Piacenza-Legionär Alexander Berger ist eine der Stützen des Teams, das sich in allen EM-Spielen eine Chance ausrechnet. "Vielleicht unterschätzt uns ein Favorit, vielleicht erwischen wir einen Supertag."

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Michael Warm ist seit 2010 der Teamchef Österreichs.

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Die österreichischen Volleyballer sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Verantwortlich dafür zeichnet ein Deutscher. Vor mehr als neun Jahren ist Michael Warm als österreichischer Teamchef angetreten, damals habe ihm der seinerzeitige Verbandspräsident Peter Kleinmann gesagt: "Michael, kümmere dich darum, dass wir in Österreich richtige Profi-Volleyballer herausbekommen." Warm hat sich gekümmert, das lässt sich nun sagen, da sich das Team erstmals aus eigener Kraft für eine EM-Endrunde qualifiziert hat.

Die Titelkämpfe finden ab heute, Donnerstag, gleich in vier Ländern statt (Frankreich, Belgien, Niederlande, Slowenien). Österreich trifft in Gruppe B zunächst in Brüssel auf Belgien (Freitag) und auf die Slowakei (Samstag) sowie später in Antwerpen auf Deutschland, Spanien und Serbien. Die top vier aller vier Gruppen erreichen das Achtelfinale, Österreichs erklärtes Ziel ist der Aufstieg, also Rang vier. Die ersten drei Gruppenplätze scheinen an Deutschland, Serbien und Belgien vergeben, die allesamt im Semifinale der EM 2017 standen. Titelverteidiger ist der vierte Semifinalist von damals, also Russland.

Profitieren von guter Nachwuchsarbeit

Die österreichische Qualifikation gelang unter Gernot Leitner, Kleinmanns Nachfolger an der Spitze des Verbands (ÖVV). Und sie kam nicht von ungefähr. Teamchef Warm (51) hat kontinuierlich aufbauen können und profitierte auch von guter Nachwuchsarbeit etlicher Vereine. "Immer mehr Talente haben sich entschieden, den Sport mit ganzem Herzen auszuüben." Mittlerweile besteht das Team fast ausschließlich "aus Spielern, die sich schon irgendwo in Europa durchgesetzt haben".

Aus der heimischen Liga hat es allein ein Trio von Aich/Dob in den EM-Kader geschafft. Angeführt wird die Mannschaft von Kapitän Peter Wohlfahrtstätter (Benfica Lissabon), Alexander Berger (Copra Piacenza), Philipp Kroiss (Ajaccio) und Thomas Zass (Amriswil). Wie schwer der Ausfall von Monza-Legionär Paul Buchegger (Meniskusverletzung) wiegt, bleibt abzuwarten. Warm: "Uns trifft so etwas mehr als große Volleyballländer. Russland hat 50 Spieler auf internationalem Niveau, Deutschland 30 bis 40, wir haben halt nicht mehr als 15 oder 16."

Als Österreichs EM-Teilnahme feststand, war die Freude klarerweise groß. "Aber wir haben uns", sagt Warm, "dann gleich zusammengesetzt und festgestellt, dass wir nicht nur dabei sein wollen. Wir wollen aus dieser Gruppe herauskommen."

Hoffnung auf "Supertage"

Die Europarangliste führt Österreich quasi als Schlusslicht der 24 EM-Teilnehmer an 28. Stelle, dem misst der Teamchef kaum Bedeutung bei. "Es gibt keinen Gegner, gegen den wir uns keine Chance ausrechnen." Er will sich keinesfalls auf die Duelle mit der Slowakei und Spanien konzentrieren. "Es wird in allen Gruppen Überraschungen geben – wieso nicht auch in unserer Gruppe? Wir müssen fünf Mal an unsere Grenzen gehen. Vielleicht unterschätzt uns einer der Favoriten, vielleicht erwischen wir einen Supertag, vielleicht auch mehrere Supertage."

Was an einem solchen Tag möglich ist, zeigte sich vor zwei Jahren, als Österreich in der World League in Linz ein 3:1 über Deutschland feierte. Warm: "Es ist ähnlich wie im Fußball. Meistens verlierst du gegen Deutschland. Aber dann passiert es doch, dass du einmal gewinnst. Und wenn es einmal passiert ist, passiert es ja vielleicht auch ein zweites Mal."

"Mehr als ein Job"

Seit mehr als neun Jahren hat Warm, der mit einer Österreicherin verheiratet ist, seinen Lebensmittelpunkt in Wien. Seit wenigen Wochen ist er – auch – Trainer des deutschen Rekordmeisters Friedrichshafen, bei dem er für zwei Jahre unterschrieben hat. Ob er dem ÖVV erhalten bleibt und seinen Vertrag verlängert, will Warm erst nach der EM entscheiden. Wien sei jedenfalls "eine grandiose Stadt zum Leben". Und der Teamchefposten war für Warm, der stets auch die Hymne mitsingt, stets "viel mehr als ein Job. Nämlich ein wunderbares Projekt, an dem mein Herz hängt."

Das Projekt hat zuletzt mit sich gebracht, dass Warm nicht weniger als 170 Spiele der Gruppengegner genau analysiert hat. Von den Belgiern weiß man, dass sie im Zuspiel variabel sind, im 2,03 Meter großen Sam Deroo einen überragenden Spieler und ordentlich Blockstärke haben. "Nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen, lieber mit Köpfchen agieren", lautet da die Devise. Sie gilt für Belgien, gilt für die EM und eignet sich auch als Lebensmotto. (Fritz Neumann, 12.9.2019)