Guten Schulsozialarbeitern gelingt es, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Das braucht Zeit.

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Wenn von ihnen die Rede ist, dann geht es oft um Gewalt, um Mobbing, um Schulen in Regionen, für die gern die Umschreibung "sozial belastet" verwendet wird und die jene Gegenden meint, wo Akademikereltern ihre Kinder lieber nicht hinschicken. Besonders laut wird nach ihnen gerufen, wenn die Situation an einem Schulstandort eskaliert – wie zuletzt an einer Wiener HTL, wo es im Frühjahr dieses Jahres zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen einem Lehrer und einigen Schülern gekommen ist.

Wunsch und Realität

Es geht um Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, um Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter. Es braucht mehr von ihnen, nicht nur in akuten Krisensituationen. Das finden eigentlich alle Parteien – auch, aber nicht nur in Wahlkampfzeiten. Trotzdem gibt es an den etwa 5.000 öffentlichen Schulen in Österreich viel zu wenige von ihnen.

In Zahlen ausgedrückt: Auf mehr als 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler kommen rund 200 Personen aus dem Fachgebiet Schulpsychologie, von denen allerdings nicht alle vollzeitbeschäftigt sind. Ähnlich die Zahl der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter: Rund 200 Vollzeitstellen soll es in diesem Bereich an heimischen Schulen geben. Ganz genau lässt sich das aus Sicht des Bildungsministeriums aber nicht sagen, denn Schulsozialarbeit ist Ländersache, konkret jene der Kinder- und Jugendhilfe. In den österreichischen Schulgesetzen ist von Schulsozialarbeit keine Rede. Unterstützung leisten hierzulande aber auch Beratungslehrkräfte, Coaches, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Doch selbst wenn man sie alle zusammenrechnet, haben Lehrkräfte in Österreich laut einer internationalen Vergleichsstudie vergleichsweise wenig Support an ihrer Seite.

Fragt man Jochen Prusa, den Geschäftsführer des Österreichischen Berufsverbands für Soziale Arbeit, um wie viele Kinder sich ein Schulsozialarbeiter sinnvollerweise kümmern sollte, lautet seine Antwort: "300, maximal." Davon war Österreich schon bisher ein halbes Universum entfernt. Und es scheint auch eine Galaxie, die man – wohl aus Kostengründen – auch gar nicht erreichen will. Georg Koenne, der den beim Bildungsministerium angesiedelten Verein "Österreichisches Zentrum für Psychologische Gesundheitsförderung" (ÖZPGS) leitet, gibt als Zielgröße 450 Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter aus – österreichweit.

Bund zeigt auf

Dass der Bund hier überhaupt mitredet, ist neu. Nach dem Auslaufen des sogenannten Integrationstopfs, eines Sonderbudgets, mit dem sich der Bund ab 2017 an zusätzlichem Unterstützungspersonal für Schulen beteiligt hat, wurde kurz vor dem Sommer eine Auffanglösung gefunden. Eine, mit der der Bund erstmals für mehr Verantwortung für den Bereich Schulsozialarbeit aufzeigt. Die finanzielle Umleitung, die dafür gefunden wurde, liegt in einer weiter gefassten Definition des Bildungsinvestitionsgesetzes (BIG), das eigentlich die 750 Millionen Euro aus der Bankenmilliarde für den Ausbau von Ganztagsschulplätzen sichern soll. Bei dieser Aufgabe bleibt es nicht. Jetzt können die Länder einen Teil der Mittel auch für die Finanzierung von Unterstützungspersonal nutzen, mit einem Vorbehalt: Die Hälfte der Kosten für den Einsatz von Schulsozialarbeiterinnen muss das Land selbst tragen.

Weil Wien bereits alle Mittel für den Ausbau der ganztägigen Schulformen verbraucht hat, muss das Bildungsministerium seinen Hälfteanteil mittels Umschichtungen im ohnehin angespannten Bildungsbudget stemmen. Damit bleiben in der Hauptstadt alle 25 Posten, die früher aus dem Integrationstopf finanziert wurden, erhalten.

Was sich noch ändert: Supportkräfte müssen künftig beim ÖZPGS angemeldet sein, andere Vereine kommen nicht mehr zum Zug. Gelockert wurden hingegen die inhaltlichen Vorgaben. Die Integration jener Kinder, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, muss nicht mehr Hauptaufgabe der verbliebenen Schulsozialarbeiter sein.

Kärnten hat daraufhin keinen Bedarf mehr angemeldet. Auch in den übrigen Bundesländern werden laut Ist-Stand weniger Schulsozialarbeiter als bisher eingesetzt – jedenfalls aus den Kofinanzierungsmitteln des BIG. Von 107 Schulsozialarbeiterposten sind damit künftig nur noch 76 besetzt. Wie kann das sein? Alle wollen mehr, und am Ende gibt es weniger von ihnen?

Telefon oder Nebenzimmer

Berufsvertreter Prusa betont, im Bereich Sozialarbeit sei es wichtig, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen gelinge das nur schwer. Nur ein Teil der Sozialarbeiter ist fix an einem Standort tätig. Auch im Bund weiß man um dieses Defizit. Natürlich gehe es auch um die Frage, "wie hoch ich gewisse Schwellen baue", sagt Koenne. Denn es macht einen Unterschied, ob man bei Unterstützungsbedarf zum Telefonhörer greifen muss oder ob die Hilfe ohne großen Aufwand erreichbar ist. Koenne formuliert es so: "Wenn die Person im Nebenzimmer sitzt, ist das natürlich niederschwelliger."

Sollte eine künftige Finanzministerin einer künftigen Regierung befinden, dass ob der Wichtigkeit des Themas in diese Richtung umgeschichtet werden muss, rechnet Koenne vor: "Wir kalkulieren mit 50.000 bis 60.000 Euro Jahreskosten für einen Schulsozialarbeiter inklusive aller Overheadkosten, abzüglich möglicher Bürokosten. Bei den Schulpsychologen kommen wir auf Jahreskosten von 65.000 bis 70.000 Euro mit allem Drum und Dran." Schweden leistet sich für jeden Schulstandort einen Sozialarbeiter – Vollzeit. (Karin Riss, 12.9.2019)