Radelnder Spion

Die umweltfreundlichste Art, Urlaub zu machen, ist natürlich, gar nicht zu verreisen. Balkonien kann, wenn das Visavis als Gesamtheit aller Menschen, deren Fenster meinem zugewendet sind, zu Verhaltensauffälligkeiten neigt, recht amüsant sein. Da gibt es zum Beispiel eine alleinstehende ältere Frau, die mich schon mal für einen KGB-Spion hielt (der Name!). Irgendwann hat sie sich Gitterstäbe am Fenster anbringen lassen, damit niemand von außen eindringen kann – was bei einer Wohnung im zweiten Stock eines Gebäudes mit relativ glatter Außenmauer ohnehin recht aufwendig wäre. Und abends gähnt sie bei offenem Fenster so laut, dass man eines gern rufen möchte: "Kinder, schnell, der Tiergarten sperrt gleich zu, der Löwe ist offenbar schon müde!"

Natürlich ist das alles nicht sehr horizont erweiternd, was ja auch der Sinn des Reisens wäre. Deswegen habe ich mich aufs Rad gesetzt und bin recht planlos drauflosge fahren – mit Unterstützung eines Zugs. Irgendwann fand ich mich in Neusiedl, irgendwann in Illmitz und in Rust wieder. Es gab viele kleine Hotels und Pensionen, in denen ich leicht ein Zimmer fand. Die Umweltressourcen schonte ich vorbildlich, meine eigenen eher weniger, denn nach drei Tagen auf dem Rad war ich paniert wie ein Schnitzel. Ein solches hab ich übrigens nicht gegessen, trotz des ty pischen Fleisch geruchs in Landgasthäusern. Das fiel mir leichter, als die Treppen rauf ins Bett zu gehen. (Peter Illetschko, 15.9.2019)

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Abenteuer garantiert

Wer klimaschonend reisen, aber nicht auf die Ferne verzichten will, steht zunächst vor einem Problem: der Website der ÖBB. Dort endet die Welt nämlich, zumindest in südlicher Richtung, relativ schnell. Athen gibt es in der Suchmaske gar nicht, immerhin nach Belgrad geht ein direkter Zug ab Villach. Nur: Buchen kann ich nicht, weder online noch am Schalter.

Mit dem Problem bin ich offenbar nicht allein, denn die anderen Bahnen sind kaum besser. In einem Forum finde ich die E-Mail-Adresse eines hochgelobten serbischen Reisebüro-Mitarbeiters. Mit mulmigem Gefühl schicke ich ihm meine Kreditkartendaten. Zwei Tage später liegen die Tickets, zumindest bis Montenegro, in meinem Briefkasten.

Mein Ziel Kalamata er reiche ich mit ungezählten Stunden Verspätung und nach zwei zusätzlichen Zwangsübernachtungen. Es wäre einfacher gegangen. Aber ich wäre nicht im Liegewagen im montenigrinischen Urwald aufgewacht, hätte die Interrailerinnen, die Pendler und Gastarbeiter nicht getroffen, hätte Zagreb, den Skadarsee, Tirana und Patras nicht gesehen und Europa nicht besser kennengelernt.

Ein Flug hätte etwa halb so lange gedauert, wie ich an der albanisch-griechischen Grenze gewartet habe, und einen Bruchteil gekostet. Daran muss sich etwas ändern, so viel ist klar. Bis es so weit ist, kostet Reisen mit Zug und Bus Geld und viel Geduld. Aber das Abenteuer kommt von selbst. Versprochen! (Philip Pramer, 15.9.2019)

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Order!!!

Flugangst ist ein großes Wort. Aber sagen wir so: Mein Unbehagen in hohen Höhen ist zum Motor und Brennstoff für umweltverträglicheres Verhalten geworden. Den letzten Rest für die Entscheidung, einen Sommerurlaub mit vorbildlichem CO2-Fußabdruck zu machen, gab mir eine Geschichte im Spiegel über "Clear Air Turbulences". Googeln Sie besser nicht, was das ist – oder macht. Und wie gesagt: Es gibt dank Klimawandel jetzt stabile sommerliche Hochwetterlagen auch am heimischen Attersee, der früher einmal für durch regnete Sommer bekannt war. Und so ein Garten im Weinviertel würde schlichtweg vertrocknen, wäre man nicht ständig da, um zu gießen. Also!

Meine einzige Reise führte nach Berlin – mit dem Zug. Der Schlafwagen war aus gebucht, der Liegewagen ein Abenteuer. Die britischen Bälger im Nachbarabteil, auch optisch Boris Johnson nicht unähnlich, machten mehr Radau als das britische Parlament während der Brexit-Debatte. Weit nach Mitternacht hörte ich mich mit einem lauten "Order!!!"-Ruf an die dünne Zugwand hämmern. Die Rückreise wurde dafür zum unerwarteten Städte-Kurztrip. Nach einem Ausfall der Klimaanlage (!), heißen Debatten aller Mitreisenden über die Deutsche Bahn und einer Verspätung saß ich abends nicht im letzten Anschlusszug nach Wien, sondern in einem angenehmen Münchner Biergarten. Meine Füße im kühlen Kies. Mein Fußabdruck? Vollkommen unauffällig!

(Mia Eidlhuber, 15.9.2019)

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Viel für wenig

Österreich im Sommer zu verlassen, erscheint mir schon seit einigen Jahren unsinnig. Warum sollte ich genau dann verreisen, wenn es hier am schönsten ist? Mein Mann und ich entschieden uns heuer ganz bewusst für einen Nichturlaub. Einfach mal schauen, das gefiel uns besser. Tageweise ging es dann an nahegelegene Gewässer, die wir bis dato nicht kannten. Wir campierten am Viehofner See oder schwammen bei Regen im menschenleeren Lunzer See, weil wer sagt eigentlich, wann "Badewetter" ist und wann nicht? Wer dennoch etwas südliches Flair wünscht: Das pannonische Klima am Neusiedlersee hat uns tatsächlich vergessen lassen, dass wir uns gar nicht im Urlaub befinden. Mit dem Fahrrad durchkreuzten wir Schilflandschaften, tratschten im Hafen mit den Leuten auf den Segelschiffen und tauchten ein in die grünen Weinhügel des Burgenlands. Am Wasser entdeckten wir versteckte Seehäuschen und sonnten uns auf dem bescheidenen "Deck" unseres Tretboots. Wenn man es so sieht, ist das ganz schön viel für ganz schön wenig. Ich fühlte mich entspannt, entschleunigt und gut.

Als Familie haben wir nun einen Plan: Wir möchten jedes Jahr zehn Seen in der Umgebung kennenlernen. Das ermöglicht Individualreisen mit geringem Impact auf die Umwelt. Ich finde, aktuell ist eine gute Zeit, die Heimat besser kennenzulernen. Die Klimadebatte schafft Bewusstsein und damit auch einen Blick für neue Möglichkeiten. (Nadja Kupsa, 15.9.2019)

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Happy zuhause

Ich bin zuhause geblieben. Ja genau, das klingt nach ultimativer moralischer Erhöhung eines privilegierten, scheinreflektierten urbanen Bobopublikums. Noch dazu mit eigenem Garten. Ich könnte also noch eins draufsetzen und sagen, dass ich durch umfangreiche Bepflanzungen CO2 der anderen abgebaut habe, gas- statt steinkohlegegrilltes Gemüse gegessen und die Früchte der umliegenden Felder geerntet habe. Wow!

Diese Erzählung stimmt sogar großteils, benötigt aber so und so Einordnung, weil: Wer grundsätzlich alles hat und von manchem zu viel, der kann leicht verzichten. Wer weiß, dass er könnte, tut sich leicht, es zu lassen. Beispielsweise die Sommerreise. (Nein, es folgt auch nicht außersaisonal eine Herbst- oder Winterreise in die Ferne, auch nicht mit dem Zug.)

Die Motive dafür liegen nicht in der moralischen Erhöhung und auch auf einer masochistischen Verzichts-Skala, sondern: Ich will so nicht reisen.

Ich will nicht stundenlang auf der Zufahrt nach Siena stauen nachdem ich bis Venedig durchgebrettert bin. Ich will nicht zwischen den Achseln Tausender durchfotografieren. Ich will keine fünffach überteuerten Kaffees mehr bestellen. Ich will überhaupt keine dieser "ich hüpfe aus meinem normalen Leben"-Reisen. Ich bin happy mit dem, was hier ist. Die Ferne ruft nicht nach mir.

Vielleicht ist die beste Erklärung die mit dem Alter: Mein Gott, ist es ruhig und schön im Garten. (Karin Bauer, 15.9.2019)

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