"Telling Lies"
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"Telling Lies"

Die Synthese von Film und Spiel wurde in der langen Geschichte der Videospiele immer und immer wieder versucht – und mit wenigen Ausnahmen kam dabei meist etwas heraus, was als Spiel bestenfalls Mittelmaß, als Film jedoch großteils zum Fremdschämen war.

Bis 2015: Da veröffentlichte der britische Game-Designer Sam Barlow mit seinem kleinen Spiel Her Story das fraglos beste und originellste Spiel mit "Full-Motion-Video" (FMV). In dem wühlt man sich in einer Polizeidatenbank durch dutzende Filmschnipsel eines Verhörs einer jungen Frau, überzeugend dargestellt von der Schauspielerin und Musikerin Viva Seifert. Mit Telling Lies gibt es nun einen spirituellen Nachfolger – größer, umfangreicher und aufwendiger produziert.

Das Spielprinzip ist dasselbe wie bei Her Story: Die Spieloberfläche ist diesmal der Desktop eines Laptops, auf dem eine gestohlene NSA-Datenbank mit Videomaterial liegt. Durch eine Suchmaske lassen sich die vielen Stunden von Aufnahmen nach Schlagworten durchsuchen. Zu sehen gibt es in Telling Lies allerdings nicht nur eine, sondern vier Hauptfiguren – drei Frauen und einen Mann –, und die Aufnahmesituationen sind vielfältiger als in Her Story: vom Videoanruf über selbstgemachte Streams bis hin zu heimlich gefilmten Aufnahmen. Allen gemeinsam ist, dass man stets nur eine Seite der Konversation zu sehen und zu hören bekommt – ein cleverer erzählerischer Kniff.

Die Aufgabe der Spielerinnen und Spieler ist, sich in diesem Riesenhaufen an Videomaterial zu orientieren und mehr über die Figuren und ihre Verbindungen zueinander herauszufinden; dazu hangelt man sich von Schlagwort zu Schlagwort, sucht in den Videos nach Hinweisen und neuen Suchbegriffen und versucht Licht in das sich schnell offenbarende Geflecht an Beziehungen, Lügen und Abhängigkeiten zu bringen.

Annapurna Interactive

Was ist gelungen?

Telling Lies hat etwas, das vielen anderen FMV-Spielen schmerzlich fehlt: wirklich gute Schauspieler, die überzeugend agieren und an keinem Punkt hinter das Niveau professioneller Film- und TV-Produktionen zurückfallen. Die hohe Produktionsqualität wird durch ein überzeugendes Skript bestens gehalten, und das von Her Story bekannte Spielprinzip lässt nie Zweifel aufkommen, dass das hier nur als Spiel funktioniert und eben kein "Film zum Mitspielen" ist, bei dem man nur manchmal eine Entscheidung treffen darf.

Die Detektivarbeit in der Datenbank ist knifflig – um eigene Notizen kommt man nicht herum –, aber bei Erfolgserlebnissen enorm befriedigend; das Aufdecken von Ungereimtheiten und die schrittweise Erkenntnis, welche der hier getroffenen Aussagen wahr und welche schlicht gelogen ist, hält einige unterhaltsame Stunden in Atem.

Was ist weniger gelungen?

Dass man gefundene Clips nicht per einfachem Tastendruck an ihren Anfang zurückspulen kann, sondern sie mühsam rewinden muss, ist ein Ärgernis. Schwerer wiegt ein fundamentales Problem des Spielprinzips: Nicht jeder Weg durchs Labyrinth der Datenbank formiert sich zum selben narrativen Spannungsaufbau – so kann man durchaus ein Schlagwort übersehen oder findet per Zufall früh Hinweise auf Handlungselemente, die später effektvoller zum Einsatz kämen. Während Her Story mit einer Hauptfigur, einer Handlungssituation und sogar einem abschließenden Twist vergleichsweise kompakt war, ist Telling Lies in seinem weitaus größeren Umfang auch notwendigerweise weniger konzentriert – und die sich herauskristallisierende Handlung auch eine Spur weniger originell.

Fazit

Telling Lies ist ein Paradebeispiel für cleveres Erzählen, unterhält mit befriedigender Detektivarbeit und hervorragenden schauspielerischen Leistungen. Was in Her Story kompakt gelungen ist, wird hier sozusagen auf Leinwandbreite ausgerollt – und ergibt ein Erlebnis, wie es nur in diesem Medium existieren kann. (Rainer Sigl, 14.9.2019)