Mädchen spielen gerne mit Puppen. Buben aber auch – schaffen wir es, Geschlechterrollen zu überwinden?
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Als mein damals noch halbjähriger Sohn einen rosa Body trug, meinte die Schwiegermutter: "Geh bitte, das kannst ihm nicht anziehen. Darin schaut er aus wie ein Mädchen."

Je älter mein Sohn wird, desto häufiger muss ich Diskussionen über geschlechterspezifischen Kleidungscodex führen. Mein Kind hat schon immer alle Farben getragen: Blau, Grün, Rot, Gelb, Pink oder Rosa. Wie sehr die tradierten Farbzuweisungen bereits bei Kindern verankert sind, zeigt sich am Spielplatz:

"Ist das ein Junge oder ein Mädchen?", fragt mich die Vierjährige auf der Rutsche, weil mein Sohn eine Mütze mit Herzchenmuster trägt.

"Wenn er ein Bub ist, warum hat der dann ein Herz auf seiner Mütze?"

"Dürfen Buben keine Herzen tragen?"

"Das ist nur was für Mädchen."

"Finde ich nicht, Herzen sind doch schön und darf jeder tragen."

"Buben nicht."

Das Mädchen hat in so einem jungen Alter bereits eine so vorgefertigte Meinung darüber, wie Jungen und Mädchen auszusehen haben, dass es mich traurig macht. Ich möchte nicht, dass mein zweijähriger Sohn deswegen belächelt oder gar ausgegrenzt wird. Mit ein Grund dafür, warum ich Geschlechterklischees aufbrechen will.

Die Sehnsucht nach Farbe

Schon als mein Sohn wenige Monate alt war, stand ich beim Shoppen vor dem Regal mit Bubenkleidung in tristen Blau-Schwarz-Grau-Tönen. Drüben in der Mädchenabteilung hängt Kleidung, die nach Leben aussieht, in strahlend bunten Farben. Dabei sah es 1918, als die ersten geschlechtsspezifischen Farbzuweisungen aufkamen, genau umgekehrt aus: "Es gilt die generell anerkannte Regel, dass Pink für Jungen gebräuchlich ist und Blau für die Mädchen", hieß es damals in einem US-Branchenblatt für Kinderbekleidung. Pink sei eine entschlossenere und stärkere Farbe, die Jungen eher entspricht, während Blau zarter und eleganter, also besser für Mädchen sei. Nicht dass diese Stereotype einen Deut besser wären, es hätte nur auch genau andersrum ausgehen können.

Das wissen sowieso alle Eltern. Es gibt genug Mädchen, die Blau als Lieblingsfarbe angeben, und Buben, die Rot super finden. Nur beim Anziehen, da hält man sich dann doch lieber an die Konventionen. Es gibt sogar ganze Wissenschaften darüber, dass Farben eine gewisse Wirkung auf uns haben. Ich mache das nicht mehr. Ich kombiniere rote Hosen zu gelben Strickwesten und einem Sonnenhut mit bunten Blumen. So sollten meiner Meinung nach Babys und Kleinkinder nämlich aussehen: bunt und fröhlich.

Natürliche Vorlieben?

Die Erziehungswissenschafterin Caroline Ali-Tani erklärt in einem Fachtext, dass im Alter von ungefähr zwei Jahren Kinder damit beginnen, ihre Geschlechtsidentität wahrzunehmen und auszubilden. Sie lernen, welche äußeren Merkmale und anderen Attribute mit ihrem Geschlecht verbunden werden. Ali-Tani schreibt, dass "die jeweiligen stereotypen Vorstellungen weiblicher oder männlicher Verhaltensweisen, Interessen und Fähigkeiten aber nicht in natürlicher Weise bestehen, sondern gesellschaftlich konstruiert sind und nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchziehen". Entwicklungspsychologen wissen zwar, dass auch biologische Faktoren für die Neigungen von Kindern verantwortlich sind, allerdings gibt es heute schon viele Studien, die belegen, dass die jeweilige Geschlechterrolle vor allem von Eltern oder Werbung geprägt wird.

Kurz gesagt: Dass Jungs gerne mit Autos und Mädchen mit Puppen spielen, sind keine natürlichen, sondern großteils erlernte Vorlieben. Erwachsene Bezugspersonen lenken die Entwicklung der Kinder meist unbewusst in eine bestimmte Richtung. Und das bereits während der Schwangerschaft.

Männer sind schon als Baby blau

Kaum erfahren Eltern das Geschlecht ihres Kindes, wird das Kinderzimmer in Blau oder Rosa gestrichen und eingerichtet, die Kleidung dementsprechend gewählt und das "passende" Spielzeug gekauft. Die "Baby-X-Experimente", die es bereits in den 70er-Jahren gab, beweisen, dass Erwachsene ihr Verhalten an weibliche oder männliche Babys anpassen. Für die Untersuchungen wurde Versuchspersonen immer dasselbe Baby gezeigt. Einmal wurde es als Mädchen, dann als Junge vorgestellt. Die Probanden beschrieben das vermeintlich weibliche Baby als kleiner, zarter, empfindsamer oder ängstlicher, während sie das männliche Baby als robust oder aktiver hielten.

Geschlechterspezifische Erwartung

Dem Kleidungskodex folgt nämlich prompt – und allerspätestens im Kindergarten – eine geschlechterbedingte Erwartung, und so werden den Jungs Autos und Dinosaurier angeboten und den Mädchen Puppen und Ponys. Später wird ein Junge, der gerne seine Fingernägel lackiert und einen Lippenstift ausprobiert, schief angesehen. Ein Mädchen, das laut herumschreit, wirkt sofort "wild" oder "burschikos". Mädchen mag man aber lieber brav. Am besten friedlich in der Ecke, ein Pferdebild zeichnend. Natürlich weiß das Kind schon sehr bald, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Das Problem dieser meist unbewussten geschlechterspezifischen Erwartungen ist, dass diese "Regeln" auch die freie Entfaltung und das offene Ausprobieren von Interessen einschränken.

Als Mutter möchte ich auf keinen Fall, dass mein Sohn irgendeinem Stereotyp unterliegt, das er sich gar nicht selbst ausgesucht hat. Ich möchte nicht, dass man bereits einem Kleinkind sagt, wie es auszusehen hat oder wie es sich verhalten muss, um ein richtiger Junge zu sein.

Es geht um mehr

Die Kindergärten und Schulen hierzulande haben sich dahingehend schon weiterentwickelt und trennen Mädchen und Jungs zumindest nicht mehr bewusst. Das Frauenservice Wien (MA 57) bietet sogar einen Leitfaden für geschlechtssensible Pädagogik an, der eine freie Entwicklung ermöglichen soll, in der Kinder nicht auf festgelegte Rollen beschränkt werden: "Es geht nicht darum, die Geschlechtsentwicklung zu zerstören, aus Mädchen Buben oder aus Buben Mädchen zu machen. Es geht auch nicht darum, sie zu androgynen Wesen zu machen." Vielmehr geht es um Befreiung, Stärkung und Ermutigung. Denn eines ist klar: Aus dem Stereotyp wieder auszubrechen kann schwer sein, zu groß ist die Angst vor Ausgrenzung und Angriffen.

Ich wünsche mir, dass wir Eltern von Anfang an versuchen, neutral mit unseren Kindern umzugehen. Dann können diese nämlich ihre Gefühle, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten ganz unabhängig von ihrem Geschlecht entwickelt. Dann dürfen Jungs ruhig weinen und Mädchen wild sein. Wie man das am besten macht? Indem man zum Beispiel Jungs Kleidung mit Herzchenmuster anzieht oder Mädchen einen Werkzeugkoffer schenkt. (Nadja Kupsa, 18.9.2019)