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Schlichte Eleganz: Öffentliche Toiletten können den Tag retten.

Foto: Getty Images

Auf der einen Seite des betonierten Weges fließt der Donaukanal, auf der anderen fließen die ersten Spritzer und Seiterln. Wer am Ufer sitzt, nutzt die letzten Sonnenstunden des Jahres. Plauderton mischt sich mit lockerer Musik, während der Wind den Geruch von Urin unter der Salztorbrücke heraus und flussaufwärts bläst.

Deren Pfeiler ersetzen das, was hier am Donaukanal und in anderen Teilen Wiens Mangelware ist: öffentliche Toiletten. Klos in Wien werden nämlich zunehmend weniger, zunehmend privatisiert und zunehmend teurer.

Der Donaukanal als Mikrokosmos innerhalb der Stadt erlaubt es, das Problem zu illustrieren. Es beginnt, wenn man nahe der Adria Wien, dort, wo am Ufer im Sommer kein Millimeter mehr frei ist, ein bis fünf Bier bei einem fliegenden Händler kauft und trinkt. Die müssen früher oder später wieder aus dem Körper.

Das Betreibermodell

Eigentlich wäre das nächste öffentliche Klo von hier aus das im Café von Marco A., zumindest während dessen Öffnungszeiten. Es liegt die Treppen rauf, die Salztorbrücke rüber und dann viermal um die Ecke. Dort ist wenig los, in der Sonne sitzen vereinzelt Menschen in Hemden mit Hunden auf dem Schoß in Gartenstühlen. Weil es für die Stadt Wien in manchen Gegenden keinen Sinn macht, Toilettenanlagen zu errichten, schließt sie Verträge mit lokalen Gastonomiebetrieben ab: Die Stadt zahlt einen jährlichen Betrag, dafür dürfen ihre Bürger im Lokal aufs Klo. "Zu mir kommen die Kinder vom Park gegenüber", sagt A. Vom Donaukanal komme niemand hoch. Das ist ihm eigentlich auch lieber, denn das Publikum am Kanal sei die Art von Leuten, die "nur aus Spaß ein Waschbecken herunterbricht", meint er.

Betreibermodell nennt sich das, was A. macht, ein paar tausend Euro zahlt die Stadt dafür nach eigenen Angaben den Betreibern. Von den 151 öffentlichen Toiletten, die die Stadt derzeit zur Verfügung stellt, werden acht mit diesem Modell betrieben.

27 Toiletten der Stadt Wien sind betreute Anlagen, was bedeutet, dass zu gewissen Zeiten Personal anwesend ist. Sie werden im Auftrag der MA 48 von einer privaten Firma betreut, die Benutzung dieser Anlagen kostet während der Betreuungszeiten 50 Cent – außerhalb der Öffnungszeiten aber, das betont die Stadt, sind auch diese gratis. Man verweist außerdem darauf, dass in den letzten Jahren acht Millionen Euro in Toilettenanlagen investiert wurden, außerdem seien heuer und 2020 weitere Modernisierungen und vereinzelt Neuerrichtungen geplant.

Der kulante Wirt

Wer das Café von Herrn A. nicht findet oder nicht die Muße hat, es zu suchen, der wird sich wohl auf die Toilette der Adria schleichen, wenn es dringend ist. Weil der Zugang zu den vier Damen- und den drei Herrenkabinen durch eine Wand blickgeschützt ist, ist das recht einfach. Und auch, weil man bei der Adria nichts dagegen hat. "Fürs WC verlangt man nichts", ist das Credo von Betriebsleiter Thomas Stocker. Eine Anruf bei Gerold Ecker, Betreiber der Adria, macht klar: Zur Lebenseinstellung kommt auch, dass die Stadt Wien 2006 bei den Errichtungskosten zuschoss unter der Bedingung, dass die Toiletten zu den Adria-Öffnungszeiten für alle zugänglich sind – auch wenn sie nicht öffentlich sind.

Der Donaukanal ist einer der Hotspots für junge Wiener im Sommer. Die Versorgung mit öffentlichen Toiletten ist eher dürftig.
Foto: urban

Dem Westwind entgegen, vorbei an einzelnen Bäumen, die stets ausgiebig gedüngt werden, passiert man nach wenigen Metern einen hippen, bunten Container. Ein Mann Ende dreißig hat davor sein Kinn auf eine Blechkasse gestützt und macht pinke Kaugummiblasen. Wenn jemand an ihm vorbei in die Kabine geht, ruft er ihm hinterher: "50 Cent!" Die Toilettenanlage gehört, das sieht man nicht, aber das erzählt der Betreiber der Anlage, zur Blumenwiese, einem Lokal ein paar Meter weiter. Hier gilt im Normalfall: ohne Geld keine Erleichterung.

Die Wiener Linien

Anders in der U-Bahn-Station Schottenring, zumindest noch. Dort, beim Aufgang Salztorbrücke, befindet sich eine offene WC-Anlage. Die wird nicht mehr lang kostenlos sein: Die aktuell 54 WC-Anlagen der Wiener Linien – der Großteil davon war gratis benutzbar – werden künftig auf 31 reduziert. Keine davon wird gratis benutzbar sein. Weil viele der Anlagen "nicht mehr im Sinne der Erfinder genutzt wurden", wie die Holding schreibt, investieren die Wiener Linien fünf Millionen Euro in einen Umbau der Anlagen.

Am Dienstag wird die erste der neuen Anlagen auf dem Stephansplatz eröffnet, weitere entstehen an den U-Bahn-Stationen Westbahnhof, Karlsplatz, Volkstheater, Schwedenplatz und Praterstern. Sie eint eine "moderne Ausstattung" und Servicepersonal. 50 Cent kostet die Benutzung, 30 davon können bei teilnehmenden Partnern wieder eingelöst werden. Ein deutscher Systemanbieter für Sanitärkonzepte, Sanifair, bekam den Zuschlag als Betreiber der Anlagen – nachdem im umkämpfen Privatmarkt der Toilenttenbetreiber ein Mitbewerber Einspruch beim Wiener Verwaltungsgericht erhob. Für 25 weitere Anlagen läuft derzeit die Ausschreibung, sie werden selbstreinigend und daher ohne Personal sein, aber dennoch kostenpflichtig.

Das öffentliche Klo

Um 1 Uhr schließt die Adria und damit auch ihre Toilettenanlage. Ab eins führt der Weg zum nächsten Klo flussabwärts vorbei an kunstvollen Altmetallskulpturen und Steingebilden. Dort, zwischen bunt besprühten und in allen Farben lackierten Containern, steht, ganz schlicht, ganz schmucklos, rein funktional, ein blitzblaues Dixi-Klo. Drauf hängt ein Schild mit dem Wort "Privat", daran hängt ein Schloss. An die Hütte gegenüber hat jemand "Mold" gesprüht. Wenn man die Augen ein wenig zusammenkneift, sieht das Wort aus wie "Hold".

Nach 1,2 Kilometern oder, je nach Gehgeschwindigkeit, die im Zweifelsfall proportional zur Füllmenge der Blase ansteigt, nach zehn bis 15 Minuten ist die Robertstiege erreicht. Dass dort ein öffentliches Klo ist, zeigt die Stadt Wien zwar nicht auf ihrer Übersichtskarte an, doch wer googelt, der weiß. Hier riecht es nicht mehr nach Urin, hier riecht es nach Gras. Und hier sind tatsächlich drei Kabinen, ein Traum aus poliertem Edelstahl und Steinfliesen, für jedermann zu jeder Zeit zugänglich und kostenlos. "Seid bescheiden", hat jemand auf die Robertstiege gesprüht. (Gabriele Scherndl, 13.9.2019)