Die Körpersprache von Beate Meinl-Reisinger, Peter Pilz, Sebastian Kurz (1. Reihe v. li.) sowie Norbert Hofer, Pamela Rendi-Wagner und Werner Kogler (2. Reihe v. li.) im Fokus der Beobachtung.

Foto: Screenshots Puls24, Montage: Lukas Friesenbichler

Wahlkampf ist die Zeit der vielen Worte. Ein wichtiger, oft unterschätzter Botschafter ist dabei der Körper. Mitunter erzählt er eine ganz eigene Geschichte. Dadurch entsteht Irritation im Publikum. Etwas ist nicht stimmig. Was? Stefan Verra kann die körpersprachlichen Codes dechiffrieren. Er ist Experte für Körpersprache und hat für den STANDARD die sechs Spitzenkandidatinnen und -kandidaten in der Puls-24-Wahlarena analysiert.

Wie macht er das? Ohne küchenpsychologische Überinterpretation von Einzelsignalen: "Kleine Bewegungen sind in den allerallermeisten Fällen nahezu irrelevant." Viel wichtiger sei die "Grundtendenz", und die lasse sich anhand neurologischer und muskulärer Vorgänge besser beschreiben.

Verra beginnt mit den beiden, die er – körpersprachlich – am besten beurteilt:

Zunge raus: Beate Meinl-Reisinger (Neos)

Die Neos-Chefin sei "mit Peter Pilz körpersprachlich jene, die Emotionen am klarsten kanalisieren kann. Sie zeigt unglaublich viel Kraft", sagt Verra. "Sie knallt ihre Gestik so richtig hin", während andere Politiker "eher so daherschwimmen". Die Chefin der Pinken scheut sich auch nicht, mal laut zu werden oder lachend die Zunge rauszustrecken. Zunge zeigen? Ja, darf sie das denn? Ja. Darf sie. "Das gibt uns das Gefühl, die spricht frei von der Leber weg", sagt Verra. "Wenn jemand die Emotionalität der Opposition, also von Regierungskritikern, gut widerspiegelt, dann ist es in diesem Wahlkampf auch Meinl-Reisinger. Sie zeigt recht ungehemmte Spontaneität." Ohne die Theatralik ihres Vorgängers Matthias Strolz: "Aber das tut ihr ganz gut." Erlernen lasse sich diese ungehemmte Körpersprache nur zu einem gewissen Grad, warnt Verra: "Da gehört schon ein wenig Talent dazu."

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Message-Hammer: Peter Pilz (Liste Jetzt) Er ist für Verra "ein Unikum, weil er derjenige ist, der die Gesten und Mimiken am stabilsten hält". Angefangen beim stabilen Augenkontakt. Und der Liste-Jetzt-Gründer macht etwas, von dem Verra sagt: "Da könnten sich viele etwas abschauen: Wenn Pilz spricht, dann lässt er die Gesten unglaublich lang stehen. Wenn er mit der Hand hinzeigt, dann bleibt sie so lange stehen, solange er seine Aussage tätigt – und noch länger." Weil Pilz die rhetorische Figur der Wiederholung kultiviert und manche Aussagen einfach doppelt bringt. "Werbestrategen würden sagen: Hammer home your message! Da bleibt unter der Haut eine unglaubliche Stabilität, ein unglaublicher Nachdruck." Aber Achtung: "Nur die Worte zweimal sagen funktioniert nicht ohne stabile Gestik." Durch seine Körpersprache habe Pilz "das Potenzial, all jene Protestler abzuholen, die zwar zornig sind, das aber auf eine intellektuelle Art zeigen wollen".

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Stabiler Pendler: Norbert Hofer (FPÖ) Seine Gestik beschreibt Verra als "unglaublich ruhig. Er haut eigentlich nie hin, er knallt nicht auf den Tisch." Wenn er Handkantenschläge mache, "dann macht er die sehr sanft". Er wirke mehr wie ein "Experte, der uns ein Thema fachlich erklärt". Damit tue er sich aber schwer, Emotionen zu wecken. Auch Hofers Mimik ist sehr zurückgenommen: "Manchmal hebt er die Augenbrauen, das wirkt spontan." Außerdem pendelt er oft mit dem Kopf von links nach rechts – "und er macht es unglaublich stabil. Er wackelt nicht – er lässt den Kopf sekundenlang auf der einen Seite, bevor er wechselt. Das ist wichtig, weil es selbstbewusst wirkt."

Verras Resümee: "Eigentlich macht Norbert Hofer vieles unglaublich gut – aber nicht für seine Wählergruppe: üblicherweise jene, die ein bissl angefressen sind auf das System, die eigentlich Protest wählen." Diese Emotionen wurden von Hofers Vorgänger Heinz-Christian Strache besser widergespiegelt, sagt der Körpersprache-Experte. Und diese emotionale Flanke in der FPÖ ist mit Hofer an der Spitze offen – beziehungsweise die Spielwiese für den deutlich expressiveren Herbert Kickl. Strache hat übrigens körpersprachlich auch besser zu Sebastian Kurz gepasst.

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Distanzierte Hüfte: Sebastian Kurz (ÖVP)

Der ÖVP-Chef sei zwar "der Jüngste, aber er bewegt sich wahnsinnig langsam und sehr kleinteilig. Damit wirkt er eigentlich alt", sagt Verra. Effekt? "Das vermittelt Stabilität und Erfahrung." Eine typische Körperhaltung von Kurz: "Wenn er spricht, wirkt es immer so, als würde er eine Salatschüssel beuteln." Verra meint die Geste, bei der der Exkanzler die Hände bedeutungsvoll zusammenlegt und vor dem Körper wiegt. An sich eine "alte" Gestik, sagt Verra mit Verweis auf die zwei wichtigsten Dimensionen von Körpersprache: Frequenz und Amplitude. Kinder bewegen sich sehr schnell und ausladend. "Je älter wir werden, desto langsamer und kleiner werden die Bewegungen."

Kurz, den Verra für "am offenkundigsten trainiert" hält, agiere im "aktiven Bereich" der Körpersprache – vom Kopf bis zur Hüfte – "vorbildhaft: Er macht eigentlich alles richtig, was man in Präsentationsseminaren lernt – aber dort lernt man nur die Grundregeln. Wirklich große Redner brechen diese Regeln." Kurz biegt sie buchstäblich bei seiner Gesprächshaltung. Da fällt Verra auf, dass er zwar mit dem Oberkörper zugewandt ist, aber "die Hüften recht weit hinten hat". Das vermittelt das Gefühl von Abstand. Nur: "Die wirkliche Volksnähe passiert im Hüftbereich." Verra erklärt es mit einer Alltagsszene: "Wer im Wirtshaus so mit dir spricht, bei dem würdest du maximal die Bestellung aufgeben."

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Junge Frequenz: Werner Kogler (Grüne) "Er ist nicht mehr der Jüngste, aber seine Bewegungen sind sehr jung", erklärt Verra einen Antipoden zu Kurz: "Das erkennt man an der Frequenz." Die ist bei Kogler viel höher: "Er macht das unglaublich gut. Wenn er auf den Tisch tippt, dann tippt er deutlich." Das ist "junge" Körpersprache, was die Frequenz anlangt. Allerdings: "Seine Gesten sind etwas klein." Was allerdings Ruhe, Gesetztheit, Verlässlichkeit signalisiere. Auffällig bei Kogler: "Er hat sehr selten Augenkontakt über lange Sekunden." Und in manche Antwort stolpere er regelrecht hinein, was aber auch Volksnähe generiere: "Das macht er gut. Er sagt damit bestimmten Wählerschichten, dass er sich nicht in diese geschleckte, perfekte Körpersprache einfügt."

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Kinn rauf: Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) Die SPÖ-Chefin "hebt sehr oft das Kinn", wenn sie verbal attackiert wird. Körpersprachlich decodiert: "Man erhebt sich – manchmal überhebt man sich – über andere und wirkt unbewusst überheblich." Wer das zu oft tue, signalisiere: "Ah, ja, ja, ich weiß schon, was jetzt kommt." Eine andere Reaktion Rendi-Wagners, wenn sie verbal "angeschossen" werde, was in Wahlkämpfen eben passiere, sei, "dass sie ihre Scheuklappen schließt. Sie macht die Augen zu und verschließt auch noch den Mund. Jeder, der das sieht, spürt sofort Emotionalität dahinter." Würde er sie beraten – Verra berät aus Prinzip keine Politiker, er will die Körpersprache der "Mächtigen" entschlüsseln (zuletzt im Buch Leithammel sind auch nur Menschen) –, wäre sein Rat: "Sie muss nicht jedes Mal versuchen, die Souveräne zu geben. Sie kann ruhig öfter über den Dingen stehen." Wenngleich der Habitus der staatstragend auftretenden, kompetenten Politikerin gut sei: "Das Problem ist nur: Sie ist im Moment in Opposition, und die meisten SPÖ-Anhänger sind angefressen auf die alte Regierung." Dieses Gefühl bediene Rendi-Wagner nicht.

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(Text: Lisa Nimmervoll, Videos: Isabella Scholda, Ayham Yossef, 16.9.2019)