Zur Plakatkampagne der ÖVP sagt der Berliner Emotionspsychologe und Neuromarketing-Experte André Weinreich, dass deren "Bild- und Sprachwelt aus psychologischer Sicht hohe Effizienz aufweist".

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Jetzt wächst er wieder: der Plakatwald in Stadt und Land. Ob unzählige Dreiecksständer, die im Weg stehen, oder riesige Papierbögen, die in der Landschaft aufgestellt werden – es ist die Hochzeit für Wahlplakate.

Das klassische Großformat im öffentlichen Raum ist nach wie vor ein wichtiges Kommunikationsinstrument in der Politik. Weniger für die sowieso schon Überzeugten oder die Parteifunktionäre, aber auch für die, weil die unlocker werden, wenn sie nur Plakate der Konkurrenz sehen. Oder, wie Politologe Peter Filzmaier einmal sagte: "Die kriegen die Krise, wenn alle anderen Parteien bei der Autobahnabfahrt stehen und ihre nicht. Das verhindert Geschlossenheit im Wahlkampf."

Wahlplakathäufung, wie sie dieser Tage an unterschiedlichsten Orten zu finden ist.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Komplexer wird die Herausforderung in Bezug auf Plakate, wenn es darum geht – und darum geht es letztlich –, neue, also Erst- oder Wechselwähler zum Kreuzerl oder zum politischen Seitensprung zu animieren.

Wie gelingt das den Parteien bisher im Wahlkampf? Wie gut funktionieren die unterschiedlichen Sujets? Der STANDARD bat André Weinreich um seine Expertensicht auf die erste Plakatwelle. Der Emotionspsychologe ist Professor an der Businessschool Berlin und wissenschaftlicher Leiter von Emolyzr, einem Spin-off der Humboldt-Universität, das mit neurowissenschaftlichen Verfahren und psychologischer Expertise die emotionale Wirkung von Kommunikationsmitteln auf die Gehirne von Konsumenten oder Wählern misst.

Verhalten folgt Emotionen

Die Methode, mit der Emolyzr auch die Plakate für die deutsche Bundestagswahl 2017 analysiert hat, arbeitet so: Die Versuchspersonen sahen ein Plakat an, und dabei wurden ihr Blickverlauf (Eye-Tracking), die Aktivierung des Gehirns und die Attraktivität der emotionalen Reaktionen mit neurowissenschaftlichen Geräten erfasst. Auf "Emo Maps" konnten die Wissenschafter danach sichtbar machen, welche Botschaften überhaupt wahrgenommen wurden, wie sie unbewusst bewertet wurden und ob sie im Gedächtnis haften geblieben sind. Denn: Emotionen sind "Verhaltenstreiber". Entscheidungsprozesse sind emotional codiert und laufen größtenteils unbewusst innerhalb weniger Sekunden ab.

Eine gute Plakatkampagne (die ja teuer ist), muss demnach Aufmerksamkeit und ein positives Gefühl erzeugen, um Wählerinnen und Wähler bei ihrer Wahlentscheidung zu beeinflussen. Effiziente Plakate erreichen das, indem sie grundlegende Bedürfnisse (Motive) von Menschen adressieren, etwa Sicherheit, Bindung, Orientierung und Einfluss.

"Rein handwerklich, losgelöst von den politischen Inhalten" gelingt das der ÖVP mit ihren Plakaten "richtig gut", sagt Weinreich. FPÖ, Neos, Grüne und KPÖ (Weinreich: "Da ist einfach nur ein Mann drauf") liegen im Mittelfeld. Sie machen einiges richtig, aber auch ein paar Dinge falsch.

Ein KPÖ-Sujet.
Foto: KPÖ

Die Liste Jetzt hat gar keine Plakate, Wandel klebt selbst nur Kleinformate – (und hat diese Freitagnachmittag dem STANDARD übermittelt. Ein Sujet daraus, das nicht in die Analyse von Weinreich einbezogen werden konnte, wurde um 16:35 Uhr online nachträglich eingefügt und ist hier zu sehen.)

Ein Wandel-Sujet.
Foto: Wandel

Die SPÖ-Plakate hingegen schneiden in der ersten Welle, die Weinreich komplett zur Ansicht hatte, am schlechtesten ab.

Ein SPÖ-Sujet.
Foto: SPÖ

SPÖ

Die SPÖ zeigt ein an sich "typisches" Wahlkampfsujet: die Kandidatin, Menschen, ein zentraler Slogan. "Klassisch, nur sieht es ein bisschen gephotoshoppt aus", sagt Neuromarketingexperte Weinreich, dem das "Blickewirrwarr" ins Auge springt. Die Menschen auf dem Bild schauten alle in unterschiedliche Richtungen, hätten keinen Blickkontakt: "Eine unechte Situation." Auf so ein Setting reagiere das Gehirn sehr sensibel, da diese Konstellation das Bedürfnis nach Orientierung verletze, sagt der Psychologe.

Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sei zwar als "zentrales Produkt" erkennbar, sende aber widersprüchliche Doppelbotschaften. "Sie selbst schaut ein bisschen skeptisch. Unten lächelt sie, oben runzelt sie aber auch die Stirn, und dazwischen ist sie unsicher, als wäre sie in einer Zwickmühle. Keine klare Botschaft. Erneut ist das Bedürfnis nach Orientierung verletzt." Mit neurowissenschaftlichen Untersuchungen an Testpersonen hätte man diese Ambivalenz feststellen und dann zum Beispiel ein neues Shooting ansetzen können: "Man muss nicht alles wegwerfen."

Das Gehirn mag es konkreter

Das Keyword "Menschlichkeit" hält Weinreich für zu abstrakt. Gehirne finden in konkreteren Begriffen bessere Orientierung. "Warum hat man nicht Gemeinsamkeit genommen?" Das Wort steht nur ganz klein unten als #gemeinsam auf dem Plakat.

Als Kernmotiv der SPÖ identifiziert der Experte das Bedürfnis nach "Bindung" – nur passe die visuelle Konstellation nicht zur intendierten Botschaft: "Warum stehen die so weit auseinander? Das ist widersprüchlich." Emotionspsychologisch sei auch der Begriff Vollzeitjob nicht ideal, meint Weinreich: "Ist Arbeit wirklich für die meisten positiv besetzt? Nicht immer. Für viele ist sie negativ konnotiert und mit Anstrengung oder früh aufstehen verbunden." Alternative? Leben. "Da könnte man die Menschlichkeit umsetzen und sagen: gemeinsam für ein besseres Leben."

Ein ÖVP-Sujet.
Foto: ÖVP

ÖVP

Bei der ÖVP hat Weinreich ein "perfektes" Plakat entdeckt. Ex-Kanzler Sebastian Kurz trägt ein niedliches Kind huckepack: "Das ist klasse gemacht. Goldstandard", sagt der Experte. "Es bedient das Bedürfnis nach Kontrolle: Er wird von uns Wählerinnen und Wählern kontrolliert, er ist Diener von uns Bürgern und macht wirklich, was wir wollen, bleibt am Boden. Dennoch wahrt er die Contenance, der Anzug symbolisiert Souveränität. Diese einfache Bildsprache bedient zusätzlich das Bedürfnis nach Orientierung. Es reicht 'Hausverstand', um die Botschaften zu decodieren." Expertentipp: "Babys oder Kinder funktionieren fast immer."

Die Krönung des Kaisers

Auffällig für den externen Analysten ist bei den ÖVP-Sujets die "krasse Personenwahrnehmung – als würde der Kaiser wieder gekrönt". Die zentralen Motive der türkisen Plakate würden die psychologischen Bedürfnisse nach Schutz und Sicherheit ("Einer, der auf unsere Werte schaut"), aber auch nach Orientierung (Staatsmann Kurz erklärt, umzingelt von Kameras und Mikros, die Welt, spricht aber auch mit "einfachen" Menschen in "unserer Sprache") adressieren – und das "stringent und in sich schlüssig". Insgesamt für Weinreich eine Kampagne, deren "Bild- und Sprachwelt aus psychologischer Sicht hohe Effizienz aufweist".

Ein FPÖ-Sujet.
Foto: FPÖ

FPÖ

Die Freiheitlichen setzen auf blaue Klassiker und zwei Köpfe: Parteichef Norbert Hofer und Klubchef Herbert Kickl versprechen vor rot-weiß-roter Kulisse Sicherheit und Schutz – ein recht breitenwirksames Motiv, sagt Weinreich: "Wir haben alle ein bisschen Angst." Aber die FPÖ codiert es exklusiv: Die Plakate richten sich sehr klar nur an Österreicher und meinen "unsere Heimat". Dazu passt das zweite Kernmotiv der Blauen: Bindung, Gemeinschaft, sozialer Zusammenhalt. "Diese Bedürfnisgruppen bedient die FPÖ mit ihren Plakaten per se nicht schlecht", urteilt Weinreich.

Das Gehirn mag es nicht komplex

Die werden nämlich auch noch einem dritten Motiv gerecht: Einfachheit. "Das Gehirn mag eigentlich keine Komplexität. Es hat nicht immer Bock auf Denken." Auch die FPÖ-Plakate sind nicht schwer zu decodieren, erklärt der Emolyzr-Gründer. Darum erwartet er aus fachlich-technischen Gründen auch, dass sie "tatsächlich funktionieren könnten".

Ein Neos-Sujet.
Foto: Neos

Neos

Erster Eindruck des Experten (und der ist bei Plakaten entscheidend, weil sie größtenteils automatisch wirken): "Da ist Bewegung drin. Die Spitzenkandidatin hinterlässt mit einem netten, glaubhaften Lächeln einen positiven Eindruck." Dieser Eindruck entsteht rasend schnell und unbewusst: "Unsere eigene Forschung zeigt, dass das Gehirn schon nach 0,2 Sekunden weiß, ob etwas wichtig oder unwichtig, positiv oder negativ ist." In der Folge werden dann Emotionen generiert, die das Erleben und das Verhalten der Menschen beeinflussen.

Die Sujets mit Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kommunizierten durchgängig das Versprechen: "Wir gehen in die Zukunft. Es geht um Veränderung und Erkunden von Neuem." Das allerdings sei nicht jedermanns Sache. Nicht für alle Wählerinnen und Wähler ist das Motiv Veränderung positiv besetzt. Konkurrenzmotiv wäre das Versprechen, das Bestehende oder Bekannte zu bewahren und so weiterzumachen wie bisher. Wer das wolle, den erreiche die Neos-Plakatsprache nicht – oder zumindest nicht positiv.

Schwarz-Weiß kann irritieren

Insgesamt ist auf den Plakaten der Pinken aus Weinreichs Expertensicht "einiges richtig, einiges aber auch noch optimierbar". Der puristische Schwarz-Weiß-Style etwa könnte auch Irritationen hervorrufen durch die assoziative Nähe zu einer Todesanzeige, warnt er. Ein kleiner Fehler ist laut Weinreich auch, dass Meinl-Reisinger beim "An Übermorgen denken" auf dem Foto nach links schaut, wo intuitiv – aufgrund unserer Leserichtung von links nach rechts – eher die Vergangenheit verortet wird.

Ein Grünen-Sujet.

Grüne

"Ziemlich langweilig" findet der Emotionspsychologe die Plakate der Grünen. Wenn es darum geht, positive Emotionen zu erzeugen, dann hätten sie ein einziges Sujet, das dem Genüge tue: das Bild mit dem Baby hinter dem Slogan "Wen würde unsere Zukunft wählen?". Das sei "süß, schützenswert, ungefährlich", berühre aber wohl als Zielgruppe vorrangig Eltern, vielleicht noch Omas und Opas, die aber meist ohnehin schon Stammwähler (auch anderer Parteien) seien.

Auf Erstwähler hingegen könnte das Klimaplakat mit dem bedrohlich eingefärbten Kohlekraftwerk "ganz gut wirken", vermutet Weinreich, nicht zuletzt aufgrund des zentralen Themas Klimapolitik, nicht nur im Wahlkampf (Stichwort: Greta Thunberg).

Der Punkt mit dem Anstand

Der plakatierte "Anstand" wiederum, der die Grünen wählen würde, wäre in "normalen Zeiten" oder an anderen Orten als Plakatmotiv, das junge Menschen ansprechen soll, nicht das ideale Zugpferd, glaubt Weinreich: "Was ist Anstand? Das macht 18-Jährige in der Regel nicht an."

Aber nach Ibiza, dem Synonym für die politische Totalhavarie von Türkis-Blau, ist dieser Wahlkampf auch nicht die Regel. Und darum ist der "Anstand" als Plakatmotiv auch "okay". (Lisa Nimmervoll, 13.9.2019)