Fühlt sich hier noch jemand an die kanadische Flagge erinnert? Die Farbgebung des Illustrators mag "subtil" von Nationalstolz beeinflusst sein, ist allerdings auch nicht spekulativer als jede andere.
Illustration: David Maas

1978 wurden in Rumänien Knochen eines Flugsauriers entdeckt, der so ungewöhnlich war, dass man ihn erst Jahrzehnte später als solchen identifizierte. Denn das Hatzegopteryx benannte Tier war gigantisch: Es hatte eine Flügelspannweite von etwa 12 Metern und hätte in aufgerichteter Haltung einer Giraffe in die Augen blicken können – kein Format, das man üblicherweise mit einem flugfähigen Tier assoziieren würde.

Inzwischen kennt man eine ganze Reihe von Arten, die mit Hatzegopteryx verwandt waren. Die sogenannten Azhdarchiden lebten allesamt in der Kreidezeit und markieren einen Endpunkt in der vor 230 Millionen Jahren begonnenen Geschichte der Flugsaurier – nämlich einen Gipfelpunkt in Sachen Gigantismus. Selbst die kleinsten Azhdarchidenarten hatten Flügelspannweiten wie Albatrosse, die Rekordhalter unserer Tage. Und die größten entfalteten ihre Schwingen auf bis zu 13 Meter.

Cryodrakon, nicht Quetzalcoatlus

Forscher der Londoner Queen Mary University stellten nun im "Journal of Vertebrate Paleontology" eine bislang unbekannte Spezies vor, die vor etwa 77 Millionen Jahren im heutigen Kanada lebte. Sie erhielt die Bezeichnung Cryodrakon boreas, was man flapsig als "Tiefkühldrache aus dem Norden" übersetzen könnte, und gehörte zu den größten Vertretern ihrer Verwandtschaft.

Die Mehrzahl der Funde stammt von einem Jungtier, das eine Flügelspannweite von fünf Metern hatte. Allerdings hat man auch einzelne Knochen von ausgewachsenen Artgenossen gefunden – darunter einen Teil einer Halswirbelsäule, der hochgerechnet auf ein Tier mit zehn Metern Flügelspannweite hinweist.

Der rechte Oberarmknochen eines Cryodrakon boreas, etwa 25 Zentimeter lang.
Foto: David Hone

Eigentlich waren die Fossilien von Cryodrakon schon vor 30 Jahren im kanadischen Alberta gefunden worden. Allerdings hatte man sie zunächst der Spezies Quetzalcoatlus zugeschrieben, die einige Millionen Jahre später im Süden der heutigen USA lebte. Quetzalcoatlus ist einer der Mitbewerber für den Titel größtes flugfähiges Tier aller Zeiten.

Nachdem sich ein Paläontologenteam um David Hone die Fossilien näher angesehen hatte, kam es aber zum Schluss, das das Tier aus Kanada in eine eigene Spezies gestellt werden muss. Man hat Teile der Flügel, der Beine, des Halses und eine Rippe gefunden, und diese weisen einige Unterschiede zum südlichen Verwandten auf. Die Form von Wirbeln und Beinknochen weisen auf ein Tier hin, das in etwa das Aussehen und die Größe von Quetzalcoatlus hatte, aber robuster gebaut war und etwas mehr auf die Waage brachte als die geschätzt 250 Kilogramm eines Quetzalcoatlus.

Wie gut waren die Riesen wirklich im Fliegen?

Womit die Forscher direkt zu den vielen Fragen kommen, die zu den Azhdarchiden noch offen sind. Mit ihren riesigen Schwingen wäre es diesen Tieren ein leichtes gewesen, im Gleitflug Ozeane zu überqueren. Interessanterweise wurden die meisten Fossilien aus dieser Flugsauriergruppe aber in Regionen gefunden, die während der Kreidezeit im Landesinneren lagen.

Cryodrakon könnte sowohl in der Luft wie auch auf der Erde in seinem Element gewesen sein.
Illustration: David Maas

Daraus haben Paläontologen die Vermutung abgeleitet, dass die riesenhaften Tiere nicht wie andere Flugsaurier in der Luft, sondern zu Fuß auf der Jagd waren. Echsen, Säugetiere und kleine Dinosaurier könnten ihre Beute gewesen sein. Manche Forscher sind sogar der umstrittenen Ansicht, dass Azhdarchiden nur in jungen Jahren flogen, in ausgewachsenem Zustand aber dauerhaft am Boden blieben.

Hone vertritt diese Ansicht in abgeschwächter Form: Cryodrakon sei ein muskelbepackter Räuber gewesen, der am Boden auf Jagd ging – sich im Gefahrenfall aber immer noch in die Luft schwingen hätte können: Sei es bei einer Naturkatastrophe, sei es wegen der Attacke eines Theropoden. Immerhin war Cryodrakon ein Nachbar des mit T. rex verwandten Albertosaurus, der mit seinen eineinhalb Tonnen in einer anderen Liga spielte, was die Kampfkraft betraf. (jdo, 11. 9. 2019)