Auch Radfahren geht mit der neuartigen Prothese.

Foto: Federica Barberi

Zürich/Lausanne – Menschen mit intakten Beinen spüren, wenn sie ihr Knie bewegen oder wenn ihre Füße den Boden berühren. Ihr Nervensystem nutzt ständig solche sensorischen Rückmeldungen, um die Muskeln präzise zu steuern. Wer eine Beinprothese tragen muss, weiß jedoch nicht so genau, wo sich die Prothese befindet und wie sie sich bewegt. Beim Gehen der Prothese zu vertrauen, ist für diese Personen schwierig und sie verlassen sich deshalb oft zu stark lediglich auf ihr intaktes Bein. Ihre Beweglichkeit ist daher eingeschränkt und sie ermüden schnell. Zudem leiden Menschen mit einer amputierten Extremität häufig unter Phantomschmerzen, welchen mit Medikamenten nur schwer beizukommen ist.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der ETH Zürich und des Lausanner Start-ups Sensars hat nun eine Schnittstelle entwickelt, um eine Beinprothese mit den Nerven im Oberschenkel der Nutzer zu verbinden und so sensorisches Feedback zu ermöglichen. In einer Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Belgrad testeten die Wissenschafter dieses Neurofeedback-System an zwei freiwilligen Prothesenträgern, denen ein Bein oberhalb des Knies amputiert worden ist.

Sensoren in Sohlen und Gelenken

Dank der sensorischen Rückmeldung verließen sich die beiden Probanden mehr auf die Prothese und konnten sich mit weniger Anstrengung fortbewegen. Für die dreimonatige Studie implantierte ein Chirurg am Klinischen Zentrum von Serbien in Belgrad winzige Elektroden im Oberschenkel der beiden Prothesenträger. Sensoren an der Fußsohle und dem Kniegelenk der Prothese zeichneten Druck und Bewegung auf, die mit Hilfe von eigens entwickelten Algorithmen in Stromimpulse umgewandelt wurden, die "Sprache des Nervensystems", wie die ETH-Forscher erklären.

Die Elektroden leiteten diese Impulse an die Nerven weiter, diese übermitteln sie wiederum ans Gehirn. Ziel war, das sensorische Neurofeedback zumindest ansatzweise wieder herzustellen, das Menschen mit intakten Beinen spüren.

Dank der Rückmeldung von der Prothese über Druck von der Sohle und Bewegung des Kniegelenks konnten die beiden Probanden mit weniger Anstrengung gehen und mussten sich weniger darauf konzentrieren, wie ihr Sauerstoffverbrauch und ihre Hirnaktivität zeigten. Auch bei der Aufgabe, über Sand zu gehen, kamen die Probanden schneller voran. Auf Nachfrage gaben die beiden Prothesenträger an, das Neurofeedback habe ihr Vertrauen in das künstliche Bein erhöht.

Frei von Phantomschmerz

Mithilfe einer einmonatigen Neurostimulations-Therapie gelang es den Forschenden außerdem, die Probanden in einem Fall teils, im anderen gänzlich von Phantomschmerz zu befreien, schrieb die ETH weiter. "Meine große Zehe, mein Fuß, meine Ferse, mein Knöchel und meine Wade, alles schmerzte, und dabei habe ich das alles gar nicht mehr", ließ sich der eine Proband, Savo Panic, in der Mitteilung zitieren. Vor Beginn der Studie sei er oft wegen Phantomschmerzen aufgewacht. Seitdem er mit der Neurostimulation begonnen habe, habe er keine mehr.

"Unsere Machbarkeitsstudie zeigt, wie vorteilhaft es für die Gesundheit von Beinamputierten ist, eine Prothese zu haben, die mit neuronalen Implantaten arbeitet, um das sensorische Feedback wiederherzustellen", sagte Stanisa Raspopovic von der ETH Zürich.

Für den Einsatz im klinischen Alltag bedarf es jedoch noch weiterer Entwicklungen und Studien. Im Rahmen der nun vorgestellten Studie gelangten die Signale der Prothese noch über Kabel durch die Haut an die Elektroden im Oberschenkel, was regelmäßige medizinische Untersuchungen nötig machte. In Zukunft wollen die Wissenschafter ein drahtloses Neurostimulationsgerät entwickeln, das sich vollständig implantieren lässt. Das System müsse außerdem an einer größeren Anzahl Patienten und über längere Zeiträume getestet werden. (red, APA, 10.9.2019)