Dynamische Darsteller, öde Drehbühne: "Cabaret" an der Volksoper.

Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Ruth Brauer-Kvam gab dem gestrengen Conférencier eine grelle Note.

Foto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Der Funke hat eine Eigenschaft mit dem Floh gemein: Er springt in dafür günstigen Verhältnissen über. Doch auf den Funken wie auf den Floh wirkt eine zunehmende Distanz für Übersprungshandlungen aller Art erschwerend.

Ob Flöhen am Premierenabend des Musicals Cabaret in der Wiener Volksoper erfolgreiche Wirtswechsel gelangen, ist nicht bekannt. Der Funke, der von der Bühne auf das Publikum hätte überspringen sollen, hatte jedenfalls einen verdammt schweren Job. Dieses Kunststück gelang ihm leider selten.

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Der Grund war schnell ersichtlich: Er manifestierte sich im Bühnenbild. Heike Meixner hat dafür ausschließlich die Drehbühne bebaut; vorn sieht man die Bühne des Kit Kat Clubs, hinten vier Zimmer der Pension von Fräulein Schneider. Dass das Bühnenbild so ausschaute, als hätte es die letzten Jahrzehnte in einem Provinztheaterdepot vor sich dahingestaubt: Schade, aber so ist das halt manchmal in der Volksoper.

Weiter Weg für den Funken

Fatal war, dass Regisseur Gil Mehmert den überwiegenden Teil des Geschehens auf der Drehbühne in Szene setzte. Und so musste der bedauernswerte Funke von der Mitte der Bühne bis zur Rampe und dann noch weiter über den Orchestergraben springen, um im Publikum ein Feuer der Begeisterung zu entfachen. Und weil die Drehbühnenbebauung ohne seitliche Einfassung auf der großen Bühne stand, verpuffte auch noch ein Großteil der szenischen Energie in einer von einem dunklen Vorhang umfassten Weite. Stichwort: Schwarzes Loch.

Was schade war, denn die Dynamik der Darsteller war enorm. Die im Erotikmarkt eingekleideten Kit Kat Girls und Boys (Kostüme: Falk Bauer) strampelten sich so sportlich ab wie seinerzeit das Tanzpersonal bei Britney Spears (Choreografie: Melissa King), aber speziell im lähmend langen ersten Teil kam von der ganzen Power wenig beim Publikum an.

Im zweiten Teil marschierte Bettina Mönch als Sally Bowles endlich mal nach vorn an die Rampe, zündete bei Maybe This Time ihren PS-starken Stimmturbo, und siehe da: Der Laden kochte. Leider nur kurz und nach über zwei Stunden etwas spät. Der Titelsong lag und gelang der Deutschen nicht ganz so überzeugend, leider gab es just da auch vom ansonsten großartigen Volksopernorchester (Leitung: Lorenz C. Aichner) minimale Irritationen.

Robert Meyer als Robert Meyer

Nach ihrem souveränen Wirken als Filmstar Gloria Mills in Benatzkys Axel an der Himmelstür enttäuschte auch, wie Mönch die Nachtklubsängerin im Berlin der Zwischenkriegszeit gegeben hatte: mit der robust-sonnigen Art einer Andrea "Kiwi" Kiewel (ZDF-Fernsehgarten), ein wenig rotzige Göre beigemischt. Hm.

Jörn-Felix Alt war als schüchtern-eleganter Clifford Bradshaw disneyheldenhaft glatt-schön und konnte wunderbar leise singen. Dagmar Hellberg gab eine angenehm zurückhaltende, glaubhaft berlinernde Zimmerwirtin, Robert Meyer war als Herr Schultz Robert Meyer als Herr Schultz. Okay: Johanna Arrouas als matrosenfreundliches Fräulein Kost.

Die umwerfend singende und mit der Strahlkraft von zehn Sonnen gesegnete Ruth Brauer-Kvam durfte bei der ersten Cabaret-Produktion der Volksoperngeschichte den Conférencier geben. Mit Glatze und Smokey Eyes erinnert sie an Conchita und gab dem gestrengen MC eine grelle Note. Und die Moral von der Geschicht? Verunmöglicht dem Funken das Springen nicht! (Stefan Ender, 15.9.2019)