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Foto: REUTERS/Athit Perawongmetha

Die Proteste in Hongkong reißen nicht ab. Verschiedene Gruppen haben neue Kundgebungen für das Wochenende angekündigt. Geplant sind vor allem Großdemonstrationen Ende September, wenn China 70 Jahre seiner Staatsgründung am 1. Oktober in Peking mit einer Militärparade und Massenaufmärschen feiern will. Immer wieder entwickeln Hongkongs oppositionelle Jugendliche dabei fantasiereiche neue Mobilisierungsformen.

Ihre jüngste Aktion ist ein Furore machender Protestsong mit dem Titel "Ruhm für Hongkong". Tausende junge Hongkonger führen ihn in Einkaufzentren und auf öffentlichen Plätzen auf, selbst bei Sportveranstaltungen. Viele nennen ihn bereits die neue Hongkonger Hymne der Demokratiebewegung.

Das Lied, an dem sich Peking stößt.
Stephen Wong

DER STANDARD bietet seinen Lesern eine vereinfachte, erstmalige deutsche Übersetzung des in Kantonesisch gesungenen vierstrophigen Liedes:

Ruhm für Hongkong

Warum schluchzt das hiesige Land?

Warum packt uns alle so viel Wut?

Hebt eure Köpfe, schweigt nicht mehr,

schreit für unsere Sehnsucht nach Freiheit hier und heute.

Warum will unsere Furcht nicht enden?

Warum lässt Zuversicht uns nicht aufgeben?

Warum gehen wir voran, auch wenn Blut fließt?

Weil wir ein freies, strahlendes Hongkong erschaffen wollen.

Als der Abendstern sank, wir um Mitternacht zauderten,

blies im Nebel ein Signalhorn, rief zum Schutz der Freiheit,

uns zu versammeln und kraftvoll Widerstand zu leisten.

Mut und Weisheit können nie vernichtet werden.

Am frühen Morgen wollen wir Hongkong wiedergewinnen,

gemeinsam handeln wir Jungen und Mädchen

für Gerechtigkeit – für eine epochale Revolution.

Die Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit währt 10.000 Generationen.

Ruhm für Hongkong ist unser Wunsch.

Joshua Wong bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Foto: APA/AFP/MICHELE TANTUSSI

Krise zwischen Berlin und Peking

Der deutsche Botschafter in Peking wurde unterdessen vom chinesischen Außenministerium einbestellt. Zugleich verurteilte Chinas Missionschef in Berlin in einer improvisierten Pressekonferenz die deutsche Außenpolitik gegenüber seinem Land. Kaum eine Woche nach dem von beiden Seiten als Erfolg gefeierten Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Volksrepublik hängt der bilaterale Haussegen schief. Peking wirft der deutschen Regierung politische Einmischung in Hongkong vor – und damit die "Gefühle des chinesischen Volkes schwerwiegend verletzt" zu haben.

Anlass für solch heftigen diplomatischen Streit bot der Berlin-Besuch des Hongkonger Bürgerrechtler und Demokratieaktivisten Joshua Wong, der dort Außenminister Heiko Maas traf. Den Unmut Pekings darüber steigerte Wongs Auftritt auf der Bundespressekonferenz. Peking kriminalisiert den 22-jährigen Studenten als "Separatisten" und angeblichen Organisator der seit 14 Wochen anhaltenden Massenproteste. Er würde dabei von "US-Hintermännern" gesteuert, um Hongkong von China abzuspalten und unabhängig werden zu lassen.

Wong nennt solche Vorwürfe absurd. Er trete für die Demokratisierung Chinas und für das Recht der Hongkonger Bürger auf freie Wahlen ihrer eigenen Regierung ein. Diese habe ihnen Peking bei der Übernahme Hongkongs 1997 versprochen. China habe den Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" verbrieft und auf 50 Jahre garantiert.

Wong sagte in Berlin, dass Peking seine Versprechungen inzwischen Stück um Stück zurückgenommen habe. Die Untergrabung der bürgerlichen Freiheiten ginge alle freiheitlich verfassten Gesellschaften an. Hongkong sei zur Schnittstelle in der Abwehr der weltweiten Expansion des unfreiheitlichen chinesischen Systems geworden. "Wenn wir uns jetzt in einem neuen Kalten Krieg befinden, dann wird Hongkong zum neuen Berlin."

Wichtiger Partner

Chinas Regierung machte trotz ihres Zorns über solche Warnungen am Donnerstag klar, dass sie eine weitere Eskalation ihres aktuellen Konflikt mit Deutschland derzeit vermeiden will. Sie sieht Berlin als ihren wichtigsten wirtschaftspolitischen und strategischen Partner für eine multipolare Welt in Europa an.

Die staatlich gelenkten Medien setzten ihre Attacken gegen Berlin nicht mehr fort. Online wurden Schmäh und kritische Mikroblogs gegen Merkel stark zensiert. Als Hauptnachricht wurde die Zusicherung von Staatspräsident Xi Jinping veröffentlicht, dass Peking am Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" festhalten werde.

Es sei "vollständig durchführbar, wird durchgesetzt und findet Zustimmung beim Volk". Xi sagte das bei seinem Treffen mit dem neugewählten und von Peking bestätigten Verwaltungschef von Macau, Ho Iat-seng, am Mittwoch. So wie Hongkong 1997 durch die Briten, war die ehemalige portugiesische Enklave 1999 von Lissabon an Peking zurückgegeben worden. China garantiert, dass sie sich ebenfalls nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" für 50 Jahre unter Beibehaltung ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise und ihres unabhängigen Justizsystems selbst verwalten darf.

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Auch in Einkaufszentren wird gesungen.
Foto: REUTERS/Athit Perawongmetha

Chinesische Staatsmedien setzten trotz Zurückhaltung im Fall Berlin ihre aggressiven propagandistischen Kampagnen gegen die USA und Taiwan fort. Sie werfen ihnen vor, Hongkongs Demonstranten zu unterstützen und sich mit subversiven Aktionen einzumischen, um einen Keil zwischen Peking und Hongkong zu treiben.

Chinas Ton gegenüber Washington, der sich in Sachen Handelskrieg gerade wieder mäßigt, dürfte sich in den kommenden Tagen wegen Hongkong noch verschärfen, wenn Joshua Wong am Freitag von Berlin in die USA weiterreist. Dort will er um Unterstützung für die Hongkonger Proteste bei einflussreichen US-Verlagschefs und Politikern werben. (Johnny Erling, 12.9.2019)