Jeder Avatar braucht eine Vorgeschichte, Körpersprache und Mimik.

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Bei der Diagnose psychischer Erkrankungen sind Mediziner gefordert. Es gilt dabei, nicht nur auf die Antworten der Patienten im Gespräch zu achten, auch das Drumherum ist entscheidend. Wie klingt die Stimme? Sieht die Person ihrem Gegenüber in die Augen? Wie ist die Körperhaltung? Tigert er oder sie ruhelos herum? Ist das Gesicht versteinert oder lebendig?

"All diese Dinge beobachtet und bewertet eine erfahrene Ärztin oder ein erfahrener Arzt im Gespräch mit dem Patienten – das können Mimikveränderungen im Millisekundenbereich sein", sagt Paraskevi Mavrogiorgou von der Klinik für für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin von der Ruhr-Universität Bochum (RUB).

Virtuelles Gespräch

Dass auch Medizinstudierende solche Settings üben können, werden an der RUB künftig psychiatrische Untersuchungsgespräche mit Avataren geführt. "Das ermöglicht es, mit Patienten aller Krankheitsbilder und Schweregrade zu üben und das Panorama zu erweitern", erklärt Projektleiterin Mavrogiorgou. Ausgestattet mit einer Virtual-Reality-Brille werden die Studierenden diese Avatare in einem dreidimensionalen Raum zur Untersuchung – die Experten sagen Exploration – treffen.

"Im Universitätsklinikum sehen wir vor allem schwerkranke Patienten", sagt Ärztin Mavrogiorgou. "Sie zu motivieren, am Unterricht mit Studierenden teilzunehmen, ist schwierig." Die Avatare sollen für Abhilfe sorgen. "Das hat international unseres Wissens noch niemand gemacht, damit sind wir die ersten", sagt Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der Klinik.

Zwei bis drei Jahre haben die vorbereitenden Arbeiten gedauert, jetzt gehe es darum, die virtuellen Personen inhaltlich zu bestücken. "Sie brauchen eine Biografie, eine Vorgeschichte", erklärt Mavrogiorgou. "Und sie müssen in der Lage sein, gemäß ihrer psychischen Erkrankung auf bestimmte Schlüsselfragen zu antworten." Hunderte Seiten Anweisungen für Dialoge existieren bereits.

Auf Mimik achten

Um die Avatare auch körperlich überzeugend darstellen zu können, wollen die Mediziner mit einer kommerziellen Firma zusammenarbeiten, die auf Visualisierungen unter anderem im Medizinbereich spezialisiert ist. Je nachdem, welche psychischen Probleme die Avatare repräsentieren, soll auch ihre Körpersprache angepasst werden. Sie können im Gespräch sitzen, stehen, liegen oder herumlaufen.

Auch ihre Mimik soll dem geübten Beobachter Aufschluss über die zugrundeliegende Erkrankung geben können. "Jede dieser Mimikbewegungen muss der Programmierer einzeln gestalten", verdeutlicht Juckel den enormen Aufwand.

Im Sommersemester 2020 sollen die Avatare erstmals für das Training mit den Studierenden eingesetzt werden. (red, 11.9.2019)