Der Paukenschlag von Mario Draghi in der Frühzeit seiner achtjährigen Amtszeit als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) blieb in Erinnerung: "Whatever it takes" lauteten die unvergessenen Worte des Italieners, mit denen er 2012 unmissverständlich klarstellte, mit allen Mitteln um den damals fraglichen Zusammenhalt der Eurozone zu kämpfen. Dies kann sich Draghi als Erfolg an die Fahnen heften.

Ansonsten bleibt seine Bilanz eine durchwachsene. Die von ihm angestrebte Inflationsrate von knapp zwei Prozent liegt auch knapp vor Draghis Amtsübergabe außer Reichweite. Obwohl er die Zinsen bis in den negativen Bereich geknüppelt und mit billionenschweren Anleihenkäufen die Wirtschaft mit Geld geflutet hat, dümpelt die Teuerung in der Währungsunion bei einem mickrigen Prozent.

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Der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi.
Foto: REUTERS/Ralph Orlowski

Nun setzte Draghi – dem Vernehmen nach gegen wachsenden Widerstand innerhalb der EZB, etwa aus Deutschland, Österreich oder den Niederlanden – bei seiner letzten Zinsentscheidung zum Befreiungsschlag an: Das Anleihenprogramm wird ab November reaktiviert und der Strafzins für Bankeinlagen von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent erhöht. Dies soll die Institute mit noch mehr Nachdruck dazu bewegen, Kredite zu vergeben und so die Inflation anzufachen.

Allerdings soll ein Teil der Bankeinlagen bei der EZB von den Strafzinsen ausgenommen sein. Eine Erleichterung für die Kreditinstitute, die ohnedies in einer Zwickmühle stecken. Auf der einen Seite stachelt sie die Geldpolitik mit der Negativzinskeule zur Kreditvergabe an, auf der anderen Seite erschwert die immer strengere Regulierung des Bankensektors genau dies in der Praxis enorm.

Vermögensaufbau unmöglich

Wohin dies alles führt? Zunächst werden sich die bisherigen Entwicklungen fortschreiben – und die sind für Durchschnittsbürger höchst unerfreulich: Der Vermögensaufbau wird für Normalsparer so gut wie unmöglich gemacht, da die Kaufkraft de facto unverzinster Sparbücher durch die Inflation sukzessive aufgezehrt wird. Erschwert werden auch diverse Formen der kapitalgedeckten Altersvorsorge.

Gleichzeitig wird leistbares Wohnen für immer breitere Bevölkerungsschichten zum Problem, da die Tiefzinsphase Mieten und Immobilienpreise in immer lichtere Höhen treibt. Sollte es nur ein Zufall sein, dass gerade in dieser Phase Europas Populisten einen starken Zulauf an Wählern erhielten? Schließlich zahlen sie ja auch die Zeche dieser Zinspolitik.

Wohin dieses geldpolitische Experiment langfristig führt, lässt sich am ehesten am Beispiel Japan erahnen. Seit dem Platzen einer Aktien- und Immobilienblase Ende der 1980er-Jahre fahren Notenbank und Regierungen mit Konjunkturpaketen auf Pump immer schwerere Geschütze auf, um Wachstum und Inflation anzufachen – ebenso mit dürftigem Erfolg. Die Kosten der Maßnahmen: Japans Staatsverschuldung liegt derzeit bei stattlichen 238 Prozent der Wirtschaftsleistung, was für den Staatshaushalt im Land der aufgehenden Sonne nur dank tiefster Zinsen dauerhaft tragbar ist.

Es erscheint gewagt, wenn Doktor Draghi nun die Dosierung einer Medizin erhöht, deren Wirkung in erhoffter Form kaum eingetreten ist. Sehr wohl aber die Nebenwirkungen für Sparer und Mieter – und das wohl noch auf etliche Jahre. Aber mit all dem muss sich ab November Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde, früher IWF-Chefin, herumschlagen.(Alexander Hahn, 12.9.2019)