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Auch wenn sich die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa im Jahr 2016 für Frauen auf 82,0 Jahre und für Männer auf 76,2 Jahre erhöht hat, herrschen noch immer erhebliche gesundheitliche Ungleichgewichte zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. So reduziert sich die Lebenserwartung von Frauen um bis zu sieben Jahre und die von Männern um bis zu 15 Jahre, wenn sie zu den am stärksten benachteiligten Gruppen gehören.

Diese Zahlen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun in einem neuen Bericht veröffentlicht. Er zeigt ganz klar: Das verschärfte Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich in den 53 Staaten der Europaregion schlägt auf die Gesundheit durch. "Fortschritte im Bereich der gesundheitlichen Chancengleichheit sind in der gesamten Europäischen Region ins Stocken geraten", so die WHO.

Im Vergleich zu den reichsten 20 Prozent der Bevölkerung melden nahezu doppelt so viele Frauen und Männer der ärmsten 20 Prozent Erkrankungen, die ihre Fähigkeit zur Ausübung alltäglicher Aktivitäten einschränken. In 45 der 48 Länder, die Daten zur Verfügung gestellt haben, schätzen Frauen mit der niedrigsten Zahl an Bildungsjahren ihren Gesundheitszustand häufiger als schlecht oder mittelmäßig ein, als dies bei Frauen mit der höchsten Zahl an Bildungsjahren der Fall ist; bei den Männern zeigt sich in 47 der 48 Länder ein ähnliches Muster.

Konkrete Verbesserungsvorschläge

Der Report ist der erste "Zustandsbericht der WHO über gesundheitliche Chancengleichheit": Er mache deutlich, dass gesundheitliche Benachteiligungen in vielen Ländern trotz der Bemühungen der Regierungen um deren Beseitigung unverändert geblieben seien oder sich gar verschärft hätten, hieß es.

Der Bericht biete Regierungen erstmals die erforderlichen Daten und Instrumente, um gesundheitliche Ungleichgewichte zu beheben und schon innerhalb einer relativ kurzen Zeit – etwa der vierjährigen Amtszeit einer nationalen Regierung – sichtbare Ergebnisse zu erzielen, so Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa.

Auch konkrete Handlungsvorschläge werden im Bericht gemacht, sie würden auch wirtschaftliche Vorteile bringen, heißt es. Ein Abbau der Ungleichgewichte um 50 Prozent würde etwa den Ländern finanzielle Vorteile in Höhe von 0,3 Prozent bis 4,3 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) bringen.

Wohngegend bestimmt Gesundheit

Wie lange und wie gut man lebt, ist auch vom Wohnort abhängig: Aus den Trends geht hervor, dass sich in fast 75 Prozent der untersuchten Länder die Unterschiede bei der Lebenserwartung zwischen den am stärksten begünstigten und den am stärksten benachteiligten Wohngebieten seit mehr als zehn Jahren nicht verändert haben, in einigen Fällen haben sie sich sogar verschärft.

Im Vergleich zu wohlhabenden Gebieten überleben in den am stärksten benachteiligten Gebieten vier Prozent mehr Säuglinge ihr erstes Lebensjahr nicht.

Mit zunehmendem Alter vergrößert sich zudem die gesundheitliche Kluft zwischen den Gruppen: Im Vergleich zu den wohlhabendsten Haushalten schätzen in den einkommensschwächsten Haushalten sechs Prozent mehr Mädchen und fünf Prozent mehr Burschen ihre Gesundheit als schlecht ein. Diese Kluft steigt im erwerbsfähigen Alter auf 19 Prozent mehr Frauen und 17 Prozent mehr Männer an und erreicht bei Menschen im Alter von 65 Jahren und darüber den Höchststand. In dieser Altersgruppe sind es 22 Prozent mehr Frauen und 21 Prozent mehr Männern in den einkommensschwächsten Haushalten, die ihre Gesundheit als schlecht bewerten.

Grundlegendes fehlt

Etwa 35 Prozent der gesundheitlichen Ungleichgewichte sind durch finanzielle Probleme beziehungsweise Armut bedingt. Zu den Betroffenen zählen auch jene, die trotz Vollzeitbeschäftigung regelmäßig Schwierigkeiten haben, die grundlegenden Güter und Dienstleistungen zu kaufen, die sie für ein menschenwürdiges und unabhängiges Leben brauchen. Die direkten Lebensbedingungen (Wohnen, Ernährung et cetera) sind zu 29 Prozent für die gesundheitlichen Ungleichgewichte verantwortlich. Isolation und ähnliche Faktoren wird ein Anteil von 19 Prozent zugewiesen, unterschiedlichem Zugang zum Gesundheitssystem zehn Prozent.

In Österreich hat sich die Säuglingssterblichkeit (rund drei Promille) zwischen 2005 und 2016 laut den WHO-Daten trendmäßig erhöht. Die Zahlen der Statistik Austria geben ein differenzierteres Bild: 2005 waren es noch 4,2 Promille, 2014 dann drei, 2015 und 2016 jeweils 3,1 Promille. Im Jahr darauf lag die Säuglingssterblichkeit bei 2,9 Promille, 2018 betrug sie schließlich 2,7 Promille.

Bei der Krankheitslast ist Österreich relativ hoch angesiedelt. Dass die Österreicher im Vergleich zu ähnlichen Staaten weniger Jahre in vollständiger Gesundheit erleben, ist seit langem bekannt. Bei den über 65-Jährigen berichten 19 Prozent mehr Frauen und 20 Prozent mehr Männer aus der einkommensschwächsten Schicht über schwere gesundheitliche Probleme. Hier hat sich in Österreich seit 2005 nichts verbessert. (APA, 11.9.2019)