Wo genau liegt die Grenzen zwischen einer schützenswerten Meinung und einem politischen Fanatismus, der unsere rechtliche Grundordnung gefährdet?

Foto: Christian Fischer

Wo, wenn nicht an den Unis, soll die kritische und unvoreingenommene Auseinandersetzung zu jedem Thema stattfinden, fragt der Philosoph Georg Cavallar in seinem Gastbeitrag. Journalist und Autor Robert Misik plädiert dafür, die Aufklärung wieder mit mehr Nachdruck zu verteidigen.

Die Frankfurter Ethnologin und Islamwissenschafterin Susanne Schröter plante eine Konferenz unter dem Titel "Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?" an der Goethe-Universität. Es kam, was sie bei einem derart durchdiskutierten Thema nicht erwartet hatte: Sie wurde als "antimuslimische Rassistin" beschimpft, erlebte einen Shitstorm, und Studierende forderten, dass sie ihre Professur verlieren sollte. Demonstrantinnen und Demonstranten formulierten ihren Unmut vor der Konferenz und wollten das berühmte "Zeichen gegen Rassismus" und das rechte Lager setzen.

"Problematische" Äußerung

Was war Schröters "Verbrechen" gewesen? Nur zwei der sieben Konferenzteilnehmer waren für das Kopftuch gewesen. Außerdem hätten einige von ihnen wie Alice Schwarzer oder Necla Kelek schon früher "problematische" Äußerungen gemacht.

Aus dem angloamerikanischen Raum sind diese Vorfälle bekannt, besonders aus den USA. Nun werden auch in Deutschland Professorinnen und Professoren an den Pranger gestellt, wenn sie die Werte der politischen Korrektheit nicht akzeptieren, wie das in Berlin erscheinende Magazin Cicero im Juni dokumentiert hat.

Angriffe auf Professoren

Zu Wort kommen neben Schröter Professorinnen und Professoren wie Jörg Baberowski, Herfried Münkler oder Dieter Schönecker, die sich über die Einschränkung der freien Lehre Sorgen machen. Grundtenor: "Wo (...) nicht mehr offen argumentiert wird, schafft Universität sich ab." Allgemein geht es bei diesem "Kampf um den Kanon" (Münkler) um die Frage, wo die Grenze zu den Intoleranten und Radikalen gezogen werden soll. Typische Themenfelder sind der Islam, Gender, Rassismus und Faschismus.

"Tugendterror" nennt der zu Recht umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin die Haltung der politisch Korrekten. Es steht vorab schon fest, was als das moralisch Gute und rechtlich Zulässige zu gelten hat, und es wird so getan, als ob eine Diskussion darüber gar nicht mehr nötig wäre. Unter der Hand geraten Begriffe wie "Faschismus", "Rassismus" oder "Islam", die in der Fachwissenschaft durchaus präzise definiert werden, zu schillernden Konstrukten, mit denen fast alles gemeint sein kann – und zu Waffen gegen Andersdenkende.

Wenn nicht einmal an den Universitäten und Hochschulen eine kritische Auseinandersetzung über alle Themen möglich ist – wo soll es sie denn sonst geben? Die Freiheit der Wissenschaft sollte selbstverständlich sein. Klar ist, dass nicht alles gleich Wissenschaft ist, sondern vielleicht nur Meinung. Auch diese sollte aber geschützt werden, sofern sie nicht die Grundlagen unseres demokratischen Rechtsstaates infrage stellt.

Politischer Fanatismus

Wo genau ziehe ich die Grenzen zwischen einer schützenswerten Meinung und einem politischen Fanatismus, der unsere rechtliche Grundordnung gefährdet? Das sollte die Justiz festlegen – etwa mit dem Kriterium der Volksverhetzung – und nicht eine radikale, intolerante Minderheit. Die politische Korrektheit verkommt in diesem Fall zu einer Ideologie – die Normen des Rechtsstaats inklusive Meinungsfreiheit hingegen sind die unverzichtbare Grundlage unseres Zusammenlebens.

Dieses Phänomen kann wohl nicht mehr geleugnet werden. Da gibt es zunächst die "anekdotische Evidenz": Wissenschaftliches Personal klagt seit Jahren – meist natürlich im privaten Gespräch – über mangelnde Studierfähigkeit besonders in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Die Gesellschaft für Bildung und Wissen oder die Konrad-Adenauer-Stiftung können es belegen, von Volker Ladenthin über Gerhard Fritz und Hans-Peter Klein bis zu Stefan Weber reichen die Stimmen jener, die wissenschaftlich dazu arbeiten und Defizite vor allem bei der Sprachkompetenz, bei Wissen und beim analytischen Denken feststellen.

Unfähige Studierende

Ursachen hat dieses Phänomen wohl viele. Dazu gehören etwa die marktwirtschaftliche Orientierung privater Bildungseinrichtungen, die ihre Studierenden tendenziell als Konsumenten sehen, die man mit "grade inflation" zufriedenstellt, der Inflation akademischer Abschlüsse, sowie auch die externen Lehrbeauftragten, die den Studierenden gute Noten geben, da sonst im nächsten Semester die Anmeldungen ausbleiben könnten.

Vielleicht besteht zwischen beiden Phänomenen, nämlich zwischen "Professorenjagd" und gesunkener Studierfähigkeit, ein Zusammenhang: je weniger Bildung, je weniger Reflexionsfähigkeit und je weniger Urteilsvermögen, je engstirniger oder bornierter das Denken, desto mehr Schablonendenken, desto intoleranter die Haltung der Studierenden, desto mehr politischer Aktivismus statt Reflexion.

Allgemeine Lücken

Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen intellektuelle Kapazunder wie ein Theodor Billroth oder Hans Kelsen mit hochrotem Kopf Prüflinge an der Universität hinausgeworfen haben, weil sie Lücken hatten – nicht beim Prüfungsstoff, sondern in der Allgemeinbildung. Heute haben diese Lücken wohl auch jene, die die Prüfungen abnehmen. (Georg Cavallar, 14.9.2019)