Mit Paukenschlägen fängt es an. Sie werden auch die folgenden dreieinhalb Stunden bis auf einige wenige ruhige Momente nicht mehr verklingen. Unablässig haut die Musikerin Kately King, die am rechten Bühnenrand sitzt, ins Schlagwerk und treibt den Untergang einer ganzen Zivilisation voran.

In den Bakchen des Euripides geht es um nicht weniger als die Zerstörung einer Gesellschaft durch einen Gott. Im Burgtheater geht es zum Einstand der Intendanz von Martin Kušej aber um viel mehr: um den Widerstreit zweier Weltsichten oder, zeitgenössischer ausgedrückt, um den Kampf illiberaler gegen liberale Kräfte. Auch das ist ein bewusster Paukenschlag: Eines der ältesten Dramen der Menschheitsgeschichte wird zur Rohmasse für ein großes theatrales Statement. Auf wessen Seite sich das Burgtheater unter seinem neuen Intendanten sieht, das versteht sich von selbst.

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Programmatisch war schon die Wahl von Euripides' letztem Stück. Hatte Regisseur Ulrich Rasche vergangenes Jahr bei den Salzburger Festspielen das früheste erhaltene Drama, Aischylos' Perser, inszeniert, so ist es jetzt das letzte der drei großen griechischen Dramatiker. Die erst nach Euripides' Tod (406 v. Chr.) uraufgeführten Bakchen sind so etwas wie der Schwanengesang des griechischen Dichters. Ein Gott selbst, Dionysos, steigt auf die Erde herab, um sein Muskelspiel zu zeigen – und um die Wollust und den Wahnsinn unter die Menschen zu bringen.

Ulrich Rasches Maschinentheater, mitunter hoch über den Köpfen der Zuschauer. Sechs riesige Förderbänder bildeten die Bühne.
Foto: Andreas Pohlmann / Burgtheater

Dionysos ist aber nicht nur der Gott des Weines und der Ekstase, sondern auch des Theaters. Das griechische Drama ist aus dem Dionysoskult und dessen orgiastischem Charakter hervorgegangen. Seine Geschichte ist auch eine von dessen Zähmung. Auch daran erinnert Euripides' Stück, und das sollte man an diesem Einstandsabend einer neuen Ära nicht vergessen.

Hingeklotzte Laufbänder

So eindeutig man auf der Bühne des Burgtheaters nämlich Partei ergreift, so uneindeutig ist die Sprache, die man spricht. Aber der Reihe nach. "Gekommen bin ich, Sohn des Zeus, in dieses Land", skandiert Franz Pätzold zum Auftakt auf einem der riesigen Laufbänder, die Rasche auf die Bühne geklotzt hat. Nach einer bei den Persern alle Stückerln spielenden Drehbühne sind jetzt wieder die von Rasche geliebten Laufbänder dran. "Maschinentheater" hat man die aufwendige Theatermaschine dieses Regisseurs genannt. Das war und ist nicht immer positiv gemeint. Im schlechten Fall geben die Schauspieler nur die Zahnräder, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Im guten Fall heben sie gemeinsam mit der Hydraulik ab.

Auch Pätzold thront hoch in der Luft. Schritt für Schritt und Paukenschlag für Paukenschlag presst er seine Silben hervor, ein verbitterter, wütender Gott im modischen schwarzen Anzug über der nackten Brust. Worte wie "Tugend" oder "Vernunft" brüllt dieser eindrucksvolle Schauspieler mit dem Bubengesicht voller Verachtung heraus, mit "Chaos" und "Wahnsinn" kann er mehr anfangen. Ist Dionysos bei Euripides ein Gott in Menschengestalt, so ist er bei Rasche ein Mensch mit Gottesanspruch.

Franz Pätzold ist neu im Burgtheater-Ensemble und spielt den Gott Dionysos.
Foto: Andreas Pohlmann / Burgtheater

Hier herrscht Krieg

Sein Gegenspieler ist Pentheus, der junge König von Theben, der in der Gestalt von Felix Rech um nichts kleinlauter ist. Nur dass er weniger an einen "Führer" als an "Gesetze", "freie Bürger" und den "Schutz der Unterdrückten" glaubt. Nicht einmal während der ganzen Zeit, in der die beiden auf den Laufbändern auf der Stelle treten, werden sie sich anschauen. Einen Austausch der Ideen gibt es bei Rasche nicht. Hier herrscht Krieg, und um das zu illustrieren, bietet er eine ganze Armada mit viel nackter Haut und in schwärzestem Schwarz (Kostüme: Sara Schwartz) auf.

Es ist der Chor, der neben der wuchtigen Bühnenmaschinerie eine Konstante bei diesem Regisseur ist. Marschiert er über die Laufbänder, wird das Licht noch fahler und die Live-Musik (Nico van Wersch) noch drängender. "Wir holen uns unser Land zurück", brüllt es aus zigfacher Brust, und wem das bekannt vorkommt, der liegt nicht ganz falsch. Rasche hat gemeinsam mit dem Dramaturgen Sebastian Huber eine Fassung von Wolfgang Schadewalds Bakchen-Übersetzung angefertigt und sie mit Zitaten von Nietzsche bis Thukydides angereichert.

Eigenwillig, einseitig

Die so entstandene Lesart des altgriechischen Dramas ist dabei ziemlich eigenwillig und auch ziemlich einseitig geraten, die Bakchen als Identitären-Drama, wenn man so will. Doch um das intellektuelle Abwägen oder gar um ein Sowohl-als-auch geht es an diesem Abend nicht. Die Botschaft wird ins Publikum gebrüllt, und dafür bietet man alle Mittel der Überwältigung auf. Rammstein haben erst vor wenigen Tagen im Praterstadion gespielt, der Rammstein des Theaters ist jetzt an der Burg dran.

Chorische Szenen sind charakteristisch für den Regisseur.
Foto: Andreas Pohlmann / Burgtheater

Bezeichnenderweise sind es die Chorszenen, die am stärksten unter die Haut gehen. Die Mänaden bestehen am Burgtheater sowohl aus Männern als auch aus Frauen, aus der kruden Männerfantasie wird nur in einer Szene ein erotisches Spektakel, das per Großaufnahme auf einen Gazevorhang projiziert wird. Die Bakchen als ein Stück der Frauenemanzipation, das interessiert an diesem Abend nicht. Die Bakchen als ein Stück Aufklärung, wie man vielleicht rechtschaffen geplant hat, das funktioniert aber auch nicht. Das Theater des Ulrich Rasche ist nämlich viel stärker in dionysische Gefühls- und Paukenschlagsphären verstrickt als in apollinische Gedankenwelten.

Oder, anders gesagt: Die Form des Abends konterkariert aufs Schönste die Botschaften, die man sich auf die Fahnen geheftet hat. Das ist der Widerspruch, der diese starke Eröffnungsinszenierung so reizvoll macht und auch viel vom Wesen des Theaters an sich erzählt. Dionysos entkommt man nicht. Weder im Theater noch sonst wo. (Stephan Hilpold, 13.9.2019)