Kogler schwankt auf eine Weise zwischen Selbstsicherheit und Unbeholfenheit, die ihn wiederum sympathisch macht, aber nicht immer effektiv.

Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Wochenlang haben STANDARD-Reporter die Wahlkämpfer beobachtet und Bemerkenswertes aufgeschrieben. Lesen Sie die ersten zwei Teile unserer Langzeit-Beobachtungen der Kandidaten im Wahlkampf.

Werner Kogler würde den Wahlkampf wohl am liebsten im Kaffeehaus führen. Dort hätte er bei Bier oder Espressi Zeit, mit Bekannten über all die politischen Themen zu diskutieren, die ihn derzeit bewegen.

Er würde in seinem steirischen Idiom versuchen, die Runde davon zu überzeugen, dass eine CO2-Steuer für Klimaschutz notwendig, aber nicht ausreichend ist; dass der Freihandel für Industriegüter wünschenswert ist, aber nicht für Lebensmittel; dass die Grünen nach der Wahl mit der türkisen ÖVP in Gespräche treten müssen, aber die Chancen auf eine Einigung ziemlich gering sind.

Kogler liebt es, zu reden, und tut es mit Ausdauer. Es müssen nicht jedes Mal zwölf Stunden und 42 Minuten sein wie seine berühmte Dauerrede im Nationalrat im Jahr 2010. Aber sich kurzzuhalten ist seine Sache nicht, was im Kaffeehaus auch niemand verlangt.

Aber ein Spitzenkandidat muss im Wahlkampf hinaus auf die Straße und dort mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen. Er muss unzählige TV-Debatten führen, in denen es um jede Minute geht. Er muss sich auf eine Bühne stellen und selbst bei strömendem Regen die treuen Anhänger begeistern.

Wahlkampf mit Star

Und Kogler ist nicht ein Spitzenkandidat in grüner Tradition, bei der stets ein Team im Vordergrund gestanden ist. Der heurige Wahlkampf ist ganz auf die Person des 57-jährigen Oststeirers zugeschnitten, fast so wie jener der ÖVP auf Sebastian Kurz.

Er ist der weiße Ritter, der die Ökopartei nach dem Fiasko von 2017 zuerst wiederaufgebaut hat und ihr nach dem Erfolg im EU-Wahlkampf nun das Comeback im Nationalrat ermöglichen soll. Von ihm hängt das Überleben der Partei ab, die wiederum sich als Retterin des Planeten sieht.

Für einen Mann, der sich lange als "klassischer Zweiter" bezeichnet hat und den Spitzenposten erst übernahm, als wirklich niemand anderer mehr da war, ist die Starrolle ungewohnt. Und Kogler schwankt dabei auf eine Weise zwischen Selbstsicherheit und Unbeholfenheit, die ihn wiederum sympathisch macht, aber nicht immer effektiv.

Als er beim Wahlkampfauftakt der Grünen auf dem Maria-Theresien-Platz in Wien am vergangenen Wochenende nach dem deutschen Grünen-Star Robert Habeck sprechen musste, merkte man den Unterschied zwischen einem geborenen Volkstribun und einem etwas schusseligen Ökonomen.

Beim Altausseer Kirtag fachsimpelt Werner Kogler über die heimische Bierindustrie genauso gerne wie über die Chancen für eine Koalition.
Foto: Christian Fischer

"Krafttank" nennt ihn Habeck euphorisch, und Energie hat Kogler noch genug – auch wenn er nach einem halben Jahr Dauerwahlkampf etwas leiser rüberkommt als vor den Europawahlen, die er ebenfalls fast im Alleingang für die Grünen bestritten hat.

Auf der Bühne wirkt der langjährige Budgetexperte und Antikorruptionskämpfer etwas schüchtern, fast verlegen. Wenn der Applaus unerwartet einsetzt, weil Kogler ungeplant pausiert, dann kommt er kurz ins Stocken, findet aber schnell wieder zurück in den Redefluss – meist mit einem Scherz. Denn Humor hat Kogler in Fülle, und am liebsten lacht er über sich selbst.

Studiert und volksnah

Dieser bodenständige Witz ist seine größte Stärke, überbrückt die Kluft zwischen der Intellektualität des studierten Ökonomen und der manchmal ins Polternde abgleitenden Volksnähe eines Politikers, der gerne so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Kogler ist ungecoacht – Coaching könnten sich die Grünen gar nicht leisten – und verzichtet meist auf vorbereitete Formulierungen.

Die Nuancen der politischen Sprache sind nicht seines, was das Verständnis seiner Botschaften manchmal erschwert. "Wie hältst du es mit Sebastian Kurz?" – die Gretchenfrage dieser Wahl beantwortet Kogler in unterschiedlichen Schattierungen. Dass Klimaschutz das zentrale Anliegen der Grünen ist, muss der Parteichef im Jahr 2019 nicht betonen. Aber wenn er nach der Klimastrategie der Partei gefragt wird, dann klingt das oft recht kompliziert.

Dass eine Partei, die immer auf Kollektive und Geschlechterparität gesetzt hat, sich nun einem Mann unterordnet, der gelegentlich leichte Macho-Allüren an den Tag legt, fällt auch bei den Grünen auf. Wenn Kogler auf Wahlkampftour geht, dann ist er von Frauen umgeben – eigene Mitarbeiterinnen und lokale Aktivistinnen.

Der ehemalige Beta-Boy nimmt seine neue Rolle als Alphamännchen offenbar dankbar an. Auch die Wahlplakate und die zahllosen Bilder auf Instagram, das die Grünen erstmals aktiv bedienen, streichen Koglers hemdsärmelige Männlichkeit hervor. Ist das ein Problem für die grünen Frauen? "Wir reden schon darüber", räumt eine Funktionärin ein. "Aber der Werner, der war immer solidarisch."

Mit Brille und Blumen

An einem heißen Samstagnachmittag im Spätsommer trifft Kogler an dem Parteistand auf der Inform, der alljährlichen Volksmesse in Oberwart, schwungvoll ein, wirft sein Sakko der Pressesprecherin entgegen, gibt Quereinsteigerin Sibylle Hamann, die als Listendritte an diesem Tag ebenfalls im Mittelburgenland wahlkämpft, ein Küsschen, und lässt sie dann links liegen, wenn er sich auf die Suche nach Anhängern und Skeptikern macht, um ihnen lokal gewachsene Blumen in die Hand zu drücken. Er trägt dabei ein dunkelblaues Hemd und, hochgestellt, die grüne Sonnenbrille, die in diesem Wahlkampf niemals fehlen darf.

Kogler fühlt sich hier zu Hause: Sein Geburtsort Hartberg ist nur wenige Kilometer entfernt. Sein Dialekt und sein Schmäh kommen hier an. Und der Parteichef, das merkt man, interessiert sich ernsthaft für die Menschen, die er trifft und spricht – für den Verkäufer am Fahrradstand genauso wie den Unternehmer und die Mutter mit ihrer violetthaarigen Tochter, die sich bedankt und lachend sagt: "Aber der Papa darf's net wissen, dass sie a Blume von den Grünen bekommt."

Jedes Gespräch zieht sich in die Länge, weil Kogler zuerst zwar Fragen stellt, aber dann selbst unentwegt redet. Was immer das Thema ist: Er kennt sich aus, seien es die Verkehrsprobleme in Steyr, von der eine Grünwählerin berichtet, oder die Hindernisse bei der Betreuung von Behinderten, wo er auch über private Erfahrungen erzählen kann. Und beim Klimaschutz hat Kogler so viele Zahlen und Details im Kopf, dass die Laien unter den Zuhörern ihm nicht ganz leicht folgen können.

Komplette Wende

Die meisten Gespräche auf der Messe, die vor allem als Unterhaltung für die sonst eher eventarme Region dient, drehen sich ums Klima, um Kurz, um die Chancen von Bio oder seine eigenen Jugenderinnerungen. "Wenn das Unternehmen wichtig ist, dann muss auch der Chef wichtig sein", belehrt er den Inform-Direktor, der sich dafür entschuldigt, dass Kogler für ihn ein anderes Gespräch unterbricht. Das könnte auch das Wahlkampfmotto des grünen Spitzenkandidaten sein.

Die Modeschau auf der Bühne will Kogler zunächst übergehen, lässt sich dann aber doch auf ein Fotoshooting mit den jungen Models und ihren Müttern ein – und scheint es zu genießen. Kogler nimmt sich Zeit und lässt sich von niemandem drängen; in knapp zwei Stunden kommt er so auf nicht mehr als zehn Wählerkontakte. Bei den mehr als 200.000 Stimmen, die die Grünen für den Wiedereinzug in den Nationalrat benötigen, ist das nicht viel.

Auch beim Altausseer Kirtag, wo Kogler 24 Stunden später eintrifft, verfolgt er keinen besonderen Plan, irrt mit seiner Entourage zunächst zwischen den Ständen herum, fachsimpelt mit einer Gruppe von trinkfesten Ebenseern über den heimischen Biermarkt und pflanzt sich schließlich in der Menge vor dem Festzelt auf, wo vor allem junge Männer das Gespräch mit ihm suchen.

Zwischen schwarz-grünen Trachten dreht sich alles um die schwarz-grüne Frage, die Kogler mit Sätzen wie "Da muss die ÖVP aber eine komplette Wende hinlegen" und "Zuerst müssen wir wieder in den Nationalrat kommen" beantwortet.

Selfie muss warten

Eine Frage nach Vorvorgängerin Eva Glawischnig und ihrem Novomatic-Engagement wird rasch abgetan, und als ein geschniegelter Jüngling ihn zu den "schönen Mitstreiterinnen" gratuliert, reagiert Kogler pikiert: "Achtung, das ist ein gefährliches Terrain, darauf kommt es nicht an."

Kommt das Gespräch aber auf die Unterschiede zwischen Türkis und Schwarz, dann kommt Kogler wieder in Fahrt und lässt sich auch nicht unterbrechen, als seine Mitarbeiterin zwei Jugendlichen vergeblich zu einem Selfie mit dem Parteichef verhelfen will.

Durchs Land zu reisen ist für grüne Wahlkämpfer schwieriger als für andere, denn fossil betriebene Pkws sind tabu. Man fährt öffentlich oder mit E-Autos, die von Anhängern geliehen oder angemietet werden. Reicht die Reichweite nicht aus, muss doch ein Kleinbus her, um das nächste Ziel zu erreichen – so auf dem Weg nach Altaussee. Auch das zehrt an den Nerven des grünen Trupps.

Kogler weiß, dass er sein Wahlziel, den Einzug ins Parlament, angesichts der Stimmung im Land gar nicht verfehlen kann, auch wenn er ständig vor zu viel Zuversicht warnt. "Wir haben es schon schwerer gehabt", räumt er mit einem Schmunzeln ein.

Vier Jahrzehnte nach seinem Einstieg in die Grazer Lokalpolitik schwimmt er auf einer Welle des Zeitgeists, die ihn bis in ein Ministeramt tragen könnte, sollte Sebastian Kurz seinen Irrtum erkennen und von Türkis zu Schwarz zurückkehren. Bei Koalitionsverhandlungen oder am Kabinettstisch kann man sich Kogler noch nicht ganz vorstellen. Aber nur wenige hätten ihm vor zwei Jahren die Rolle des grünen Hoffnungsträgers zugeschrieben – und am wenigsten wohl er selbst. (Eric Frey, 14.9.2019)

DER STANDARD-Mitreden: Grünen-Spitzenkandidat Werner Kogler diskutierte am Dienstagabend mit der Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.
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