher sein", so Przymusiński. "Wir sehen viele Ähnlichkeiten zu dem, was in der Türkei passiert. Dort sitzen Richter sogar im Gefängnis."

Vizeminister trat zurück

Dass die Trollfabrik, die täglich bis zu tausend Hassmails, Tweets und Postings gegen bestimmte Richter aussandte, direkt aus dem Warschauer Justizministerium Instruktionen und sensible Personaldaten bekam, erschüttert Polens Öffentlichkeit bis heute. Zwar trat Vizejustizminister Łukasz Piebiak bereits Ende August zurück, behauptet aber, unschuldig zu sein und mit der Affäre nichts zu tun zu haben. Die "Kaste", in der sich zwölf mit Namen bekannte Ministerialbeamte und Richter zusammenschlossen, um gemeinsam gegen Kollegen zu hetzen, drohte auch bereits Journalisten und Medien, die über den Fall berichteten, mit Rufmordprozessen. Justizminister Ziobro wiederum behauptet, von der Trollfabrik und der Hetzkampagne gegen bestimmte Richter nichts gewusst zu haben. Einen Rücktritt lehnt er ab.

Dabei ist Zbigniew Ziobro selbst einer der Urheber des sogenannten "Kastenkriegs", den die seit Herbst 2015 regierende nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) analog zum kommunistischen "Klassenkrieg" ausrief. Polens Bürger sollten gegen Richter in Stellung gebracht werden, sodass diese zwangspensioniert, strafversetzt und degradiert werden konnten, ohne gesellschaftliche Proteste hervorzurufen.

Ziel der PiS war und ist es, die demokratische Gewaltenteilung aufzuweichen und die Judikative, also die Rechtsprechung, unter die Kontrolle der Partei zu bringen. Legislative und Exekutive beherrscht sie bereits: Seit Ende 2015 kann die PiS-Regierung mit absoluter Mehrheit im Parlament Gesetze verabschieden, ohne auf die Opposition Rücksicht nehmen zu müssen.

Enthüllungen einer Insiderin

Fast drei Jahre lang verschickte Emilia Szmydt von mehreren anonymen Twitter-, Facebook- und Whatsapp-Konten aus diffamierende "News" über politisch unliebsame Richter an deren Vor gesetzte und Kollegen. Krystian Markiewicz, dem Vorsitzenden der größten polnischen Richtervereinigung Iustitia, dichtete sie beispielsweise eine kompromittierende Vita an, wollte dabei sogar seinen fünfjährigen Sohn mit in den Dreck ziehen und schickte ihm selbst diverse vulgäre Beleidigungen zu.

Am Montag veröffentlichte die Tageszeitung Gazeta Wyborcza nun ein dreiseitiges Interview mit "kleinEmi", wie ihr Konto auf Twitter hieß. Offiziell, so berichtet Szmydt, arbeitete sie als PR-Beraterin eng mit den neu ernannten Richtern des Landesjustizrates und des Obersten Gerichts zusammen sowie auch mit den von Justizminister Ziobro neu ernannten Gerichtspräsidenten. Parallel zur positiven PR für die "Neuen" lief die Rufmordkampagne gegen die "alten" und allzu unabhängigen Richter, so Szmydt.

100.000-fach geklickte Hass-Tweets

Die Anregungen aus dem Ministerium habe sie fast immer aufgegriffen und auch eine ordinäre Postkartenaktion gegen Małgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichts, gestartet. Auf manche ihrer Hass-Tweets wurde fast 100.000-mal geklickt, was ihr das Gefühl gegeben habe, etwas für den "guten Wandel" in Polen zu tun. Erst später, als ihre Ehe mit einem Richter zerbrach, dessen Karriere sie durch ihre Aktionen befördern wollte, habe sie mit einem anderen Blick auf ihr Zerstörungswerk geschaut. Heute sagt Szmydt, dass sie bedaure, was sie in den vergangenen drei Jahren getan habe, und dass sie sich bei ihren früheren Opfern entschuldigt habe.

Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte inzwischen Handy und Laptop von Emilia Szmydt. Wann und ob es überhaupt zum Prozess kommt, ist offen. Die Hasskampagne gegen unliebsame Richter aber geht weiter – von anderen anonymen Konten aus, nur eben ohne Emilia Szmydt. (Gabriele Lesser aus Warschau, 11.9.2019)