Er will alle selber sein: Childerich (Peter Fasching, re.) mit seinem Diener Wänzrödl (Bernhard Dechant).

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Es ist nicht ganz klar, was Heimito von Doderer geritten haben mag, 1962 den höchst skurrilen Roman Die Merowinger oder Die totale Familie zu schreiben. Der pseudohistorische Schinken tanzt – nach Die Strudlhofstiege und Die Dämonen – ziemlich aus der Werkreihe des Epikers. Im Roman kämpft der letzte Merowingerkönig mit allen Mitteln der Heiratspolitik um den Machterhalt. Dieser Childerich III. von Bartenbruch besetzt durch diverse Ehen sämtliche Positionen seiner eigenen Verwandtschaft, er wird sein eigener Vater, Großvater, Schwiegersohn und Onkel.

Kann gut sein, dass dem studierten Historiker Doderer einfach die Fantasie durchging – immerhin war mittelalterliche Quellenkunde sein Fachgebiet. Mit Die Merowinger hat der damals 64-Jährige seiner einstigen Tätigkeit am Institut für österreichische Geschichtsforschung jedenfalls ein glamouröses Denkmal gesetzt.

Von diesem Glanz und Glamour, vom Wahnwitz, von der grotesken Attitüde dieses Möchtegern-Usurpators ist am Volkstheater allerdings nichts zu sehen. Die von Franzobel erstellte Bühnenfassung des Romans, die sich wie ein schräger B-Movie-Plot liest, blieb bei der Uraufführung am Mittwoch völlig leblos. Regisseurin und Intendantin Anna Badora startete damit in ihre finale Spielzeit am Volkstheater. Das ging schief. So fahl und lieblos sah einen die Volkstheater-Bühne schon lange nicht mehr an.

Schredder-Maschine

Badora hatte es auf den Wutbürger-Erzählstrang abgesehen. Tatsächlich ist der fränkische Adelsspross Childerich auch bei Doderer ein cholerisches Menschenbündel, vom Welthass getrieben. In Behandlung steht er bei Doktor Horn, der seinerseits von der Firma Hulesch & Quenzel aus London kontrolliert wird. Dieses Geheiminstitut ist weltweit für sämtliche Ärgernisse verantwortlich, vom Hustenanfall im Konzert bis zur Fakenews-Produktion (Klimawandel). Eine Crossdressing-Musikkapelle (Musik: Klaus von Heydenaber) begleitet die regelmäßig außer Rand gebrachten Bürger. Irgendwann ertönt auch das Geräusch einer gigantischen Schredder-Maschine – das war neben viel Moralunterricht mit der Bratpfanne der subtilste Kommentar zum Zustand österreichischer Politik.

Childerich (Peter Fasching) investiert seine Wut also in Manneskraft und startet mit langem Schwert sein inzestuöses Heiratsprojekt. "Ich bin der Urknall und die Apokalypse", schmettert er mit einem schwarzen Federkleid (Kostüme: Beatrice von Bomhard) B-Movie-haft hochdrapiert. Was da alles möglich gewesen wäre! Sebastian Pass verfolgt als Schriftsteller Döblinger (Doderers Alter Ego) das Treiben vom Bühnenrand aus mit Popcorn.

Unbeseelt

Die Bühne kreist. Um eine triste Showtreppe (Bühne: Paul Lerchbaumer, Michael Mayerhofer) gruppieren sich Doderers skurrile Gestalten, darunter Günter Franzmeier als karolingischer Gegenspieler Pippin und Thomas Frank als Childerichs Sohn Schnippedilderich, der als riesenhafter Un-Sohn gut erdacht gewesen wäre und auch wirklich Wucht hat. Und trotzdem gibt es weit und breit nichts zu lachen. Der Abend zerfällt in eine geschäftige Handwerksübung. Seine Botschaften versacken, Franzobels Text bleibt weitgehend ungehört. So unbeseelt war das Volkstheater schon lange nicht mehr. Sogar die berüchtigte Nasenklammerbehandlung blieb Leerlauf. (Margarete Affenzeller, 12.9.2019)