Die Führungsrolle im linksliberalen Lager ist am 1. Mai klar bei der SPÖ. Ob sie das aber an den anderen Tagen des Jahres auch bleibt, wird die Nationalratswahl zeigen.

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Es ist in mancher Hinsicht der langweiligste Wahlkampf seit Jahren: Wir wissen, wer am 29. September siegen wird. Die ÖVP liegt in den Umfragen uneinholbar voran. Und wir wissen, wer danach Kanzler wird: Da ein rot-blaues Bündnis ausgeschlossen ist, kann nur Sebastian Kurz eine Regierung bilden.

Aber die Wahl bietet auch abseits der Frage, ob die ÖVP näher zur 30-Prozent- oder zur 40-Prozent-Marke zu liegen kommt, Spannung. Es geht auch um die zukünftige Führungsrolle im linksliberalen Lager, dessen Anhänger sich dadurch definieren, dass sie weder konservativ noch rechtspopulistisch denken. Wie schon in zahlreichen anderen europäischen Staaten wird auch in Österreich der Platzhirsch Sozialdemokratie von Grünen und Liberalen bedrängt. In Frankreich bildet Emmanuel Macrons Mitte-Bewegung heute den einzigen starken Gegenpol zu rechts, in Deutschland liegen die Grünen in Umfragen schon ein ganzes Jahr vor der SPD.

So weit ist es in Österreich noch nicht; vor allem Senioren halten der SPÖ die Treue. Aber auch hier teilt sich die urbane Jugend in zwei Gruppen: Die eine wählt selbstverständlich grün, die andere tendiert zu den Neos. Sich zur SPÖ zu bekennen ist in diesem Milieu ein wenig schräg.

Unschlüssiger Klima-Kurs

Pamela Rendi-Wagners Wahlkampf dürfte diesen Trend noch verstärken. Beim Klimawandel, der die Jungen massiv bewegt, folgt sie einem unschlüssigen Kurs, der sich von dem der ÖVP wenig unterscheidet. Ihre Absage an eine generelle CO2-Steuer kommt der ländlichen Wählerschaft entgegen, verärgert aber umweltbewusste Städter. Die Strategie der SPÖ ist defensiv – Rendi-Wagner will eine weitere Wählerabwanderung nach rechts stoppen – und könnte eine zukünftige türkis-blaue Koalition ein paar Stimmen kosten. Aber viel wird sie weder von der ÖVP noch von der FPÖ zurückgewinnen. Und ihre Taktik gibt den Grünen, die 2017 auch an Christian Kern zahlreiche Wähler abgegeben haben, weiteren Auftrieb – ebenso den Neos, die auch den Klimaschutz auf ihre Fahnen heften. Weil Rendi-Wagner weniger Affinität zur digitalen Welt aufweist als ihr Vorgänger, öffnet sich für die Neos ein Tor auch bei sozial bewussten Techies.

Das heißt nicht, dass die SPÖ mit einem deklariert grünen Kurs besser fahren würde. Mit ihrer historischen Patina und dem Gewerkschaftsapparat auf dem Rücken kann sie Jüngere nur schwer begeistern. Und so lange die Schatten von Hans Peter Doskozil und Georg Dornauer über ihr schweben, hat Rendi-Wagner auch bei Frauen ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Wenn SPÖ und Grüne im nächsten Parlament nur noch ein paar Prozentpunkte trennen und beide in Opposition bleiben, wird der Führungskampf im linken Lager losbrechen. Das muss kein Nachteil für die Demokratie sein: Drei starke linksliberale Parteien mit unterschiedlichen Ausrichtungen haben eine größere Chance, gegen die traditionelle rechte Mehrheit in Österreich anzukämpfen, als eine verknöcherte SPÖ.

Doch die Sozialdemokraten werden sich nach der Wahl gut überlegen müssen, wie sie den Absturz ins Bodenlose vermeiden können, den einige europäische Schwesterparteien erlitten haben. Noch fehlt den Grünen die politische Breite, um ein linkes Lager effektiv anzuführen; wirtschaftsnahe Liberalität wie die der Neos bleibt in Österreich wiederum ein Minderheitenprogramm. Und weiter nach rechts sollte das Land keinesfalls rücken. (Eric Frey, 14.9.2019)